Süddeutsche Zeitung

Griechenland-Krise:Der große Graben

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Das Drama um Griechenland spielt längst nicht mehr nur in Athen und Brüssel, sondern in Berlin und Paris, Rom und Helsinki. Und ein wenig auch in der SPD. Es sorgt für tiefe Risse in Europa.

Von Ulrich Schäfer

Die Euro-Gruppe, der Klub der 19 Mitglieder der Währungsunion, ist tief gespalten, wie es weiter gehen soll mit Athen. Auf der einen Seite stehen die Hardliner um Deutschland und Finnland, die notfalls auch bereit sind, einen Grexit hinzunehmen - so muss man die Aussagen des finnischen Finanzministers Alexander Stubb verstehen; und so steht es auch in dem Papier von Finanzminister Wolfgang Schäuble, das am Samstag publik wurde und für so viel Aufregung sorgt. Auf der anderen Seite steht eine Gruppe um Frankreich und Italien, die Griechenland auf jeden Fall in der Euro-Zone halten wollen - koste es, was es wolle. Und die bei dieser Gelegenheit auch ein wenig davon ablenken wollen, dass sie selber große Probleme haben, die europäischen Schuldenregeln einzuhalten.

Niemand fasste diese Spaltung innerhalb der Euro-Gruppe am Sonntag deutlicher zusammen als der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi: Er schleuderte Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in einem Interview mit Il Messagero entgegen, es dürfe keine Demütigung Griechenlands geben: "Zu Deutschland sage ich: Genug ist genug." Wenig später ergänzte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Es wäre fatal für den Ruf Deutschlands in der EU und der Welt, wenn Berlin jetzt nicht die Chance ergreift, die sich durch die griechischen Reformangebote ergibt. Der Grexit muss verhindert werden."

Tatsächlich ist man sich überhaupt nicht einig in Europa

Dabei sah es am Freitag noch so aus, als könne das Drama um Griechenland schneller zu Ende gehen als erwartet. Es gab viel Lob für die neuen Vorschläge, die Alexis Tsirpas' Regierung nach Brüssel geschickt hatte: eine lange Liste mit Einsparungen, dazu etliche Reformen im Beamten- und Wettbewerbsrecht, bei der Steuerfahndung und einiges an Privatisierungen. Die Vorschläge gingen deutlich über das hinaus, was die griechische Bevölkerung nur sechs Tage zuvor in einem Referendum mit großer Mehrheit abgelehnt hatte. Das überraschte viele, und so lautete am Freitag die frohe Kunde aus Brüssel: Vielleicht könne man sich schon am Samstag im Kreis der Finanzminister einigen - und der Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Sonntag sei dann überflüssig.

Tatsächlich jedoch ist man sich überhaupt nicht einig in Europa: Der Poker um die Milliarden für Athen, um ein mögliches drittes Hilfspaket, spaltet die Europäische Union, schon lange kein Streit mehr. Der Riss innerhalb Europas ist in den letzten Tagen entstanden, seit dem Brüsseler Gipfel am vergangenen Dienstag. Und dabei geht es auch um Formfragen.

So führten die Franzosen den Griechen die Hand, als sie in der vorigen Woche ihre Reformliste formulierten; Spitzenbeamte aus Paris halfen ihnen dabei, die Anforderungen der Gläubiger zu erfüllen - bis hin zur Frage, dass man in Brüssel Papiere nicht (wie es Athen bisher getan hat) im Hochformat, sondern im Querformat vorlegt. In Berlin soll man über diese Amtshilfe ziemlich erbost gewesen sein, schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, angeblich habe Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel am vergangenen Dienstag darauf bestanden, dass die Griechen ihre Hausaufgaben alleine erledigen - nicht mit fremder Hilfe.

