Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftspolitik:Altmaier lächelt seine Krise weg

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Von Michael Bauchmüller, Wedemark

Peter Altmaier steht mit faustdicken Kopfhörermuscheln über den Ohren in einer Werkshalle, umringt von Kameras. Er grinst und ruft: "Der Kopfhörer sagt, die Mittelstandsstrategie ist großartig!" Der Werksleiter entgegnet trocken, da müsse wohl jemand die CD gewechselt haben.

Der Bundeswirtschaftsminister von der CDU ist in diesen Tagen öffentlichkeitswirksam unterwegs zu deutschen Mittelständlern, um für bessere Stimmung zu sorgen. In der Wedemark bei Hannover sitzt ein solcher Mittelständler, die Audio-Experten von Sennheiser. High-end-Kopfhörer wie der auf Altmaiers Ohren werden hier noch per Hand gefertigt. International bekannt, innovativ, 2800 Jobs weltweit, davon knapp die Hälfte in Deutschland. Zwei Brüder leiten das Unternehmen in dritter Generation. "Dass wir diese Reise machen, hat einen Grund", sagt Altmaier. "Wir wollen den Menschen deutlich machen, was für ihr Glück wichtig ist." Schließlich hingen 60 Prozent aller Jobs und 80 Prozent aller Ausbildungsplätze am Mittelstand, vom Maschinenbauer über den Blumenhändler bis zum Start-up. "Ohne den Mittelstand wäre unser Land ein anderes", schwärmt Peter Altmaier.

So ungefähr steht es auch in der "Mittelstandsstrategie", die er am Donnerstag in Hannover vorgelegt hat. Das zehnseitige Papier enthält ein wahres Loblied - und ist ein Befreiungsschlag für Altmaier. Denn der Mittelstand hatte den 61-jährigen Saarländer zuletzt auch in die tiefste Krise seiner Amtszeit gezogen. Angetreten als eine Art zweiter Ludwig Erhard, hatte der Minister sich zunächst vor allem um die Industrie gekümmert, um drohende Autozölle, begehrliche Firmenkäufer aus China, die Mega-Fusion der Bahnsparten von Siemens und Alstom, die später an den EU-Wettbewerbshütern scheiterte. Möglicherweise hätte er die Strategie auch früher vorlegen können, sagt Altmaier heute. "Aber es gab einigen Handlungsbedarf in der Weltwirtschaft."

Als er im Februar noch vor der Strategie für den Mittelstand eine für die Industrie vorlegte, machte der Verband der Familienunternehmen seinem Ärger offen Luft. Selbst Parteifreunde warfen die Frage auf, ob er der richtige Mann auf dem Posten des Wirtschaftsministers sei. Bei Altmaier verstärkte das den Drang, sich und seine Politik ständig zu rechtfertigen, womit er sich selbst noch mehr in die Defensive rückte. Die vorgelegte Strategie soll ihn nun wieder in die Offensive bringen.

Altmaier spricht von "Wertschätzung", das verfängt

Eine eigene Stabsstelle für den Mittelstand hat Altmaier dafür unlängst eingerichtet, fieberhaft hatten seine Leute seither an der Strategie gearbeitet. Steuern, Digitalisierung, Bürokratieabbau: Es soll für Mittelständler leichter werden, Geld zu verdienen, an Fachkräfte zu kommen, in die Forschung zu investieren und mit Behörden zu kommunizieren. Auf seiner Tour will er die Vorschläge nun mit Betroffenen diskutieren. Vor allem aber geht es Altmaier um ein Signal: ein klares Ja zum Mittelstand. Er selbst spricht von "Wertschätzung". Und all das verfängt.

"Wir haben Ihr Papier auch schon gelesen", sagt Andreas Sennheiser, einer der beiden Geschäftsführer-Brüder. "Und wir freuen uns, dass da viele gute Ansätze drinstehen." Auch Reinhold von Eben-Worlée, Chef des Familienunternehmer-Verbands und bisher harscher Kritiker Altmaiers, gerät nun ins Schwärmen. "Altmaiers strategischer Aufschlag sitzt", lobt er. "Der Minister hat die Nöte des Mittelstands erkannt."

Und Altmaier selbst? Der tut all die Konflikte der Vergangenheit ab, als hätten sie ihm nichts ausgemacht. Er kenne keinen "angesehenen und geachteten Minister", der nicht auch mal in der Kritik stehe, sagt er. Und aus seinen Kopfhörern, da kommt in Wahrheit gefühlige Popmusik.

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SZ vom 30.08.2019
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