Süddeutsche Zeitung

Infrastruktur:Was Deutschland fehlt

Lesezeit: 3 min

Von Michael Bauchmüller und Catherine Hoffmann, Berlin/München

Martin Schulz hat seine Formel schon gefunden, sie ist so einfach wie griffig. Wenn es in der Schule durchs Dach regne, sagt der SPD-Kandidat, "dann brauchen Sie keine Planungsverfahren, dann brauchen Sie Handwerker". Die genau sind auch die Adressaten der Botschaft: Handwerker, Arbeiter - sie sollen profitieren von mehr öffentlichen Aufträgen. "Wir werden massiv investieren", heißt es in Schulz' Deutschland-Plan.

Die Sache mit den Handwerkern ist freilich auch eine Replik auf die Kanzlerin. Gegen öffentliche Investitionen hat die schließlich auch nichts. "Wir sagen zum Beispiel, von den Mehreinnahmen muss man mindestens ein Drittel investieren", sagt sie im Sommerinterview der ARD. "Es kann auch mehr sein." Nur: Das schöne Geld müsse sich auch "verbauen" lassen. Derzeit aber fehle es vielerorts an Planungskapazitäten, während Auflagen und lästige Klagen die Investitionen entschleunigen. Nicht immer ist die Sache so leicht wie mit den Handwerkern auf dem lecken Schuldach.

"Deutschland zehrt seit mehr als einem Jahrzehnt von der Substanz"

Auch Schulz weiß das, von deutschen Straßen, Brücken und Schulen malt sein Zehn-Punkte-Plan ein düsteres Bild. "Deutschland zehrt seit mehr als einem Jahrzehnt von der Substanz", heißt es darin. "Der Zustand unserer öffentlichen Infrastruktur wird unserem Anspruch als führende Industrienation nicht mehr gerecht."

Allerdings liegt diese Infrastruktur nicht allein in Händen des Bundes, auch Länder und Kommunen sind daran beteiligt, oder Unternehmen wie die Deutsche Bahn. Und da, wo der Bund selbst baut, fehlen tatsächlich häufig die Bauplanungen, um Geld rasch einsetzen zu können; etwa für den Bau oder Ausbau von Autobahnen. Immerhin hatte die große Koalition mit der Aufhebung des Kooperationsverbots aber die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich der Bund auch an der Sanierung von Schulen beteiligen kann.

Da will auch die Union nicht kneifen. "Finanzielle Spielräume, die sich aufgrund der guten Wirtschaftslage ergeben, nutzen wir zur Erfüllung unserer staatlichen Aufgaben nach innen und außen, für Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur", heißt es in ihrem Wahlprogramm. Aber mit einer "Mindestdrehzahl für Investitionen", wie sie Schulz analog zur Schuldenbremse vorschwebt - damit steht die SPD nun definitiv allein.

Doch immerhin schärft der Deutschland-Plan nun die Profile der Parteien. Am Montag meldet sich auch Christian Lindner zu Wort, der mit seiner FDP so gerne wieder in den Bundestag möchte, vielleicht sogar in die Bundesregierung. "Selbstverständlich braucht Deutschland Zukunftsinvestitionen", sagt er. Allerdings seien da vor allem private Investoren gefragt. Für sie müsse die Bürokratie gelockert werden. Eine Investitionspflicht aber sei "altes SPD-Denken", findet die FDP. So kommt der Wahlkampf in Schwung.

Sanierungsbedürftige Schulen,...

...schleppender Breitbandausbau,...

...schadhafte Autobahnen: Marode Infrastruktur ist nicht nur ärgerlich, sie kostet auch Wirtschaftswachstum und Jobs.

Tatsächlich sind die privaten Investitionen für die Volkswirtschaft viel bedeutender als die öffentlichen. So investierte der Staat im vergangenen Jahr 68,2 Milliarden Euro, die Bruttoanlageinvestitionen privater Unternehmen summierten sich dagegen auf 626,1 Milliarden Euro. Staatliche Investitionen machen also nur rund ein Zehntel aller Investitionen aus. Doch gerade bei den privaten Investitionen hakt es.

"Deutschland hat eine massive Investitionsschwäche"

Obwohl die deutsche Wirtschaft hervorragend dasteht und die Unternehmensgewinne Jahr für Jahr deutlich steigen, mag kaum einer in Deutschland investieren. Das zeigen eindrücklich Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Die Unternehmensgewinne der deutschen Kapitalgesellschaften (ohne Banken und Versicherungen) haben sich seit 1991 verdreifacht - sie stiegen von 173 auf 543 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Gleichzeitig schrumpften die Nettoinvestitionen von 85 Milliarden auf knapp 20 Milliarden Euro. Für die Zukunft der deutschen Wirtschaft verheißt das nichts Gutes: Wird langfristig zu wenig investiert, schwächt dies das Wachstum und gefährdet Jobs und Wohlstand.

Diese Wachstumsschwäche wird sich aber nur schleichend zeigen. Noch sieht es recht gut aus: Deutschland ist ohne größeren Schaden durch die europäische Krise gekommen. Die Produktion wächst, die Löhne steigen, und die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die deutschen Exportunternehmen vermelden immer neue Ausfuhrrekorde. Und der Bundesfinanzminister darf die schwarze Null als schönen Erfolg verbuchen: Deutschland zählt zu den wenigen Industrieländern, die Haushaltsüberschüsse erzielen und Schulden abbauen.

Die Sparsamkeit hat aber auch eine hässliche Seite: Die Nettoinvestitionen des Staates sind nach wie vor negativ, das heißt, dass jedes Jahr der Wertverlust der öffentlichen Infrastruktur größer ist als die Neuinvestitionen. Vielen Menschen wird dies schmerzlich bewusst, denn sie erleben täglich den Verfall von Straßen, Brücken oder Schulen. Und auf dem Land warten viele Menschen bis heute auf eine schnelle Internetverbindung. Genau da setzen auch Schulz & Co. an.

"Deutschland hat eine massive Investitionsschwäche, die Infrastruktur wird im internationalen Vergleich immer schlechter, und der Wirtschaftsstandort Deutschland ist zunehmend gefährdet", sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Die Politik muss dringend handeln, um diesen Substanzverlust zu stoppen." Eine Expertenkommission der Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit gefordert, die Schuldenbremse durch eine Investitionsregel zu ergänzen, damit mehr Geld in Infrastruktur, aber auch in Bildung investiert wird. Nun wird sie Programm.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2017
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