Süddeutsche Zeitung

Europaparlament:Lagarde im Kreuzverhör

Lesezeit: 2 min

Von Björn Finke, Brüssel

Sie gibt sich bescheiden: Christine Lagarde, die designierte Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), nimmt in Raum JAN4Q2 des Europaparlaments ihren Platz neben Luděk Niedermayer ein, dem Vize-Chef des Wirtschafts- und Währungsausschusses. Der Tscheche erteilt Lagarde das Wort. Die Französin, bisher Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), setzt ihre Brille auf und betont erst einmal, dass ihr die nun folgende Anhörung ordentlich Respekt einflöße: "Sie schüchtern mich wirklich sehr ein", sagt die 63-Jährige zu den Abgeordneten.

Tatsächlich dürfte dieser Termin am Mittwochmorgen in Brüssel ungewohnt für Lagarde gewesen sein. Als Leiterin des Washingtoner IWF diskutiert sie normalerweise mit Finanz- und Premierministern. Nun musste sie Parlamentariern Rede und Antwort stehen - von Parteien der Mitte ebenso wie von Rechts- und Linksauslegern. Am Abend stimmten die Abgeordneten ab, ob sie Lagardes Berufung an die Spitze der EZB in Frankfurt gutheißen: 37 Politiker waren dafür, elf dagegen, zwei enthielten sich. Das Votum für die frühere französische Finanzministerin hat allerdings eher symbolische Bedeutung; das Einverständnis des Parlaments ist gar nicht nötig für ihre offizielle Ernennung im Oktober.

Im Monat darauf soll Lagarde dann dem Italiener Mario Draghi nachfolgen, der nach acht Jahren abtritt. Sie wurde im Juli von den Staats- und Regierungschefs der EU nominiert. Die Juristin ist die erste Frau an der Spitze des Instituts - und die erste Nicht-Ökonomin. Allerdings ist auch Jerome Powell Jurist, der Chef der amerikanischen Notenbank Fed. Trotzdem sehen Kritiker das Fehlen eines volkswirtschaftlichen Hintergrunds als Makel an im Lebenslauf der neuen obersten Währungshüterin.

An ihren Führungsqualitäten besteht hingegen kein Zweifel. Lagarde, die in Paris geboren wurde und dort auch studiert hat, könne gut mit Menschen umgehen, Schwieriges einfach erklären und Mitarbeiter begeistern, sagen Beobachter. Seit ihrem Amtsantritt 2011 schaffte sie es, dem einst unbeliebten IWF ein besseres Image zu verpassen. Und mit Finanz- und Wirtschaftspolitik kennt sich Lagarde ebenfalls gut aus: Als Chefin des Währungsfonds konferiert sie regelmäßig mit Finanzministern und Notenbank-Präsidenten aus aller Welt. In der Griechenland-Krise spielte der Fonds eine wichtige - und umstrittene - Rolle.

Lagarde verspricht mehr Einsatz gegen den Klimawandel - ein ungewöhnliches Ziel für eine Zentralbank

Ihre Ausführungen gegenüber den Parlamentariern weisen darauf hin, dass Lagarde manches anders machen wird als ihr Vorgänger. So versprach sie mehr Einsatz gegen den Klimawandel - ein ungewöhnliches Ziel für eine Zentralbank. Doch sollte die EZB wieder anfangen, Anleihen zu kaufen, um mehr Geld ins Finanzsystem zu pumpen, könnte das Institut zum Beispiel verstärkt Papiere von klimafreundlichen Unternehmen erwerben.

Im konservativen Lager stößt vielen die jahrelang lockere Geldpolitik Draghis auf. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der EU-Christdemokraten, sagte etwa, Lagarde solle die Euro-Staaten "langfristig von der Droge des billigen Geldes wegführen". Lagarde ließ aber etwas schwurbelig erkennen, dass unter ihr Geld weiter billig bleiben soll: "Eine hochgradig konjunkturstützende Geldpolitik" sei noch "für eine längere Zeit gerechtfertigt", sagte sie. Gleichzeitig müsse die Notenbank auch die negativen Folgen dieses Ansatzes im Blick haben.

Während der Euro-Krise im Sommer 2012 sagte EZB-Chef Draghi den berühmten Satz, er werde alles tun, was nötig sei, um die Währung zu retten. Lagarde bemerkte dazu während der Anhörung, sie hoffe, "dass ich niemals so etwas sagen muss".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4587462
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.