Süddeutsche Zeitung

Polarisierende Marken:Nicht einfach Kunden, sondern Fans

Lesezeit: 4 min

Immer wieder gelingt es Firmen, ihre Kunden so für sich zu begeistern, dass sie zu einer Art Jünger werden. Doch das kann auch nach hinten losgehen.

Von Lea Hampel

Für die von Nörgelei geprägte Twitterwelt ist es eine fast absurd nette Nachricht: "Ich bin ein großer Fan von Ihnen"; gerade, dass keine Herzchen hinzugefügt wurden. Es ist einer von vielen Tweets an Tesla-Chef Elon Musk. Hinzu kommen euphorische Posts zu den Autos und Weltraummissionen und Dutzende Accounts, die "Elon-Musk-Fan" im Namen tragen. Ein Status, von dem die Joe Kaesers (Siemens) und Ralf Brandstätters (VW) dieser Welt nur träumen können - und das, obwohl sie Unternehmen lenken, die die Welt eindeutig stärker prägen als der verrückte Visionär aus Kalifornien.

Menschen, die im Internet ein Produkt preisen, als hätten sie es selbst entwickelt, andere, die vor Filialen schlafen, wenn das neueste Modell erscheint oder einen durchgeknallten Gründer verteidigen, als wäre er ihr Lieblingsonkel: Es gibt Firmen, die haben nicht einfach Kunden, sondern Fans. "Marken werden nicht nur verstanden, sie werden kollektiv geglaubt", fasst es der Marktpsychologe Gert Gutjahr in seinem Standardwerk zur Markenpsychologie zusammen. Doch woher kommt es, dass das Verhältnis eines Kunden zu einer Aktie oder einem Küchenhelfer mehr mit Religion zu tun hat denn mit Ratio?

Die Wissenschaft sieht eine Marke als "ein Name, ein Begriff, ein Zeichen, ein Symbol, ein Produktdesign oder eine denkbare Kombination aus diesen, die dazu verwendet werden, Produkte und Dienstleistungen eines Anbieters oder einer Gruppe von Anbietern zu identifizieren". Tatsächlich ist es: eine emotionale Bindung. Kathrin Fervers nennt es schlicht eine "Ehe mit dem Verbraucher". Sie ist Markenpsychologin und schärft mit kleinen und mittelständischen Unternehmen deren Identität. Die haben in der Regel eines gemeinsam: Alle wollen eine Marke sein oder ein Markenprodukt anbieten. Das spart Werbekosten und ist, wo Alternativen nur einen Klick entfernt sind, wichtiger denn je. Aber schon dazu, was eine Marke ist, gibt es oft Missverständnisse: "Viele wollen eine Marke sein und denken, das passiere mit einem schönen Logo." Doch ob ein Produkt nicht nur Käufer, sondern Jünger erschafft, hängt von vielen Faktoren ab. Nicht alle sind planbar.

Image hin, Emotionen her, das Wichtigste ist noch immer Qualität. Das zeigt eine Umfrage der Unternehmensberatung PwC: Ein Markenprodukt zeichne sich durch eine besonders hohe Qualität aus, sagten 64 Prozent der Teilnehmer. Was logisch klingt, hat viel damit zu tun, dass bei Produkten neben dem simplen "Sachnutzen" auch der psychologische Nutzen wichtig ist. Der Mensch liebt Verlässlichkeit. Fervers nutzt seit mehr als 20 Jahren Apple-Produkte. Ein wesentlicher Grund ist, dass sie "letztendlich bisher noch keine Enttäuschung" erlebt hat, sagt sie.

Eine gemeinsame Idee schafft ein Gruppengefühl unter Nutzern

Am Anfang vieler Markengeschichten steht außerdem eine für die jeweilige Zeit wegweisende Problemlösung. Die Maggi-Würze, die das Kochen erleichterte, die einfache Anwendung bei Apple oder die Elektro-Revolution bei Tesla: Eine starke Marke sei von einer "Vision geprägt, die über den Einzelnen hinausragt", sagt Fervers.

Verknüpft ist die oft mit anekdotenreichen, emotionalen Geschichten einer Gründerfigur. Sei es der Mythos vom Erfinder in der elterlichen Garage oder vom armen Genius, der sich hochgearbeitet hat. "Starke Marken erzählen ihre Storys gern häufig und in gleicher oder ähnlicher Form, damit die im kollektiven Gedächtnis verankert werden", sagt Fervers. Es war deshalb klug von Elon Musk, sich Erfinder Nikola Tesla als Namenspatron zu suchen. Dass er zudem eigene Ideen öffentlich gemacht hat, bevor sie auch nur auf dem Papier existierten, "ist bestes Storytelling", sagt Fervers. "Da rücken die tatsächlichen Autos fast in den Hintergrund." In ihren Beratungen bittet sie deshalb oft Chefs, zehn Minuten aus der Gründungsphase zu erzählen. Dann trägt im Idealfall die Marke das Produkt, nicht umgekehrt.

