Süddeutsche Zeitung

Jürgen Trittin:"Hier geht es nicht um Erpressbarkeit"

Lesezeit: 4 min

Als grüner Umweltminister hat Jürgen Trittin gegen die erste Ostseepipeline gekämpft. Die zweite Leitung sieht er anders.

Interview von Michael Bauchmüller und Constanze von Bullion

Die geplante Ostseepipeline Nord Stream 2 bringt viele osteuropäische Staaten auf. Auch die deutschen Grünen lehnen sie ab. Nicht so einer ihrer prominentesten Köpfe, Außenpolitiker Jürgen Trittin, 63. Die Argumente gegen die Pipeline findet er nicht stichhaltig.

SZ: Herr Trittin, Sie waren kürzlich in Moskau. Was macht ein Grüner in diesen Zeiten in Russland?

Jürgen Trittin: Ich wollte mir selbst ein Bild von der Lage vor den Wahlen machen. Mir scheint, da blühen uns langfristig noch einige Überraschungen.

Was meinen Sie?

Das System ist derzeit komplett auf Wladimir Putin zugeschnitten, eine "gelenkte Demokratie". Aber trotzdem gibt es überraschende Entwicklungen, unabhängige Kommunalabgeordnete, Jugendliche auf Demos, die man nicht unterschätzen darf. Putin wird trotzdem wiedergewählt. Aber die Wiederwahl ist der Anfang vom Ende der Ära Putin. Und wir reden schließlich darüber, wie sich dieses System nach Putin neu organisiert. Deshalb müssen wir im Gespräch bleiben - mit der oppositionellen Zivilgesellschaft wie mit der Regierung.

Das klingt recht verständnisvoll gegenüber einem Staat, der die Krim annektiert, in Syrien Krieg führt und Anschläge mit Nervengift im Ausland verüben soll.

Nein, dafür habe ich kein Verständnis. Darum sind ja auch gerade zu Recht die Sanktionen verlängert worden. Aber Russland zu isolieren ist nicht in unserem Interesse. Sicherheit in Europa gibt es nur mit, nicht gegen Russland. Und in der globalen Energiepolitik ist Russland neben Saudi-Arabien und den USA ein Machtfaktor. Es wäre naiv, das zu ignorieren.

Soll Europa also einen Schurkenstaat hofieren, weil es Öl und Gas braucht?

Schurkenstaat: Das haben Sie gesagt! Ob es uns gefällt oder nicht, Russland ist unser Nachbar. Und nein, hier geht es nicht um Erpressbarkeit. Wir erleben gerade eine Neuordnung der Weltenergiemärkte, und wir Europäer müssen uns überlegen, wie wir uns da aufstellen. Die USA haben über 50 Jahre lang dafür gesorgt, dass unser Öl billig bleibt, durch ihre militärische Dominanz im Nahen Osten. Jetzt haben sie sich zurückgezogen, versorgen sich selbst und wollen selber Gas und Öl exportieren. Saudi-Arabien und Russland sind dabei, die Öl- und Gasmärkte der Welt nach ihren Interessen zu gestalten.

Die USA wehren sich gegen die Ostseeröhre Nord Stream 2. Reine Geopolitik?

Die USA waren schon gegen jede Pipeline aus Russland oder der Sowjetunion. Jetzt aber geht es um "America first": Europas Gas soll teurer werden. Das käme der amerikanischen Industrie zugute, aber auch dem möglichen Export von US-Flüssiggas. Jede zusätzliche Pipeline macht das teure Flüssiggas weniger wettbewerbsfähig. Besonders klimafreundlich ist es allerdings nicht. Der CO₂-Abdruck, den es hinterlässt, ist weit größer als beim Pipeline-Gas.

Sie selbst haben sich schon vor zwei Jahren für Nord Stream 2 positioniert.

Nein, ich habe gesagt: Wir können das Projekt nicht verhindern, wenn wir nicht massiv Gas einsparen. Da wollen aber weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission ran. Wenn der Verbrauch nicht gesenkt wird und die Quellen in den Niederlanden, Niedersachsen und Norwegen versiegen, braucht es mehr Importe.

