Süddeutsche Zeitung

Online-Shopping:Erst hamstern, dann knausern

Lesezeit: 4 min

Pandemie und Ukraine-Krieg verändern das Einkaufsverhalten extrem. Welcher Trend bleibt, was nicht mehr läuft, wer am meisten profitiert.

Von Michael Kläsgen

Es lohnt sich, das "Spaghetti-Monster" einmal genauer anzuschauen. So nennt der Onlinehandelsverband BEVH die Grafik, die er für 2015 bis heute erstellt hat. Sie zeigt: Pandemie und Ukraine-Krieg haben das Konsumverhalten der Deutschen stärker verändert als alle anderen äußeren Einflüsse in den Jahren zuvor. Zu sehen ist, wie Verbraucherinnen und Verbraucher auf einmal bestimmte Waren online stark nachfragen und dann völlig umschwenken. Vor allem seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ging es drunter und drüber. Es entstand ein Wirrwarr aus Linien, ein Monster.

Zum Beispiel Artikel des täglichen Bedarfs, also Toilettenpapier oder Nudeln: Erst kam der Hype, dann der Absturz. Nur ein wenig schwächer ausgeprägt sind die Kurven bei Einrichtungsgegenständen wie Schreibtischen. Einmal gekauft, ist das Home-Office schon ein Stück weit eingerichtet. Da braucht man dann lange nichts mehr. Auffällig auch die Bekleidung. Erst gab es einen Kaufrausch, weil viele Mode-Geschäfte wegen Lockdowns geschlossen hatten. Jetzt, da sie wieder geöffnet sind, geht online nicht mehr viel.

Die Spaghetti des BEVH schlängeln sich wie die Amplituden eines Einkaufs-EKG. Vom Hamstern am Anfang der Corona-Krise bis zum Knausern in Zeiten des Ukraine-Kriegs und stark steigender Inflation haben die Bundesbürger einkaufspsychologisch innerhalb von zwei Jahren einige Extreme durchlebt.

Die erratischen Ausschläge sind auch an den Kursverläufen einzelner Aktien von Online-Unternehmen abzulesen. Allen voran stieg zunächst die Aktie von Amazon, dem Inbegriff des Onlinehandels, 2021 auf den bisherigen Höchstwert von mehr als 3200 Euro. Dann stürzte sie auf etwa 2000 Euro ab. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt schwankte auch der Börsenwert von Zalando und anderen E-Commerce-Firmen, international und deutschlandweit: Etsy, Wayfair, Shopify, Alibaba, Mercado Libre bis hin zu Home24 und Westwing.

Wenn der Paketbote nicht mehr so oft klingelt

Der Schwund geht in die Milliarden und trifft auch börsennotierte Pandemie-Gewinner aus anderen Branchen: in Deutschland allen voran die Lieferdienste Hellofresh und Delivery Hero, die gerade noch als Helden gefeiert, nun als Dauer-Dax-Flops bedauert werden. Das Ende des Online-Hypes ist auch an der abnehmenden Klingelfrequenz an den Haustüren zu merken. Das Paketvolumen in Deutschland schrumpfte laut Deutscher Post in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 19 Prozent.

Die Aufs und Abs sind Übertreibungen in die eine wie in die andere Richtung, da sind sich Fachleute einig. Bei Amazon Deutschland ist man daher alles andere als beunruhigt, sondern hakt die Ausschläge als business as usual ab. Alle Onlinehändler eint die Zuversicht, dass Handel spätestens seit der Pandemie ohne E-Commerce kaum mehr denkbar ist, weder für die Konsumenten noch für die Händler. So weit, so ermutigend für die Branche, wenn das Spaghetti-Monster nur nicht auf diesen hässlichen Absturz in den zurückliegenden Tagen deuten würde. Und es sieht aus, dass er zumindest in einigen Bereichen andauern könnte, etwa in der Mode. Viele Menschen kaufen Bekleidung doch lieber im Geschäft.

Dazu kommt: Viele haben angefangen zu sparen. Der Ukraine-Krieg drückt auf die Stimmung. Der Handelsverband HDE korrigierte bereits seine Wachstumsprognosen nach unten. Auch der Onlinehandel rechnet 2022 mit einer Milliarde Euro Umsatz weniger als im Vorjahr. Trotzdem wird das Wachstum voraussichtlich noch zweistellig sein.

Insgesamt geben die Bundesbürger mittlerweile fast 100 Milliarden Euro pro Jahr beim Einkaufen im Internet aus. Jeder siebte Euro, den sie 2021 für Lebensmittel, Elektronik, Möbel oder Bekleidung hinlegten, landete auf den Konten der Onlinehändler.

