Süddeutsche Zeitung

Halbleiter:Intel baut Chipfabriken in Magdeburg

Lesezeit: 4 min

Lange wurde geprüft und verhandelt, nun steht es fest: Deutschland bekommt zwei neue, hochmoderne Fabriken für Halbleiter. Aber auch andere Standorte in Europa gehen nicht leer aus.

Von Helmut Martin-Jung, München

Am Ende seiner Ansprache greift Pat Gelsinger ganz nach oben ins Regal: "Heute", sagt der Chef des Chipherstellers Intel, "heute schreiben wir Geschichte." Und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff scheint durchaus gewillt, dem beizupflichten. Die Entscheidung Intels, in Magdeburg für 17 Milliarden Euro zwei hochmoderne Chipfabriken anzusiedeln, sei schließlich "die größte Investition in der Geschichte" seines Landes. An diesem Dienstag also ist offiziell, worüber lange spekuliert, zuletzt immer konkreter gemunkelt wurde: Deutschland wird der erste Standort von Intels Europa-Initiative. Diese schließt auch Standorte in Frankreich, Italien, Polen und Spanien ein.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobt denn auch Intels Ankündigung als ersten Erfolg des EU-Chip-Acts, der vorsieht, dass Projekte in dieser Branche sowohl von der EU selbst als auch von den Mitgliedsstaaten gefördert werden können. Später sagt auch Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Intel, er sei stolz darauf, dass Magdeburg unter 80 Bewerbern das Rennen gemacht habe. Es sei wichtig, mehr Halbleiter-Fertigung in Europa anzusiedeln, um die Resilienz der Wirtschaft zu erhöhen, aber auch weil man die IT-Industrie zur Bewältigung des Klimawandels brauche.

"So schnell wie möglich" wolle man nun loslegen in Magdeburg, sagt Intels oberster Fertigungschef Keyvan Esfarjan. Man hoffe auf eine Genehmigung durch die EU-Kommission. "Wenn alles läuft wie geplant", könne man in der ersten Jahreshälfte 2023 mit dem Bau beginnen. 2027 könnten dann die ersten Chips aus Magdeburg in Computer eingebaut werden. Von dem ausgewählten Standort zeigt sich Esfarjan angetan, er biete alle Voraussetzungen, die es brauche: Energie, Wasser und qualifizierte Arbeitskräfte. Er betont, dass man zu hundert Prozent Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen werde, insgesamt werde man mehr sauberes Wasser abgeben als man für die Produktion benötige.

3000 Mitarbeiter werde Intel selbst beschäftigen, dazu kämen weitere 10 000 von Zulieferbetrieben, die sich rund um die Fabs, wie man die Halbleiterfabriken im Fachjargon nennt, ansiedeln werden. Der Standort könne auf bis zu zehn Fabs erweitert werden. Aber auch andere Länder in Europa gehen nicht leer aus. Italien bekommt einen Standort, in dem die fertigen Chips weiterverarbeitet werden, das soll insgesamt 5000 Arbeitsplätze schaffen. In Frankreich soll südlich von Paris ein großer Forschungs- und Entwicklungsbereich entstehen, der insgesamt tausend Jobs bringen werde. In Polen wird ein neues Forschungslabor eingerichtet, in Spanien die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Hochleistungsrechnen in Barcelona ausgeweitet.

Intels Investition ist vor allem deshalb interessant für Europa, weil dort nicht bloß Intel-Halbleiter hergestellt werden sollen, also in der Regel Hochleistungs-Chips, sondern weil der Konzern auch verstärkt in die Auftragsfertigung für andere Hersteller einsteigen will, die selber keine eigenen Herstellungskapazitäten haben. An diesen Kapazitäten zur Herstellung von Chips, daran mangelt es derzeit.

Die Folge dieses Mangels ist seit mehr als einem Jahr als "Chipkrise" zum geflügelten Wort geworden: Vom Toaster bis zum Luxus-Auto, ohne Chips funktioniert heute kaum mehr ein Gerät und schon gar nicht ein Fahrzeug. Dabei geht es gar nicht einmal so sehr um Hochleistungs-Prozessoren, wie sie Laptops oder Smartphones antreiben, es sind kleine Halbleiter-Bauteile für ein paar Cent, die allenthalben fehlen. Weshalb Autos und viele andere Güter nicht in gewünschter Menge produziert werden können.

Doch die fehlenden Kapazitäten zur Herstellung lassen sich nicht so schnell aufbauen, sagt der Chip-Experte der Beratungsfirma Gartner, Alan Priestley. Vom Bau eines Werkes bis zu den hochspezialisierten und bis 300 Millionen Dollar pro Stück teuren Maschinen bis hin zur aufwendigen Inbetriebnahme - es dauere drei bis vier Jahre, bis eine Fab massenhaft liefern kann. Auch bestehende Fabs ließen sich nicht so einfach erweitern.

Wenn die Logistik ruckelt

Hinzu kommen technische Zwänge. Die älteren Massen-Chips werden auf 200-Millimeter-Wafern produziert, den Scheiben aus hochreinem Silizium also, die spezialisierte Hersteller wie etwa Siltronic liefern. Die alten Fabriken dafür sind aber schon längst abgeschrieben, die Gewinnmargen gering, daher steckt für die Hersteller kein großer Anreiz darin, diese Billig-Chips zu produzieren. In China, sagt Priestley, würden zwar Fabriken für diese Chips gebaut, würde man sich darauf verlassen, begäbe man sich aber wieder in Abhängigkeit. Eine Lösung wäre es, auch für die alten Chips auf 300-Millimeter-Wafer umzusteigen. "Aber auch die Wafer-Hersteller haben in der Vergangenheit zu wenig investiert", sagt Priestley.

Schließlich ist da noch die oft ruckelnde Logistik. Sie bremst die Hersteller zusätzlich aus. Hauptursache ist die Corona-Pandemie, welche die Lieferketten weltweit durcheinandergewirbelt hat. Aber Chips waren auch schon vor Corona knapp - einfach, weil der Bedarf schneller steigt als die Hersteller an Kapazität nachlegen können. Durch den Krieg in der Ukraine wird nun auch das Neongas knapp, das die Chip-Branche für den Herstellungsprozess braucht, weil Russland und die Ukraine wichtige Lieferanten sind - ein weiterer Stolperstein.

Auch die Konkurrenz investiert

Intel ist nicht das einzige Unternehmen, das große Investitionen in neue Produktionsstätten angekündigt hat. Konkurrent TSMC hatte schon im vergangenen Jahr bekannt gegeben, in den kommenden drei Jahren etwa 100 Milliarden Dollar zu investieren, allein dieses Jahr sollen es 44 Milliarden Dollar sein. Auch Samsungs Halbleitersparte plant bis 2030 mit Investitionen von 125 Milliarden Dollar. Verschiedentlich ist deshalb aus der Branche schon zu hören, es könnten Überkapazitäten drohen.

Für die Hersteller wäre das verlustreich, denn: "Eine Fab ist ein kontinuierlicher Prozess, wenn man sie einschaltet, muss sie durchlaufen", sagt Chip-Experte Alan Priestley. Der Markt sei aber schon immer zyklisch gewesen. Zudem könnten die Firmen vorausschauend planen und erst einmal die Gebäude für die Fabriken errichten lassen, das dauere am längsten, wenn sich dann Bedarf abzeichne, könne man die Maschinen beschaffen und die Produktion hochfahren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5548166
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.