Tesla

Es ist schon ein bisschen peinlich zu sagen, dass der Moment, als man so wirklich gepackt wurde von einer Marke, so aussah: Man sitzt in einem Auto, drückt einen Knopf, ruft "Ho ho ho" und aus den Lautsprechern kommt wie aus der Pistole geschossen: "Rudolph the red-nosed reindeer". Dazu verwandelt sich die Anzeige im Display hinter dem Lenkrad in ein Bild aus zappelnden Weihnachtsmännern. Das alles sagt rein gar nichts über die Qualität eines Fahrzeugs aus, aber es ist dann doch einer dieser "Tesla-Momente". Natürlich gibt es auch die anderen Tage: Als man mit einem simplen Reifenplatzer irgendwo in Österreich strandet, nach Stunden abgeschleppt wird und mit einem Leih-SUV von BMW nach München zurückdieseln muss. Aber dann sieht man sie wieder, diese meist entspannten, gut gelaunten Menschen an den Tesla-Superchargern, während ein paar Meter weiter andere E-Autofahrer verzweifelt mit der öffentlichen Ladeinfrastruktur kämpfen. Er hat einfach doch vieles richtig gemacht, dieser Elon Musk, auch wenn im dichten Stadtverkehr bis auf weiteres noch der öde Kleinwagen eines bayerischen Autoherstellers die erste Wahl bleibt.

Apple

Kurz vor der Jahrtausendwende fing die Faszination an, mit einem eckigen, hinten eiförmig zulaufenden, halbdurchscheinenden Gerät. In den Vorabendserien hatte jede und jeder, der cool war und in einem kreativen Beruf arbeitete, den iMac von Apple in einer knallbunten Farbe. Schon da war quasi vorherbestimmt: Die Schülerin aus der Kleinstadt, die wenig Ahnung von Computern hatte, aber genau wusste, dass sie später als Journalistin bei "der Zeitung" arbeiten wollen würde, brauchte auch so ein Gerät. Es fing mit dem lila iPod an und gingmit dem iPhone weiter. Die Kundin ist voll auf die Marketingstrategie hereingefallen: Viele kaufen die Geräte von Apple nicht nur, weil diese als hübsch und leicht zu bedienen gelten, sondern auch, weil sie meinen, etwas vom kreativen Geist der Marke abzukommen. Privat wird auf einem Laptop getippt, der zwar ein "Mac", aber kein "i" im Namen hat. Aber, jetzt kommt's: Bei "der Zeitung" arbeitet man gar nicht mit angebissenen Äpfeln. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass das Vorhandensein von Kreativität doch eher mit ausreichend Schlaf und Essen zu tun hat als mit dem vermeintlich richtigen Endgerät.

Thermomix

Ein bisschen befremdlich ist es schon, wenn die größten Fans einer Marke oder eines Produkts ihr Lieblingsstück sogar im Namen tragen. Wenn einem auf Youtube die "Thermifee" oder die "Thermi Manu" erklären, wie der Hefeteig von sofort an immer schön aufgeht und die Suppe nie wieder anbrennt. Kaum ein Gerät wurde wohl schon gleichermaßen verlacht und vergöttert wie dieser Thermomix von Vorwerk. Natürlich weiß das Unternehmen, dass kaum jemand auf die Idee kommt, so ein Teil für mehr als 1000 Euro aus einem Katalog zu bestellen. Und deshalb sitzt man dann irgendwann in einer dieser netten Runden in der Küche von Freunden. Und eine Thermi-Frau wirft den Mixer an, bald duftet es nach frisch gebackenem Brot, das Gehäckselte aus Brokkoli und Apfel schmeckt erstaunlicherweise köstlich, und bald fragt keiner mehr, ob man dieses Gerät nun wirklich braucht. Es liegt nicht nur am Direktvertrieb, sondern auch an Menschen wie der Thermifee, die über Social Media ständig neue Rezepte und Tipps teilen, man ist quasi Teil einer meist wohlwollenden Community - verbunden über ein olles Küchengerät.

Wirecard

Aktionäre, Investoren, Banker: Sie alle waren Markus Braun verfallen. Der Ex-Vorstand bei Wirecard war es, den sie anhimmelten, gerade weil er bescheiden auftrat, scheinbar auf dem Boden geblieben war und natürlich technisch versiert. Er hatte Wirecard groß gemacht, in den Dax gebracht und damit an die Spitze. Endlich, hieß es, hatte Deutschland wieder einen Digitalchampion, ein neues SAP. Die Anleger liebten das: Sie hatten mit der Aktie über die Jahre hinweg teils fünfstellige Gewinne gemacht. Für einige war die Wirecard-Aktie gar ihre Altersvorsorge. Fehler und Fehltritte des Anlegerlieblings wurden da natürlich abgetan, Vorwürfe abgeschmettert und wer etwas gegen den Konzern sagte, wurde mit bösen Kommentaren und wutentbrannten Mails überflutet. Immerhin ging es um viel: das eigene Geld. Warnzeichen, dass es Probleme gab bei Wirecard, waren zwar da, doch wollte sie kaum jemand hören. Dann kam der Tag, an dem Wirecard kollabierte. 1,9 Milliarden Euro fehlten, und mit einem Mal hatten Abertausende Anleger mehrere Milliarden Euro verloren. Viele wollen nun klagen. Fans hat der Konzern wohl keine mehr.

