Süddeutsche Zeitung

Softwarebranche:Der Absturz von Teamviewer

Lesezeit: 4 min

Die Softwarefirma galt noch bis vor Kurzem als große deutsche Börsenhoffnung, manche träumten von einem neuen SAP. Doch das ist vorbei, die Aktie im Keller, zu viel Geld in teure Werbung gesteckt. Wie konnte das nur passieren?

Von Christina Kunkel

Auf dem Konferenztisch steht der Formel-Eins-Mercedes von Lewis Hamilton. Nicht im Spielzeugformat, sondern in voller Größe. Dazu Zettel mit jeder Menge Fragen: Richtige Reifen drauf? Alle Schrauben fest? Irgendeine Macke im Spoiler?

Kurz vergisst man, dass dieses Spektakel nur möglich ist, weil man gerade einen klobigen Helm mit integrierter Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf hat und wahrscheinlich für Außenstehende reichlich bescheuert aussieht, als man mit Fingertippen und Wischen in der Luft versucht, die eingeblendete Checkliste abzuhaken. Denn natürlich hat niemand den Rennwagen in den fünften Stock der Unternehmenszentrale der Softwarefirma Teamviewer in Göppingen bei Stuttgart gerollt. Die Vorführung soll vielmehr zeigen, womit das Unternehmen in Zukunft Geld verdienen will. Denn es knirschte zuletzt gewaltig beim einstigen deutschen Börsenstar.

Zum Börsengang vor zwei Jahren waren die Erwartungen noch riesig: Eine deutsche Softwarefirma, die den Weltmarkt aufmischt, manche sahen in Teamviewer sogar das nächste SAP. Auf 2,5 Milliarden Geräten weltweit wurde die Software aus Schwaben bislang installiert, damit lassen sich etwa Computer oder Maschinen aus der Ferne reparieren und steuern. Die Corona-Pandemie hatte das Wachstum der Firma dann auch noch enorm beschleunigt. Teamviewer galt als einer der Krisengewinner.

Dementsprechend selbstbewusst waren die Prognosen: 2023 rechnete man mit eine Milliarde Euro abgerechneter Umsätze, so genannte Billings - das wären mehr als doppelt so viel wie 2020. Nicht nur die Erwartungen waren groß. Auch der Vorstandsvorsitzende wurde fürstlich entlohnt: Oliver Steil bekam aus einem früheren Beteiligungsprogramm des damaligen Eigentümers Permira für das Rekordjahr 2020 eine Aktienvergütung, die zum Zeitpunkt der Ausschüttung mehr als 70 Millionen Euro wert war - soviel verdient kein Dax-Chef.

Es gab einige Entscheidungen, die kaum jemand verstanden hat

Doch dann ging es plötzlich und rasant bergab. Schon für 2021 musste das Unternehmen seine Aussichten zusammenstreichen. Anfang Oktober gab Teamviewer bekannt, dass man 2021 nur von 535 bis 555 Millionen Euro abgerechneten Umsätzen ausgeht. Zuvor waren 585 bis 605 Millionen Euro in Aussicht gestellt worden. Die Aktie stürzte um rund 25 Prozent ab und erholte sich bis heute nicht. Innerhalb eines Jahres brach der Kurs um 70 Prozent ein, an diesem Donnerstag ging es nochmal deutlich nach unten auf nur noch knapp über elf Euro. In den besten Zeiten notierte das Papier bei um die 50 Euro, lag sogar mal kurz darüber.

Doch was ist da schiefgelaufen? Und vor allem: wie kommt man da wieder raus? So war Teamviewer nicht der einzige Pandemie-Profiteur, mit dem steigenden Bedarf an Fernwartungs- und Kollaborationslösungen kamen auch immer mehr Konkurrenten. Die gibt es reichlich, seien es große Player wie Microsoft und Zoom, oder Startups wie Anydesk aus Stuttgart, dessen Gründer einst selbst bei Teamviewer arbeiteten. "Für viele Unternehmen haben diese einfachen Lösungen ausgereicht, auch wenn Teamviewer im Detail mehr Möglichkeiten bietet", sagt Analyst Frank Rothauge von AHP. Einige Großkunden zögerten in Pandemiezeiten mit Millionen-Investitionen, andere zogen ihre Käufe vor, was das 44 Prozent-Wachstum bei Teamviewer für das Jahr 2020 mit erklärt. Auf Basis der letzten beiden Quartale 2020 errechnete das Unternehmen die Prognose für 2021 - doch die erwiesen sich als viel zu optimistisch.

