Süddeutsche Zeitung

Piëch-Rücktritt:Volkswagen - ein unregierbarer Konzern

Lesezeit: 3 Min.

VW braucht eine neue Kultur, die nicht nur von Autorität und strenger Hierarchie geprägt ist. Doch nach dem Rücktritt Piëchs ist ein gefährliches Machtvakuum entstanden, auf das niemand vorbereitet ist.

Kommentar von Caspar Busse

Sein Harmoniebedürfnis sei begrenzt, bekannte Ferdinand Piëch einmal ganz offen. Der inzwischen 78-jährige Enkel des Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche war in der Tat nicht dafür bekannt, wichtige Entscheidungen einvernehmlich zu treffen. Im Gegenteil: Piëch war der allmächtige Herrscher, der jedes Detail kontrollierte und selbstherrlich den Daumen über verdiente Manager senken konnte, erst als Vorstandschef, dann von 2002 an als Aufsichtsratsvorsitzender.

Er war der unangefochtene Patriarch bei VW. Der Begriff kommt ursprünglich aus der orthodoxen Kirche, dort ist der Patriarch ein hoher Geistlicher, dem Respekt gezollt und dessen Autorität anerkannt wird. Auch Piëch wurde gefürchtet und verehrt, sein Wort war fast Gesetz - bis zu diesem Wochenende.

Der Vertrauensverlust ist groß

Was sich derzeit in Wolfsburg abspielt, ist beispiellos. Es ist eine Geschichte von erbitterten Intrigen und öffentlich ausgetragenen Machtkämpfen, die es in professionell geführten Konzernen eigentlich nicht mehr geben dürfte. Nun, nach dem Rücktritt Piëchs, ist ein gefährliches Machtvakuum entstanden, auf das niemand vorbereitet ist. Der Vertrauensverlust ist groß.

Dabei ist VW nicht irgendein Unternehmen, sondern mit 118 Werken in aller Welt, nahezu 600 000 Mitarbeitern, zwölf Marken und 200 Milliarden Euro Umsatz einer der größten Autobauer überhaupt. Jedes achte Auto weltweit kam 2014 aus dem Hause VW. Der Konzern steht für die deutsche Wirtschaft wie sonst nur noch Siemens oder die Deutsche Bank (die selbst mit einer Krise zu kämpfen hat).

Der Rücktritt Piëchs ist richtig. Er war lange überfällig. Und doch kann er nur der Anfang sein. Vorstandschef Martin Winterkorn ist nach dem Machtkampf ebenfalls schwer beschädigt, hat Glaubwürdigkeit eingebüßt und wird seinen Posten wohl über kurz oder lang räumen. VW muss sich dringend neu erfinden. Die Zeit der Alleinherrscher ist vorbei - bei allen Verdiensten, die Piëch und Winterkorn haben.

Zu viel Macht in den Händen zu weniger

Das Chaos in Wolfsburg ist nun groß. Wie groß, das zeigt sich auch daran, dass jetzt Berthold Huber vorübergehend den Aufsichtsrat führen und die turbulente nächste Hauptversammlung leiten wird. Ein ehemaliger IG-Metall-Vorsitzender als Retter in der Not für einen aus der Bahn geratenen Milliardenkonzern - wo hat es so etwas schon einmal gegeben?

Natürlich ist Huber als offizieller Stellvertreter Piëchs dessen formaler Nachfolger. Aber ein glaubwürdiger Erneuerer ist er nicht. Erst vor einer Woche hatte Huber noch betont, es gebe gar keinen Grund für einen Rücktritt Piëchs, man stehe vielmehr fest zu ihm. Ohnehin war die Allianz zwischen den Arbeitnehmern und dem langjährigen Chef-Aufseher Piëch eng, zu eng. Der Einfluss der Arbeitnehmer bei VW ist schon immer viel größer, als es die gesetzlich verankerte Mitbestimmung vorsieht, was nicht immer gut war.

Bei VW gibt es bislang zu viel Macht in den Händen zu weniger. Kandidaten für die Nachfolge der betagten Vorsitzenden von Vorstand und Aufsichtsrat? Fehlanzeige. Dabei machen andere Unternehmen vor, wie es geht. Beim Versicherer Allianz oder bei BMW werden in den kommenden Wochen neue Vorstandschefs die Führung übernehmen. Die Wechsel waren lange und gut vorbereitet und verliefen weitgehend geräuschlos.

Alternative Mobilitätskonzepte sind gefragt

Davon kann bei VW keine Rede sein. Der Konzern braucht jetzt eine neue Kultur, die nicht nur von Autorität und strenger Hierarchie geprägt ist, sondern die auch neue Ideen und Kreativität zulässt. Die Automobilbranche könnte sich - wie viele andere - bald grundlegend verändern. BMW oder der kalifornische Sportwagenproduzent Tesla setzen bereits auf Elektrofahrzeuge. Alternative Mobilitätskonzepte für die verstopften Innenstädte sind gefragt.

Junge Menschen, für die ein Auto kein Statussymbol mehr ist, wollen andere Angebote. US-Unternehmen wie Google oder Apple drängen womöglich bald mit eigenen Fahrzeugen auf den Markt. Dazu kommen VW-eigene Probleme: ein schwaches Geschäft in den USA, eine zu starke Abhängigkeit von China, kaum Gewinne bei der Kernmarke VW. Es gibt also viele Dinge, mit denen sich der Konzern auseinandersetzen müsste.

Stattdessen erweist sich der Konzern als nahezu unregierbar. Die beiden Eigentümerfamilien Piëch und Porsche sind tief zerstritten und tragen ihren Zwist auch noch öffentlich aus - ohne Rücksicht auf Verluste. Das Land Niedersachsen als Mitaktionär verfolgt eigene Ziele. VW nach dem Abgang des Patriarchen: Ein Weitermachen wie bisher darf keine Option sein. Das aber heißt: Die großen Probleme für den Konzern werden erst noch kommen. Die ersehnte Ruhe tritt so schnell nicht ein. Harmonie wird es auch ohne Piëch nicht geben.

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SZ vom 27.04.2015
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