Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Das Patriarchat schlägt zurück

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Auf Intensivstationen, als Erzieherinnen und Helferinnen bei Hausaufgaben standen Frauen ganz vorne in der Bekämpfung der Pandemie - leider zum Schaden für die Gleichberechtigung.

Von Helena Ott, Berlin

Es ist ein bisschen so, als strengt man sich an, den Flächenbrand im Nachbarort zu löschen, während ein laufender Wasserhahn zuhause still und heimlich das Erdgeschoss flutet. Während sich Frauen bezahlt oder unbezahlt um Kinder, Kranke und Mahlzeiten für die Familien kümmerten, hat sich die ungerechte Verteilung von Beruf und Sorgearbeit verschärft.

"Auf dem Arbeitsmarkt ist es eine Frauenkrise", sagt Wirtschaftswissenschaftlerin Michèle Tertilt von der Universität Mannheim beim PlanW-Kongress der SZ in Berlin. Während der Corona-Pandemie forschte die 49-Jährige über Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt. In Deutschland sowie in 30 weiteren Ländern übernahmen die Frauen den größeren Anteil der zusätzlichen Carearbeit, also Kinderbetreuung, Hausarbeit, Pflege von Angehörigen. Dafür mussten viele die Stunden reduzieren oder den Job zeitweise ganz aufgeben.

Aber warum gerade die Frauen?

Zum einen liegt es an ihren Anstellungsverhältnissen. Schon mit 25, 30, 35 Jahren bekommen Erwerbsbiografien von vielen Frauen aus Sicht der Wirtschaft eine Macke. Denn die Kinderbetreuung wird noch immer unter den wenigsten Paaren wirklich 50 zu 50 aufgeteilt. Insgesamt arbeiten viermal so viele Frauen wie Männer in Teilzeit. Das Ehegattensplitting, das Familien mit einem Hauptverdiener begünstigt, fördert traditionelle Rollen. Die Elternzeit hilft, sagt Kommunikationsforscherin Almut Schnerring. "Aber manche wissen nicht einmal, dass man die auch anders aufteilen kann als 12 und zwei 'Vätermonate'".

Als die Kitas in staatlichem Auftrag ihre Türen schlossen, waren es also überdurchschnittlich häufig Frauen, die wegen ihrer geringeren Stunden und Verdienst ihre berufliche Entwicklung hinten anstellten.

Es wurde so auch von ihnen erwartet, sagt Almut Schnerring, die in ihren Büchern gegen ungerechte Aufteilung von Sorgearbeit argumentiert. "Wir denken, dass wir superfortschrittlich sind in Sachen Gleichberechtigung", sagt sie. Dabei finge es noch immer in den Kinderzimmern an. Während die Jungs auch mal wild sein dürfen und draußen spielen können, wird von Mädchen stärker erwartet, dass sie etwa den Tisch abräumen, sich um kleinere Geschwister kümmern. "Jungsschuhe sind wasserfest, Mädchenschuhe hübsch", fasst die Kommunikationsforscherin ihre Gedanken zusammen, welche Rollen von Kindern erwartet werden.

Und später bringt eben das eine Geld und das andere nicht. "Ich arbeite gerade nicht, ich kümmere mich um die Kinder", zitiert Schmerring Frauen in Elternzeit. Aber was wäre denn mit der Wirtschaft, wenn sich nicht jemand um die Kinder, Mahlzeiten und Hausarbeit kümmern würde. "Die Carearbeit ist die Basis allen Wirtschaftens", sagt die Buchautorin. Und dementsprechend müsse sich auch die Wertschätzung ändern.

Corona hat die Schwächen im System entlarvt

Die Nebenwirkungen haben also nicht die Sars-Cov-2-Viren selbst mitgebracht, sondern hartnäckige Strukturen, die überdauern, obwohl zuletzt immer mehr Väter in großen Städten mit Tragetuch zu sehen waren und 16 Jahre lang eine ostdeutsche Frau das Land regierte. Corona hat die Schwächen im System entlarvt und gezeigt, sind sich die drei Frauen auf dem Podium einig, und es gibt immer noch zu wenig Beteiligung der Männer.

Das hat Marija Linnhof selbst erfahren, sie ist alleinerziehend mit zwei Kindern und heute Verbandschefin der unabhängigen Reisebüros. Von einem Tag auf den anderen hatte sie Frauen am Telefon, die weinend von schweren psychischen Belastungen sprachen. In der Branche arbeiten zu 90 Prozent Frauen, aber die Reisebüroinhaber sind zu 50 Prozent Männer, sagt Linnhof. Deshalb fing sie an in der Bundespolitik für die unabhängigen Büros zu kämpfen. "Als Frau wurde ich da total unterschätzt, die großen Chefs im Tourismus sind alles Männer", sagt sie.

Soweit so viel Krise. Neben der Frage, wie lange es dauert, bis Deutschland sich wirtschaftlich erholt hat, ist auch offen, wann Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt möglich ist. Eine seriöse Antwort ist selbst am Montag nach der Bundestagswahl nicht zu geben. Aber die drei Frauen, die beim Plan W-Kongress diskutieren, sind sich zumindest beim Weg dahin in vielen Punkten einig.

"Das Ehegattensplitting gehört sofort abgeschafft", sagt Ökonomin Michèle Tertilt. Dazu gibt es in der Runde keine Gegenmeinungen. Die Schweden hätten solche in Modell bereits in den 70er Jahren abgeschafft. Zudem spricht sich die Mannheimer Ökonomin für mehr Betreuungsplätze aus. Doch Almut Schnerring warnt, "es kann nicht die Lösung sein, die Betreuung komplett auszulagern, um selbst arbeiten zu gehen", sagt sie. Und spricht sich dafür aus, dass Männern wie Frauen innerhalb ihres Erwerbslebens mehr Raum für Carearbeit eingeräumt werden soll, beispielsweise bei einer 30 Stunden Woche.

Aber es fängt eben bei den "wasserfesten Jungsschuhen" und anderen Kleinigkeiten in der Erziehung an, die mitbestimmen ob sich später alle Geschlechter gleichermaßen zuständig fühlen für Hausarbeit und Kinder.

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