Bereits im Sommer seien die Aktionäre misstrauisch gewesen, sagt Marc Tüngler, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), als der Teamviewer-Vorstand immer noch versprach, die hochgesteckten Ziele zu schaffen. "Es wurde immer wieder versichert, die Großkunden werden kommen - aber sie kamen nicht." Verzögerungen gibt auch Teamviewer-Chef Steil zu. "Dass wir in den ersten zwei Quartalen dieses Jahres weniger stark gewachsen sind als in der ersten Jahreshälfte 2020, das haben wir erwartet, aber das Sommerquartal war schwächer als angenommen." Ende September sei klar gewesen: Das zweite Halbjahr kann das fehlende Wachstum aus der ersten Jahreshälfte nicht mehr rausreißen. Und auch bei den Digitalisierungsprofis aus Göppingen habe das rein virtuelle Onboarding von fast 500 neuen Mitarbeitern allein im Jahr 2020 zu Problemen geführt. "Natürlich hätten wir an der ein oder anderen Stelle schneller handeln sollen," bekennt der Vorstandsvorsitzende im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Doch es gibt auch Management-Entscheidungen, die viele Anleger so gar nicht verstanden, vor allem das kostspielige Sport-Sponsoring. Rund 40 Millionen Euro zahlt Teamviewer laut Medienberichten pro Jahr, um auf den Trikots und in den Online- und Social Media-Kanälen von Manchester United mit Superstar Cristiano Ronaldo zu werben, dazu fließen weitere Millionen in einen Deal mit den Mercedes-Formel-Eins- und Formel-E-Teams.

Wie genau sollen sich diese riesigen Investments rentieren? Analyst Rothauge sagt: "Solche Deals sind eher ein Zeichen, dass man offenbar schon gemerkt hat, dass das vorgegebene Tempo nicht zu halten ist". Grundsätzlich könne ein Sponsoring natürlich helfen, die Markenwahrnehmung zu steigern. "Allerdings frühestens in zwei oder drei Jahren." Teamviewer-Chef Steil bleibt dabei: "Diese Engagements sind wichtige Investitionen in unsere Marke." Die Marketingwirkung von Formel Eins und Fußball sei weltweit enorm - "vor allem in Regionen, in denen wir uns neue Kunden erhoffen wie etwa in der Asien-Pazifik-Region". Es sei dabei immer klar gewesen, dass sich solche Maßnahmen erst im Laufe der Jahre auszahlen. Schon jetzt habe der Werbedeal laut des Unternehmens in den ersten sieben Formel-Eins-Rennen seit Beginn der Partnerschaft bereits einen Medienwert eingebracht, der in etwa den Sponsoringkosten der gesamten ersten Saison entspreche.

Also läuft alles? Die Personalwechsel deuten auf anderes hin. Es gibt eine neue Chefin für die wichtige Asien-Pazifik-Region. Und anders als zunächst verkündet, verlängert Finanzchef Stefan Gaiser seinen bis August 2022 laufenden Vertrag nicht - beziehungsweise bekommt er ihn nicht verlängert. Auch die erst im April ernannte Marketingchefin Lisa Agona verlässt das Unternehmen wieder.

Auch an Vorstandschef Steil gibt es Kritik

Bleiben darf hingegen Vorstandschef Oliver Steil. Sein Vertrag wurde bis 2024 verlängert. Das versteht nicht jeder. "Der Vertrauensverlust ist riesig. So groß, dass in anderen Fällen durchaus der gesamte Vorstand gehen musste", sagt DSW-Geschäftsführer Tüngler.

Steil gibt sich trotz aller Kritik standhaft. Er spüre das volle Vertrauen vom Aufsichtsrat und aus der Belegschaft, sagt er. "Unser Geschäft läuft rund, die Kunden sind zufrieden - und das Potenzial von Teamviewer im Zuge globaler Trends der Digitalisierung und Automatisierung ist sehr groß." Noch immer rechne man mit Umsatzsteigerungen für das laufende Jahr im hohen Zehner-Prozentbereich, nach wie vor sei das Unternehmen hochprofitabel. Mit einer erwarteten bereinigten Marge von 44 bis 46 Prozent bei gleichzeitigem zweistelligem Umsatzwachstum ist Teamviewer tatsächlich ein gutverdienendes Unternehmen.

Und auch die Großkunden, von denen sich Teamviewer abseits des Computer-Fernzugriffsmarkts besonders viel Wachstum verspricht, kommen offenbar immer zahlreicher. Zumindest kommuniziert man jetzt offensiver, wer mit den Augmented-Reality-Lösungen des Unternehmens arbeitet. Zuletzt gab Teamviewer bekannt, dass der Autobauer Ford zukünftig seine Kfz-Techniker aus der Ferne bei der Reparatur und Wartung von Kundenfahrzeugen mit Software aus Göppingen unterstützen wird.

Doch wie skeptisch die Anleger mittlerweile gegenüber Teamviewer sind, ließ sich am Aktienkurs nach Bekanntgabe des Ford-Deals ablesen: der ging weiter nach unten.

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