Jenseits dieser Frage sind sich Deutsche und Franzosen aber vor allem in der inhaltlichen Bewertung der griechischen Vorschläge uneins. Während Frankreichs Präsident François Hollande sich am Freitag, kaum dass die Liste in Brüssel eingegangen war, beeilte, das 13-seitige Schreiben als "sorgfältig" zu loben, verschickte Wolfgang Schäuble am gleichen Tag sein Gegenpapier: Was Athen vorgelegt habe, reiche nicht als Basis für ein drittes Hilfspaket. Schäubles Forderung: Entweder legen Tsipras und seine Links-Rechts-Regierung erheblich nach, verkaufen Staatsvermögen in großem Stil und unterwerfen sich mehr oder weniger dem Reform-Diktat der EU - oder aber sie verlassen die Währungsunion für fünf Jahre, um in dieser Zeit ihre Schulden zu ordnen. Ein Grexit auf Zeit also.

Ausgerechnet Deutschland stellt damit den Zusammenhalt der Währungsunion in Frage. Und damit ist - sollte der heutige Gipfel scheitern - schon klar, wer am Ende den Schwarzen Peter hat: nicht die Finnen, nicht die Litauer oder die Slowaken, die ebenfalls wenig kompromissbereit auftreten; sondern Deutschland.

Der Riss innerhalb Europas verläuft aber nicht nur zwischen Berlin, Paris und Rom. In Finnland könnte die Regierung auseinanderfliegen, sollte es ein drittes Hilfspaket geben. Und die Summen, die im Raum stehen, sind in der Tag gewaltig: EU und EZB gehen von 74 Milliarden Euro aus, der IWF von 78 Milliarden Euro - Geld, das in den Staatshaushalt fließen würde, aber auch in die Banken, die kurz vor dem Kollaps stehen.

In der SPD will die Mehrheit keinen Grexit

Auch die Große Koalition in Berlin steht vor einer Zerreißprobe. Denn in der SPD will die Mehrheit keinen Grexit, die Empörung unter den Genossen war groß, als das Schäuble-Papier am Samstagabend in den sozialen Netzen die Runde macht. Nicht "seriös" sei das, ein "Alleingang" des Bundesfinanzministers, twitterten führende Genossen. Und schon gar nicht sei es abgestimmt mit dem Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Der fiel seinen Parteifreunden dann tief in der Nacht via Facebook in den Rücken und teilte mit, die SPD kenne natürlich das Papier. Die SPD? Oder nur er? Allerdings: Auch Gabriel will keinen Grexit, wie er über Facebook betonte.

All diese Zerwürfnisse kontrastieren auf seltsame Art und Weise mit der breiten Mehrheit, die der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras für seine 180-Grad-Wende im Athener Parlament fand. Gewiss, eine Handvoll Syriza-Abgeordnete stimmte gegen die harten Einschnitte; und Yanis Varoufakis, der ehemalige Finanzminister, erschien gar nicht erst zur nächtlichen Abstimmung im Parlament. Aber ganz im Ernst: Wer hätte noch vor einer Woche gedacht, dass Tsipras überhaupt die Bedingungen der drei Institutionen, der einstigen Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, akzeptieren würde? Und teils sogar noch darüber hinaus gehen würde?

Tsipras also ist über seinen Schatten gesprungen; er hat seine Macht aufs Spiel gesetzt - und hat spät, sehr spät einen Kurs eingeschlagen, den die Europäer, allen voran die Bundesregierung, seit langem fordern. Aber sind auch die Europäer bereit, über ihren Schatten zu springen? Sind sie bereit, der Regierung von Alexis Tsipras die Hand zu reichen, obwohl diese in den letzten Monaten massiv Vertrauen verspielt hat? Oder sind sie dazu nicht in der Lage, weil die Krise in Athen die Europäer immer weiter auseinander treibt?

Legt es Merkel an diesem Sonntag auf einen Grexit an (oder lässt den Gipfel aus einem anderen Grund scheiten), dann hätte sie nicht nur Frankreich und Italien gegen sich. Sondern auch ihren Koalitionspartner in Berlin. Merkel kann dies nicht wollen, sie wird nicht in den Geschichtsbüchern als diejenige dastehen wollen, die Griechenland fallen ließ. Denn dies hätte nicht bloß gravierende ökonomische und soziale Folgen, es würde nicht bloß die Menschen in Griechenland in eine noch tiefere Krise stoßen. Sondern es würde Europa in eine dramatische politische Krise stürzen.

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