Süddeutsche Zeitung

Novartis:Sinnsuche ohne Kontaktlinsen

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Mehr Fokus, weniger Nebengeschäfte: Novartis will sich auf innovative Medikamente konzentrieren, die mehr Geld versprechen. Kann der Plan aufgehen?

Von Isabel Pfaff, Basel

Dafür, dass für Novartis dieses Jahr ein neues Zeitalter beginnen soll, präsentiert sich das Pharmaunternehmen an diesem Februarmorgen ziemlich nüchtern. Konzernchef Vas Narasimhan, angetreten vor genau fünf Jahren, bespricht die Zahlen des vierten Quartals und des Gesamtjahrs 2022 knapp und trocken, was daran liegen könnte, dass die Bilanz eher durchwachsen ausfällt: Der Reingewinn sank um gigantische 71 Prozent auf 6,96 Milliarden Dollar, was auch mit dem Verkauf des Roche-Aktienpakets zusammenhängt, der das Ergebnis des Vorjahrs stark geprägt hatte. Doch auch abgesehen davon sehen Analysten Schwächen, etwa bei der Umsatzentwicklung. Auch an der Börse sorgte die Bilanz nicht für Begeisterung, die Novartis-Aktie gab leicht nach. Aufbruchstimmung auf dem Novartis Campus in Basel unweit des Rheins? Spürt man an diesem Mittwoch eher nicht.

Dabei soll er dieses Jahr vollzogen werden, der Wandel vom einstigen Gemischtwarenladen zum reinen Pharmaunternehmen. Novartis-Chef Narasimhan treibt die Verschlankung des früheren Konglomerats seit seinem Amtsantritt 2018 voran, erst verkaufte er das Geschäft mit den rezeptfreien Medikamenten, 2019 spaltete er dann Alcon ab, die Novartis-Tochter, die auf Produkte und Medikamente für Augenheilkunde spezialisiert war. Im zweiten Halbjahr 2023 soll nun der letzte Schritt folgen: Novartis will seine Generika-Tochter Sandoz loswerden, also das Geschäft mit den Nachahmermedikamenten. Geplant ist ein Gang an die Schweizer Börse, aber auch ein Verkauf ist noch nicht ausgeschlossen. Bei der Abspaltung sei man "auf Kurs", teilte das Novartis-Management am Mittwoch mit. Ende 2023 dürfte es bei dem Konzern also nur noch um "innovative Medikamente" gehen - also solche, die patentgeschützt sind und damit viel Umsatz und Gewinn versprechen. Schon heute stammen 80 Prozent der Novartis-Umsätze aus dem Geschäft mit neuen Arzneimitteln.

Novartis folgt damit einem größeren Trend in der Pharmaindustrie. Fast alle großen Unternehmen der Branche trennen sich seit einigen Jahren von den sogenannten Nebengeschäften und stellen sich neu als fast ausschließlich forschungsorientierte Medikamentenhersteller auf. Die Spezialisierung soll die Kräfte der Unternehmen bündeln und letztlich das Tempo der Innovationen steigern, die am Ende das Geld bringen.

Die Sparte für Nachahmermedikamente soll verkauft werden

Doch kann das klappen? Ist die Fokussierung wirklich ein solcher Selbstläufer? Sandoz lieferte bislang immerhin ein Fünftel des Umsatzes, und das Geschäft mit Generika ist im Gegensatz zu den risikoreichen Neuentwicklungen in der Regel ein verlässliches.

Konzernleiter Narasimhan ist sich seiner Strategie trotzdem sicher. Er erinnert am Mittwoch daran, dass die meisten Pharmaunternehmen früher diversifizierter waren als heute. "Das hat die Volatilität des Geschäfts aber nicht groß verringern können." Hinzu komme, dass die Forschung sich rasend schnell weiterentwickle. "Es ist herausfordernd, dranzubleiben und nebenher noch Kontaktlinsen und Generika herzustellen", so Narasimhan.

Und doch: Während der Pandemie gehörte Novartis nicht zu den Pharmafirmen, die in Sachen Impfstoff, Medikamente oder Tests etwas beitragen konnten. Sowohl die Impfstoffsparte als auch die Diagnostik von Novartis waren zu Beginn der Pandemie längst verkauft. Roche, der Lokalrivale vom anderen Rheinufer, konnte die Welt dank seiner Diagnostikabteilung immerhin mit Corona-Tests versorgen. Novartis dagegen musste in die Rolle des Zulieferers schlüpfen und Biontech beim Abfüllen seines Impfstoffs helfen.

Der Konzern will 8000 seiner 108 000 Mitarbeiter entlassen

Nun ist eine Pandemie nicht der Normalzustand. Und Novartis, das gehört auch zur Wahrheit, steckt noch mitten in der Verwandlungsphase. Erst im vergangenen April hat der Konzern angekündigt, die Pharma-Sparte mit dem Bereich Krebsmedikamente zusammenzulegen, entstanden ist daraus die neue Sparte "Innovative Medicines". Hinzu kommen weitere Umbauten auf der Konzernleitungsebene - und ein radikaler Stellenabbau. 8000 Mitarbeiter von damals 108 000 weltweit, so räumte Novartis im vergangenen Sommer ein, sollen insgesamt entlassen werden. "Der Unboss kann auch knallhart", schrieb die Schweizer Handelszeitung damals in Anspielung auf den "unbossing" genannten Kulturwandel, den Vas Narasimhan zu seinem Amtsantritt 2018 ausgerufen hatte.

Tatsächlich ist von dem anfänglichen Charme des 46-jährigen Narasimhan fünf Jahre später nicht mehr viel zu spüren. Die Frage nach den bereits abgebauten Stellen reicht der Amerikaner am Mittwoch an seinen Finanzchef Harry Kirsch weiter: Der Großteil der Entlassungen, erläutert dieser, werde dieses Jahr erfolgen. Aktuell schreibt das Unternehmen von nur noch 106 000 Mitarbeitern.

Womöglich erweist sich Narasimhans Strategie der Verschlankung und faktisch Verkleinerung als der richtige Weg. Eine Schlüsselrolle wird in jedem Fall Marie-France Tschudin spielen. Die Schweizer Managerin, die vorher die Pharma-Sparte von Novartis verantwortete, hat die Leitung des neuen Bereichs innovative Arzneimittel übernommen und fungiert gleichzeitig auch als "Chief Commercial Officer". Damit ist sie die Nummer zwei hinter Narasimhan - und die wohl mächtigste Frau der Schweizer Wirtschaft. Unter ihr will Novartis sich auf fünf therapeutische Kernbereiche - Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunologie, Neurowissenschaften, solide Tumoren und Hämatologie - sowie die Schlüsselmärkte USA, China, Japan und Deutschland konzentrieren.

Dass die Pharmabranche preismäßig immer mehr unter Druck gerät, macht Tschudins neue Aufgabe nicht leichter. "Gesundheitsleistungen müssen als Investition, nicht als Kostenpunkt gesehen werden", sagt sie am Mittwoch im Gespräch mit Journalisten. Ob sie damit die Gesundheitsminister in Novartis' Schlüsselmärkten überzeugen kann, muss die neue starke Frau in Basel noch zeigen.

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