Adidas

Endlich 18! Endlich den Führerschein! Endlich ein Auto! Wohin mit alldem am erstbesten Wochenende? Alle Gleichaltrigen düsten ab Richtung Prag, Paris oder an die Adria. Party machen. Vier Fußballfreaks aus Augsburg hatten ein ganz anderes Ziel: Herzogenaurach. War ein Geheimtipp. In den Sportläden des Städtchens gab es superbilliges Adidas-Zeugs zu kaufen. Zweite Wahl, aber egal. Also 200 Kilometer rauf und 200 Kilometer runter. Trainingsanzüge, Trikots, Stutzen, Schuhe kaufen und "Turnhosen", wie man damals sagte. Am Abend war der Geldbeutel leer und der Kofferraum übervoll. Puma-Produkte hatten die Geschäfte auch. Aber die wurden nicht mal angeschaut. Warum? Na, klar: In den drei Streifen sah man zehnmal besser aus - und traf den Ball tausendmal besser. Ganz bestimmt. Heute ist die Affenliebe längst der Vernunft gewichen. Natürlich machen Puma und Nike eine mindestens genauso coole Sportswear, wie man heute sagt. Darum lohnt sich eine Fahrt in den inzwischen hochgezogenen Adidas-Outlet-Einkaufstempel zu Herzogenaurach längst nicht mehr. Sagt der Kopf. Aber der Bauch, ja der Bauch, der führt einen doch immer wieder hin.

Eine gemeinsame Idee schafft vor allem eines: ein Gruppengefühl unter Nutzern. Traditionell eignen sich Produkte gut als Marken, deren Nutzung öffentlich ist: weiße Kopfhörer oder drei Streifen auf den Turnschuhen als Coolness-Insignien etwa. Auch Waren, die über exklusive Veranstaltungen, etwa Verkaufspartys, beworben werden, Tupperware etwa oder Thermomix-Geräte, funktionieren so.

Haben früher ein gutes Produkt und eine starke Geschichte ausgereicht, begreifen im Internetzeitalter viele Unternehmen, wie wichtig es ist, Kunden einzubinden. Waren es einst begeisterte Motorradbesitzer, die Clubs gründeten, ist der Aufbau sogenannter brand communities, zu Deutsch "Markengemeinden", heute Strategie. Konsumenten werden sogar in die Produktentwicklung einbezogen. Der Spielzeughersteller Lego etwa hat durch Kundenentwürfe im Sortiment den eigenen Niedergang abgewendet. Und die Kaffeekette Starbucks bekommt jedes Jahr mit einer Aktion, bei der Kunden und Mitarbeiter Bilder bemalter Pappbecher posten, kostenlose Werbung auf allen digitalen Kanälen.

Wo sich schon die Arbeitnehmer nur bedingt ans Unternehmen binden, tun es die Kunden noch weniger

Gleichzeitig muss diese Gruppendynamik nach innen funktionieren. "Heute müssen Unternehmen mehr denn je dafür sorgen, dass die Marke von innen heraus von den Arbeitnehmern aktiv mitgetragen wird", sagt Fervers. Sie nennt als Gegenbeispiel Amazon. Obwohl die Dienstleistung funktioniert, obwohl das Logo ein Lächeln darstellt, obwohl Millionen Menschen über die Plattform einkaufen, ist sie keine beliebte Marke. Und wo sich schon die Arbeitnehmer nur bedingt ans Unternehmen binden, tun es die Kunden noch weniger. "Was passieren würde, wenn jemand mit viel Geld eine nachhaltige Alternative zu Amazon auf den Markt bringt, wäre spannend", sagt Fervers.

Dass auch der größte Markenhype Nachteile hat, ist ebenfalls an den prominenten Beispielen zu sehen. Denn die gleiche Erfolgsgeschichte permanent zu zelebrieren und dabei innovativ zu bleiben, ist eine Kunst. Fervers beobachtet das derzeit bei Apple. Die Konkurrenten haben längst aufgeholt. Ob das Unternehmen wirklich schlechtere Arbeit geleistet hat, oder ob der schiere Eindruck reicht, die Marke habe eine Delle, weil Steve Jobs tot ist, sei schwer zu sagen, findet Fervers. Und auch bei Elon Musk reicht gelegentlich ein durchgeknallter Tweet, um nicht nur Herzchen, sondern auch Hassmails zu provozieren. Noch kann er sich sicher sein, dass seine Jünger ihn verteidigen.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2020
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