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Großbritannien:Wie die Elizabeth Line London noch schneller macht

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Mit fast 100 Kilometern pro Stunde rauschen die Züge der Express-Bahn durch die Metropole. Nur zwei Dinge vermissen die Pendler noch.

Von Alexander Mühlauer, London

Ja, die Londoner U-Bahn ist stickig, sie ist laut, sie ist aber vor allem: unverzichtbar. Ohne die "Tube" wäre ein Alltag für die Menschen in der britischen Hauptstadt undenkbar. Hunderttausende Kinder fahren täglich zur Schule, Millionen Erwachsene täglich zur Arbeit. Eine wirkliche Alternative gibt es nicht, am ehesten noch das Fahrrad. Das Auto sollte man zu Stoßzeiten jedenfalls stehen lassen, es sei denn, man hat vor, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn bis 15 Kilometern pro Stunde durch die Stadt zu kriechen. Da ist die Tube einfach schneller. Und seit diesem Jahr geht es in London sogar noch schneller.

Elizabeth Line heißt die neue Verkehrsader in der britischen Hauptstadt, die Züge rauschen mit fast 100 Kilometern pro Stunde durch die Metropole. Streng genommen gehört sie nicht zur Tube-Familie, sie ist eher eine Express-S-Bahn, unterwegs auf einer Ost-West-Achse, Gesamtlänge: 118 Kilometer.

Die Elizabeth Line zählt insgesamt 41 Stationen, ganze zehn wurden neu gebaut. Und diese sind in den Augen von Projektchef Mark Wild nicht weniger als "eine Errungenschaft dieses Jahrhunderts". Wenn er über die Elizabeth Line spricht, dann ist von kathedralenähnlichen Stationen die Rede, allesamt akustisch und klimatisch perfekt, kurzum: "das Beste britischer Ingenieurskunst".

Nun neigen Projektchefs bisweilen dazu, ihr eigenes Projekt zu glorifizieren, aber wer etwa den neuen Elizabeth-Line-Bahnhof in Woolwich betritt, muss sagen: Der Mann hat recht. Die Station im Osten Londons ist wohl eine der modernsten der Welt.

Ein ganz neues Gefühl: Es gibt viel mehr Platz als in der Tube

Da sind die verdunkelten Sicherheitsscheiben am Bahnsteig, die sich erst öffnen, wenn der Zug hält. Da ist das äußerst angenehme Lichtkonzept, an keiner Stelle zu grell oder zu dunkel. Und da ist ein Design, das die Fahrgäste gleich erkennen lässt, dass es sich bei der Elizabeth Line um etwas Besonderes handelt. Das beginnt schon bei der Farbe, die sich auf den Schildern der Haltestellen, auf den Zügen und auf den Stoffsitzen wiederfindet: Alles ist in royalem Purpur gehalten.

Für Londoner Verhältnisse ist die Elizabeth Line schon jetzt eine verkehrstechnische Revolution. Sicherer, sauberer und schneller war man in der britischen Hauptstadt noch nie unterwegs. Ganz zu schweigen von den Waggons, in die bis zu 1500 Menschen passen - endlich mal Platz! Sogar die Sitze sind breiter als in der Tube.

Die Idee für eine Schnellbahn, die den Osten und den Westen der Stadt verbindet, gab es schon lange. Erstmals wurde sie 1919 vom damaligen Geschäftsführer der U-Bahn, Frank Pick, ins Gespräch gebracht. Und seitdem immer mal wieder. In 1940er-Jahren waren die Pläne schon einmal weit gediehen, sie wurden dann aber während des Zweiten Weltkriegs wieder verworfen.

In der Nachkriegszeit wurden neue U-Bahn-Linien gebaut, alte wurden verlängert. Es dauerte dann etwas, bis der Plan einer Ost-West-Achse wieder aus der Schublade geholt wurde. Nachdem man sich in den 1990er-Jahren nicht einig wurde, legte die Londoner Verkehrsgesellschaft 2005 einen neuen Plan vor, der schließlich 2008 genehmigt wurde.

Die Arbeiten an den insgesamt 42 Kilometer langen Tunneln der Strecke begannen im Jahr 2011. Eigentlich sollten bereits 2018 die ersten Züge fahren, doch es dauerte dann doch bis 2022, dem Jahr des Platin-Jubiläums von Queen Elizabeth II. Nach ihr wurde die Bahn allerdings erst 2016 benannt, zuvor war sie unter dem Begriff Crossrail bekannt. Die Idee, die neue Linie zu Ehren der Queen umzubenennen, kam vom damaligen Londoner Bürgermeister, einem gewissen Boris Johnson. Als der erste Streckenabschnitt der Elizabeth Line schließlich im Mai dieses Jahres eröffnet wurde, war Johnson wieder zugegen, als Premierminister.

Was fehlt? Neben dem Mobilfunknetz eigentlich nur die Ansage "Mind the gap"

Da sich die Bauzeit um mehrere Jahre verzögerte, stiegen auch die Baukosten - und zwar von 14,8 auf 19 Milliarden Pfund (etwa 22 Milliarden Euro). Die Frage, ob es das wert war, dürfte sich für die meisten Fahrgäste erübrigen. Denn für sie zählt vor allem eines: Sie kommen nun schneller an ihr Ziel. So hat sich etwa die Fahrzeit zwischen wichtigen Bahnhöfen wie Paddington und dem Finanzdistrikt Canary Wharf halbiert.

Mit der Elizabeth Line gibt es außerdem einen neuen Anschluss zum Flughafen Heathrow. Und wer nach Maidenhead oder Reading im Westen Londons will, hat endlich eine Alternative zu den mitunter unzuverlässigen Regionalzügen. Wie im Westen teilt sich die Elizabeth Line auch im Osten der Stadt. Einmal Richtung Canary Wharf und dann weiter nach Abbey Wood. In Richtung Nordosten geht es nach Brentwood und Shenfield.

Doch nicht nur die Pendlerinnen und Pendler aus den Vororten haben etwas von der neuen Bahnlinie. Auch in der Londoner Innenstadt entlastet die Elizabeth Line den Verkehr. Zwischen Paddington und Whitechapel fahren jetzt nicht nur diverse U-Bahn-Linien, sondern eben auch die neue Expressbahn.

Der Unterschied zwischen der Elizabeth Line und den älteren Tube-Strecken ist durchaus erstaunlich. Wer zum Beispiel an der Station Bond Street in die Central Line umsteigt, kommt sich plötzlich vor wie in einer anderen Welt. Plötzlich muss man als etwas größerer Mensch beim Ein- und Aussteigen wieder den Kopf einziehen. Und wenn kein Sitzplatz frei ist, stellt man sich am besten mittig in den Waggon. In diesen Momenten weiß man wieder, warum die Tube ihren Spitznamen hat. Die meisten Züge sind ähnlich gerundet wie die röhrenförmigen Tunnel, durch die sie fahren.

Und dann gibt es bei den älteren U-Bahn-Linien noch etwas, das man bei der Fahrt mit der Elizabeth Line schon ein wenig vermissen kann: die Lücken zwischen Zug und Bahnsteig. Die Warnung davor ist schließlich zu einem weltweit bekannten Slogan geworden. Seit 1968 hören die Fahrgäste die Ansage "Mind the gap", bitte achten Sie auf die Lücke!

Neben dem fehlenden Mobilfunknetz im Untergrund ist das aber wirklich das einzige, das einem in der Elizabeth Line abgehen kann. Ansonsten ist die neue Bahnstrecke Symbol für eine Metropole, die nicht stehen bleibt.

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