Die Grünen sind gegen Nord Stream 2, genau wie Ukrainer, Balten, Polen und die EU-Kommission. Ohne Grund?

Ich halte die europäische Politik für erratisch. Wir haben ein Gasnetz geschaffen, auf das viele zugreifen können - mit Pipelines und auch Flüssiggas-Terminals. Der Gasmarkt ist liquide, und keiner kann erpresst werden. Die Kommission versucht nun, das privat finanzierte Nord Stream 2 auszubremsen, zum Teil mit Mitteln jenseits des Völkerrechts. Aber sie nimmt europäisches Geld in die Hand, um einen südlichen Pipeline-Korridor zu bauen, zur Freude von Herrn Alijew, dem Autokraten von Aserbaidschan. An entscheidender Stelle dieser Pipeline sitzt dann Herr Erdoğan und entscheidet, wie viel vom Gas zu uns durchgeleitet wird. Guter Autokrat, böser Autokrat - dieses Spiel ist unklug.

Bisher fließt ein Großteil des Gases über die Ukraine. Ist es nicht widersinnig, dass die EU einerseits die Ukraine mit Milliarden unterstützt, ihr zugleich aber eine der größten Einnahmequellen abschneidet?

Dieses Argument stimmt nur zum kleineren Teil. Die Ukraine erhält nicht die Transitgebühren, sondern nur einen Bruchteil, nämlich die Steuern vom Betreiber Naftogaz. Auch künftig wird Gas durch die Ukraine fließen, denn für die 200 Milliarden Kubikmeter Gazprom-Export reichen selbst beide Nord-Stream-Pipelines nicht aus. Die Ukraine könnte sogar Gasspeicher Europas werden. Aber dazu müsste Naftogaz endlich in die Infrastruktur investieren. Die Röhren in der Ukraine verkommen.

Ihre Parteifreunde sehen das anders. Sie solidarisieren sich mit der Ukraine und lehnen Investitionen in fossile Energie ab.

Aber es würde doch auch weniger Gas durch die Ukraine durchgeleitet, wenn Europa seinen Gasverbrauch reduzieren würde, wie es wir Grünen fordern.

Sie klingen wie die rechte Hand von Gerhard Schröder, der den russischen Staatskonzern Gazprom vertritt.

Blödsinn. Seit wann ist Schröder für die Reduktion des Gas- und Ölverbrauchs? Mich selber regt tierisch auf, dass die EU-Kommission kaum etwas unternommen hat, Europa von Gas unabhängiger zu machen. Ihr geht es nur um Diversifizierung, um neue Lieferanten. Meinetwegen kann man Gazprom gerne verhungern lassen, indem man endlich den Gasverbrauch in Europa senkt, durch besser gedämmte Häuser und mehr Energieeffizienz.

Der Naturschutzbund Nabu bekämpft die Pipeline. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Moment mal - als Umweltminister habe ich das Klagerecht durchgesetzt, auf dessen Basis der Nabu jetzt klagt. Ich finde es gut, wenn der Nabu dieses Mittel ergreift. Ich musste aber in meinem politischen Leben lernen, dass man diese Kämpfe nicht immer gewinnt. Ich habe als Bundesumweltminister gegen Nord Stream 1 gestritten und vor den Eingriffen ins maritime Umfeld gewarnt. Das hat vor Gericht leider nicht gereicht. Jetzt soll eine zweite Pipeline gebaut werden, parallel zur ersten. Ich bin skeptisch, dass Umweltargumente diesmal besser ziehen.

Also lohnt es sich gar nicht erst, für das Meeresschutzgebiet zu kämpfen?

Oh doch. Ökologisch ist jeder Eingriff schlecht. Aber so ist das Umweltrecht: Es gibt einen Anspruch auf wirtschaftliche Tätigkeit. Gerichte haben nur eine Abwägung zu treffen, die die Folgen für die Umwelt minimiert. Ganz verhindern kann man solche Projekte in den seltensten Fällen. Die Schlacht wird woanders geschlagen. Und zwar bei der Senkung der Gasnachfrage.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2018
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