Wie zögerlich oder intensiv die Verbraucher im Internet shoppen, lässt sich gut messen. Schon zu Beginn der Pandemie im April 2020 hielten sich viele Menschen zurück. Der Umsatz sank - aber nur kurz. Diesmal fällt die Prognose der Händler, stationär wie online, pessimistischer aus: "Es steht zu befürchten, dass die Schockwirkung des Ukraine-Kriegs und die hohe Inflation eine noch größere Wachstumsdelle hinterlassen werden", sagt ein BEVH-Sprecher.

Viele Menschen wollen sparen

Das Kölner Institut für Handelsforschung IFH nennt als Gründe für die Konsumflaute die steigenden Inflationsraten, den Abwärtstrend der Konjunktur und höhere Preise. Jeder vierte vom IFH Befragte hat seine Ausgaben bereits reduziert. Fast zwei Drittel gaben an, sich in der nächsten Zeit beim Einkauf einschränken zu wollen, sie möchten weniger Geld ausgeben für Computer, Bekleidung oder Autos. Jeder Zweite sieht auch Einsparpotential beim Sommerurlaub.

Auf die einzelnen Bereiche des Onlinehandels wirkt sich die schlechte Konsumlaune unterschiedlich aus. Am härtesten spüren die Krise laut BEVH der Online-Modehandel und der Online-Möbelhandel. Es sind genau die Händler, die in der Pandemie besonders stark dazugewonnen haben. Sie stürzen jetzt aus größerer Fallhöhe, siehe Zalando und Home24.

Für andere Dinge geben die Deutschen trotz Krieg und Inflation auch online weiter mehr Geld aus als früher: für Arzneimittel, Lebensmittel, Kosmetik, Tierfutter. Gerade bei Lebensmitteln ist der Trend gegenläufig. Eine zunehmende Zahl von Verbrauchern hat erst vor relativ kurzer Zeit begonnen, regelmäßig Lebensmittel auch oder ausschließlich im Internet einzukaufen. Handelsexperte Mirko Warschun von der Beratungsfirma AT Kearney meint, dass dies für viele immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit werde. Er kann sich vorstellen, dass mal zehn und mehr Prozent des Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel online gemacht werden. Im Moment sind es drei bis vier Prozent. Das heißt, ungeachtet von äußeren Einflüssen werden Online-Supermärkte aller Voraussicht nach weiter Zulauf haben.

Weil der Trend unaufhaltsam zu sein scheint, stürzen sich derzeit viele Anbieter auf den Markt. Der Lebensmitteleinzelhandel ist aus Sicht der Onliner die letzte Bastion, die noch fast ausschließlich vom stationären Handels dominiert wird. Und sie wissen, hier werden stationär die meisten Umsatzmilliarden im Einzelhandel überhaupt gemacht. Auch zehn Prozent des Marktes können daher sehr lukrativ sein, selbst wenn mehrere Anbieter sie sich teilen müssen. Das Beispiel Lebensmittel zeigt auch, dass immer mehr Menschen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie bereit sind, sich für den täglichen Bedarf im Internet einzudecken.

Opa shoppt jetzt online und ist zufrieden

In dieser Zeit hat sich aber noch etwas Entscheidendes zugunsten der Onlinehändler verschoben. Immer mehr über 50- und 60-Jährige haben die Vorzüge des E-Commerce für sich entdeckt. Weil Deutschland eine alternde Gesellschaft ist, ist es für Händler wichtig zu wissen, was diese Altersgruppen tun. Es zeigt sich laut BEVH, dass sie auch im Moment unvermindert weiter online shoppen - obwohl alle Geschäfte wieder geöffnet sind.

Gefragt nach ihrer Zufriedenheit mit dem Onlinehandel, vergaben 80 Prozent der Befragten kürzlich die Bestnote. 2019 waren es nur 48 Prozent. Zudem haben sich sehr viele Verbraucher angewöhnt, vor dem Gang ins Geschäft erst mal im Smartphone nach dem Angebot zu schauen.

Trotz der Aufs und Abs ist der Onlinehandel also ein klarer Gewinner der Corona-Pandemie. Und das ist in Deutschland weitestgehend gleichbedeutend mit Amazon. Ketten wie Douglas, Media Markt oder Ikea versuchen zwar dagegenzuhalten, einige durchaus mit Erfolg. In einer Aufstellung des Handelsinstitutes EHI der 100 größten deutschen Onlinehändler ist und bleibt Amazon aber mit deutlichem Abstand der Spitzenreiter.

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