Süddeutsche Zeitung

Rezessionsängste in den USA:Hilflos am Abgrund

Lesezeit: 3 min

Eine "Double Dip"-Rezession, ein zweiter Abschwung nach der Krise von 2008 - das ist derzeit die größte Angst der Amerikaner. Immer mehr deutet darauf hin, dass die US-Volkswirtschaft viel schwächer ist, als alle Experten angenommen haben. Und die Politik hat kaum noch Mittel, um eine neue Krise abzuwenden.

Nikolaus Piper

Die Ratingagentur Standard & Poor's hat ein scheinbar absurdes Ergebnis erzielt. Am Freitag entschied S&P, den Vereinigten Staaten erstmals in ihrer Geschichte für ihre Bonität die Spitzennote AAA zu nehmen und die Supermacht auf AA+ herabzustufen.

Das bedeutet, nimmt man es genau, dass das Risiko leicht gestiegen ist, dass Anleger ihr Geld nicht zurückbekommen, wenn sie US-Staatsanleihen ("Treasuries") kaufen. Demnach hätten die Kurse für diese Anleihen fallen und die Renditen entsprechend steigen müssen. Doch das taten sie nicht: Die Kurse stiegen sogar, die Rendite sank am Montag von ohnehin schon niedrigen 2,5 auf 2,36 Prozent. Keine Frage: Auch nach dem Votum von S&P halten Investoren Treasuries für eine der sichersten Anlagen der Welt. Niemand rechnet damit, dass die USA den Schuldendienst einstellen wird, unter welchen Umständen auch immer.

Bewirkt hat S&P etwas ganz anderes: Die ohnehin grassierende Angst vor einer "Double-Dip-Rezession", einem neuerlichen Wirtschaftseinbruch nach jenem von 2008, ist gewachsen. Die Aktienkurse gingen weiter zurück: Der Dow Jones in New York schloss am Abend mit einem Minus von 5,5 Prozent. Ein weiteres Indiz für die Rezessionsangst: Der Ölpreis ging am Montag in New York um 7,2 Prozent auf 80,62 Dollar für das Fass zurück. Gold als Krisenmetall übersprang erstmals in der Geschichte die Marke von 1700 Dollar für die Feinunze.

Der Ökonom Nouriel Roubini von der New York University sieht tatsächlich ein "wachsendes Risiko für eine Double-Dip-Rezession". Die Risikoscheu auf den Finanzmärkten nehme zu, sagte Roubini während einer Telefonkonferenz in New York. Der Professor war berühmt geworden, weil er als einer der wenigen Experten die Finanzkrise vorausgesagt hatte. Jetzt glaubt er, dass der Politik die Möglichkeiten ausgehen: "Wir haben bald keine Kugeln mehr."

Präsident Barack Obama trat dieser Darstellung am Montagabend entgegen: Selbstverständlich könnten die USA ihre Probleme in den Griff bekommen, sagte er und forderte den Kongress auf, das langfristige Haushaltsdefizit zu schließen, zugleich aber gezielte Konjunkturimpulse zu setzen. Obama kämpft darum, die Ende 2010 beschlossene Senkung der Lohnsteuer um ein weiteres Jahr zu verlängern. Zudem will er die verlängerte Zahlung der Arbeitslosenhilfe fortschreiben, die für viele Amerikaner zur wichtigsten Einnahmequelle geworden ist. Doch es ist fraglich, ob der auf Einsparungen fixierte Kongress Obamas Wünsche erfüllt.

Sicher ist hingegen, dass die amerikanische Wirtschaft viel schwächer ist, als die meisten Experten noch bis vor kurzem geglaubt hatten. Im Januar hatte die US-Notenbank Federal Reserve 3,9 Prozent Wachstum für das Jahr vorausgesagt, im April waren es 3,3 und im Juni 2,9 Prozent. Jetzt können die Amerikaner froh sein, wenn sie ein bis zwei Prozent erreichen. Die Arbeitslosenquote liegt bei neun Prozent, und es gibt derzeit keinerlei Anzeichen, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt bessert.

Verheerende Konsequenzen eines zweiten Abschwungs

Dabei ist das alles keine rein amerikanische Angelegenheit. Die europäischen Krisenländer Griechenland, Spanien, Irland und Portugal befinden sich bereits in der Rezession oder kurz davor. Auch die italienische Wirtschaft wächst kaum noch. Manche Ökonomen rechnen sogar mit einem scharfen Abschwung der Wirtschaft in China. Das alles kann nicht ohne Folgen für Deutschland bleiben.

Klar ist, dass die Konsequenzen verheerend sein werden, wenn eine zweite Rezession die bereits von der Finanzkrise geschwächten Länder trifft. "Es gibt keinen Präzedenzfall dafür, zumindest in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, was passiert, wenn eine Volkswirtschaft mit neun Prozent Arbeitslosigkeit zurück in die Rezession fällt", sagte der Analyst Nigel Gault von der Researchfirma IHS der New York Times. Aus der Zeit vor dem Krieg allerdings gibt es einen Präzedenzfall: Im Jahr 1937 schaltete Präsident Franklin Roosevelt zu früh von Konjunkturförderung auf Sparen um und provozierte eine zweite Rezession. Sie war dafür verantwortlich, dass die USA bis zu ihrem Kriegseintritt 1941 zweistellige Arbeitslosenquoten hatten.

Bleibt die Frage, ob die Notenbank Fed noch Wege sieht, um die Konjunktur zu stützen. An diesem Dienstag tritt der Offenmarktausschuss der Fed zusammen, und seit Tagen wird über mögliche Ergebnisse spekuliert. Die theoretischen Möglichkeiten der Notenbanker sind allerdings von vorneherein begrenzt. Sie könnten erneut Staatsanleihen kaufen und auf diese Weise Geld drucken - ein Verfahren, das als "Quantitative Easing, QE 3" bezeichnet wird. Aber bisher schon konnte die Gelddruckerei von Fed-Chef Ben Bernanke nicht verhindern, dass sich der Aufschwung abschwächte. Möglich wäre auch, dass die Fed ihre Sprache ändert und klarmacht, dass sie die geltenden Niedrigst-Zinsen von null bis 0,25 Prozent noch sehr lange beibehalten wird, vielleicht sogar über Jahre. Dies könnte den Dollar und das Vertrauen in die US-Währung schwächen.

Auch eine personelle Konsequenz hat die Entscheidung von S&P mittlerweile. Finanzminister Timothy Geithner wollte eigentlich nach dem Schuldenkompromiss im Kongress zurücktreten. Jetzt nahm er seine Kündigung zurück. In den Augen von Obama soll Geithner für die dringend notwendige Stabilität in der Schuldenkrise sorgen. "Wenn der Präsident dich bittet, deinen Dienst zu tun, dann machst du das", sagte Geithner. "Wir haben eine Menge zu tun."

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SZ vom 09.08.2011
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