Korruption in der Pflege:Markt statt Ethik
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Hohe Rendite locken Investoren in den milliardenschweren Pflegemarkt. Der ist so unübersichtlich und wenig kontrolliert, dass Korruption und Betrügereien kaum auffallen. Transparency International hat zusammengestellt, was mit ein bisschen krimineller Energie alles möglich ist.
Von Thorsten Denkler, Berlin
Was mag so ein Mensch kosten, an Bett und Beatmungsmaschine gefesselt, höchste Pflegestufe, aber mit einer unbestimmten Lebenserwartung? Einige Pflegedienste kennen den Preis: 40.000 bis 60.000 Euro würden sie zahlen, um so einen Patienten zu bekommen.
Als perfiden Menschenhandel hat das SWR-Magazin Report Mainz vor gut einem Jahr diese Praktik aufgedeckt. Deren Reporter haben von einem Pflegedienst in einem fingierten Verkaufsgespräch gleich fünf Intensivpatienten zum Schnäppchenpreis von 250.000 Euro angeboten bekommen. Pro Patient sei ein Profit von bis zu 4000 Euro Pro Monat drin - lautet das Versprechen. Gewinnbringende Aussichten also.
Barbara Stolterfoth jagt die Geschichte noch heute einen Schauer über den Rücken. Sie und Anke Martiny haben für die Organisation Transparency International (TI) solche Fälle gesammelt. An diesem Dienstag haben sie ein Heft vorgestellt (PDF), das einen guten Überblick darüber gibt, was an Ausbeutung, Betrügereien und Korruption in der Pflege möglich ist.
Und es zeigt: In der Pflege sind Milliarden zu holen. Allein die gesetzliche Pflegeversicherung gibt jedes Jahr weit über 20 Milliarden Euro aus. Etwa die gleiche Summe kommt aus den Töpfen privater Versicherer, der Angehörigen und den Sozialämtern, die die Pflege für Bedürftige bezahlen müssen. Für die über 2,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland arbeiten heute gut eine Million Menschen als Pflegekräfte oder in der Verwaltung. Mehr als in der Automobilindustrie. Allerdings zu weit geringeren Löhnen.
Das Pflegesystem ist zudem hochkomplex. Es lade schon deshalb "geradezu zu Betrug und Ausbeutung ein", sagt TI-Autorin Martiny.
Ein Problem ist die mangelnde Kontrolle der Pflegedienste und -heime. Ein Pflegedienst, der in einem Stadtbezirk auffällig wird, könne ungeschoren in den nächsten Stadtbezirk abwandern. Der Grund: Es gibt kein einheitliches Register, in dem Regelverstöße verzeichnet werden. Das gilt auch für die Betreiber von Pflegeheimen. Wer in Hamburg mit gefälschten Abrechnungen und Minutenprotokollen aufgeflogen ist, kann damit in Bayern einfach weitermachen. Ohne ein Register erfährt dort niemand von früheren Machenschaften.
Die kriminelle Energie einiger Heimbetreiber kennt kaum Grenzen. Um etwa die Unterbringungskosten künstlich in die Höhe zu schrauben, wird das Heim-Gebäude einfach an einen Dritten verkauft und für viel Geld zurückgemietet. Die höheren Kosten werden den Patienten aufgebürdet. Idealerweise ist das dritte Unternehmen mit dem Pflegebetrieb geschäftlich verbunden. Am Ende bleibt dem Betreiber mehr Geld in der Kasse. Auf Kosten der Patienten. In der Pflege, sagt Martiny, gelten oft nur "Marktgesetze und weniger ethische Prinzipien".
Kleine Betrügereien seien an der Tagesordnung. Beispiel häusliche Pflege: Da wird jede Leistung im Minutentakt abgerechnet. In den Dokumentationsbögen lassen sich schnell ein paar Minuten mehr abrechnen: 25 Minuten den Patienten gewaschen statt der tatsächlichen zehn Minuten. Jede Minute mehr bedeutet bares Geld für den Pflegedienst.
Kreativ ist auch der Umgang mit der Personaldecke. Wie viele Mitarbeiter wie viele Patienten betreuen müssen, ist zwar klar geregelt. Wer aber mit Hinweis auf fehlende Fachkräfte immer leicht unter der Mindestanforderung bleibt, der spart viel Geld und hat wenig zu befürchten. Ein klassischer Fall von Alltagskorruption: Einige Pflegedienste zahlen Ärzten Honorare, wenn sie ihre pflegebedürften Patienten an sie überweisen. Solche Provisionen sind nicht mal illegal, wie der Bundesgerichtshof jüngst festgestellt hat.
Investoren für neue Pflegeheime werden zudem oft mit hohen Renditeversprechen gelockt. Der Deutsche Pflegeheim-Fonds etwa wirbt damit, dass die Mietzahlungen "durch das deutsche Sozialsystem abgesichert" seien. Es bestünden "nahezu keine Ausfallrisiken". Eine Investition in eine Pflegeheimimmobilie biete "gute Renditen bei überschaubarem Risiko".
Renditen von sieben Prozent und mehr müssen ja irgendwoher kommen, stellt Martiny fest. Gespart werde am Pflegepersonal, an der Einrichtung. Und wenn das nicht reiche, dann werde auch schon mal betrogen und gelogen. Martiny hält das alles für ein strukturelles Problem der Pflegebranche. Im System sei zu viel Geld bei zu wenig Kontrolle und zu wenig Transparenz.
Es gibt wohl auch zu wenig politischen Willen, etwas zu ändern. Dass Patienten von einem Pflegedienst zum nächsten Pflegedienst weiterverkauft werden, ist zwar seit mindestens einem Jahr bekannt. Geändert hat sich seitdem aber: nichts.