Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Europa steht wieder vor einem griechischen Sommer

Lesezeit: 4 min

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel, Berlin/Brüssel

Am Donnerstag trifft sich die Welt in Washington, zumindest ein Teil von ihr. Dort findet das jährliche Frühjahrstreffen von Internationalem Währungsfonds (IWF), G 20 und Weltbank statt. Politiker und Ökonomen werden über die Weltwirtschaft diskutieren, niedrige Zinsen, erhofftes Wachstum, geopolitische Krisen. Große Themen. Am Rande des Treffens wird ein kleiner europäischer Staat die Gespräche beherrschen: Griechenland. Der IWF hat ein entscheidendes Wort mitzureden, wie die dramatischen Probleme dort gelöst werden können.

Wie schlecht die Lage ist, lässt sich aus dem Galgenhumor hochrangiger Beamter der Bundesregierung ablesen, den diese vor Beginn der Gespräche in Washington durchschimmern lassen. Seit dem Treffen der G 20 am 3. November 2011 in Cannes sei am Rande jedes großen Treffens "über dieses Land" geredet worden. Und es sei dabei noch nicht mal so wie bei dem bekannten Spielfilm "Und täglich grüßt das Murmeltier", in dem sich zwar die Tage wiederholten, aber die Szenen wechselten. "Nicht bei Griechenland." Und deshalb werde es auch in Washington "keine abschließenden Antworten geben, sondern nur vorläufige".

Es geht um Punkte, die schon im Sommer 2015 auf dem Tisch waren

Vorläufig heißt: Es wird viel besprochen werden, aber nichts beschlossen. Die Verhandlungen zwischen der Regierung in Athen und den Gläubigern stocken. Es herrscht Uneinigkeit, wie 5,4 Milliarden Euro im Haushalt eingespart werden können. Athens Finanzminister erklärte am Dienstag die Gespräche für unterbrochen. Nach der IWF-Tagung sollen sie fortgesetzt werden, um bis zum 22. April eine Übereinkunft zu erzielen. Dann treffen sich die EU-Finanzminister in Amsterdam. Die Beamten in Berlin buchen diese Sitzung vorsichtshalber unter "Murmeltier-Tag" ab. Ein hochrangiger Beamter der Bundesregierung formuliert es so: "Wir müssen das Treffen am 22. April zur Diskussion nutzen. Aber die Griechen müssen sich vorher einigen." Der Satz läuft in Dauerschleife. Auch in Brüssel.

Noch immer gibt es Streit um die Umsetzung der Reformschritte, die im vergangenen Sommer nach nächtelangem Gezerre von den Staats- und Regierungschefs vereinbart wurden. Die Vertreter von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF müssen diese überprüfen und positiv beurteilen - erst dann kann Griechenland weiteres Geld aus dem bis zu 86 Milliarden Euro umfassenden Hilfsprogramm ausgezahlt bekommen.

Die Überprüfung hätte bereits im Oktober 2015 abgeschlossen sein sollen. Doch es dauert. Die Erfahrung aus den Murmeltier-Jahren lautet: Es hat immer erst geklappt mit Fortschritten, wenn Athen das Geld ausgegangen ist. IWF-Europa-Chef Poul Thomsen hat das jüngst in einem abgehörten Telefonat so geschildert. Und genauso sieht es Berlin: "Liquidität war bisher immer ein Punkt, bei dem sich alle Seiten verständigt haben." Aber noch habe man kein Signal, dass sie knapp werde.

Erfahrungsgemäß bedeutet das, dass sich weiter alles hinzieht. Dass weiter gerungen wird um eine Reform der Renten und der Einkommensteuer. Außerdem um faule Kredite in Bankbilanzen und die Frage, wie der geplante Privatisierungsfonds funktionieren soll. All das sind Punkte, die bereits im Sommer 2015 auf dem Tisch lagen. Überhaupt erinnert vieles an die Situation vor einem Jahr: Griechenland zeigt sich erneut unwillig, die mit den Gläubigern vereinbarten Reformen umzusetzen. Die Geldgeber wiederum regieren ihrerseits wie eh und je: ziemlich unnachgiebig.

Sie halten zum Beispiel strikt an dem Ziel fest, dass Griechenland 2018 einen Primärüberschuss im Haushalt - also ohne Zinszahlungen - von 3,5 Prozent erzielen soll. "Ich bin ein glühender Verfechter, uns daran zu halten, was die Staats- und Regierungschefs beschlossen haben", sagt ein hoher Beamter in Berlin. Der IWF glaubt dagegen, dass ein niedrigerer Überschuss realistischer ist und klappen könnte, wenn die Euro-Länder Athen mit Schuldenerleichterungen stärker entgegenkommen. Das wollen die Euro-Partner, allen voran Deutschland, aber verhindern.

Wie es aussieht, steht Europa erneut ein griechischer Sommer bevor. Das Schlimme daran: Die wirtschaftliche Situation wird nicht besser. Investoren machen einen weiten Bogen um das Land. Wer weiß schon, ob die Regierung nicht bald die Steuern erhöhen muss, weil die Gläubiger dies verlangen? Hinzu kommt: Es gibt strenge Kapitalverkehrskontrollen, das Bankensystem ist alles andere als gesund, das Misstrauen der Sparer entsprechend hoch. Das ist auch der Bundesregierung bewusst. Das dritte Programm für Griechenland sei von dem "Kernmandat" getragen, dafür zu sorgen, "dass ausländische Investoren zurückkommen in das Land. Aber jetzt hängt der Plan." Oder wie ein EU-Diplomat in Brüssel unumwunden zugibt: "Die Lage wird immer miserabler."

Im Juli muss Athen Milliarden zurückzahlen. Geld, das Griechenland nicht hat

Das Hin und Her zwischen Gläubigern und Athen macht die Sache nicht einfacher. "Wenn es so weitergeht, droht eine neue Grexit-Debatte", sagt ein anderer EU-Diplomat. Doch angesichts der Flüchtlingskrise und eines möglichen EU-Austritts Großbritanniens habe in Brüssel niemand ernsthaftes Interesse, über Griechenlands Zukunft im Euro zu spekulieren.

In Berlin allerdings gibt es gute Gründe, den Streit mit Athen schwelen zu lassen. Am Dienstag finden sich diese Gründe in einer Frage wieder: "Wer möchte schon in sein nationales Parlament gehen und wenige Monate nach dem Start des dritten Programms sagen: Alles ist anders?" Nach vorne gedacht heißt das: Finanzminister Wolfgang Schäuble wird den Bundestag erst wieder um Geld für Athen bitten, wenn aus seiner Sicht die Geschäftsgrundlage dafür gegeben ist. Konkret: Der IWF muss mitmachen, die Zahlen müssen stimmen.

Doch wer den Fonds an Bord haben möchte, muss sich auf das einlassen, was der IWF fordert: Schuldenerleichterungen, damit Investoren wieder Vertrauen fassen. Es kann also gut sein, dass sich die Verhandlungen bis in den Juli hinziehen. Dann muss Griechenland Milliarden an die EZB zurückzahlen. Geld, das Athen nicht hat. Spätestens dann wird der Druck groß genug sein, um eine Einigung zu erzielen. Oder das Ganze platzen zu lassen. In Washington jedenfalls werden alle Beteiligten wieder Murmeltier-Tag spielen - und ihre bekannten Positionen aufsagen.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2016
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