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Bericht an den Club of Rome wird 50:"Grenzen des Wachstums" gehört zurück ins Bücherregal

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Wie aktuell ist der gefeierte Klassiker 50 Jahre nach Erscheinen? Das Buch kann nichts mehr zur gesellschaftlichen Debatte beitragen.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Einen Klassiker aus dem Bücherregal zu ziehen, kann sich lohnen, um etwas über das Heute zu lernen. So denken viele Deutsche auch über "Die Grenzen des Wachstums", das vor 50 Jahren auf den Markt gekommen ist. Es könne doch nicht weitergehen mit dem ewigen Wachstum, das zerstöre die Erde, sprenge die planetaren Grenzen, führe in den Untergang - die Thesen von 1972 sind in gegenwärtigen Debatten unverändert beliebt. Doch die Ableitungen der Buchautoren haben sich als falsch erwiesen.

Der Bericht an den Club of Rome lässt nur einen Ausweg aus der angeblich sonst sicher kommenden Katastrophe zu: Die Menschen müssten weniger Kinder bekommen, und das Bruttoinlandsprodukt dürfe nicht mehr wachsen, um dem Kollaps zu entgehen. Diese Vorschläge sind abwegig. Das Buch bereichert nicht das heutige Nachdenken über nachhaltiges Wirtschaften, sondern erschwert es mit seinen falschen Annahmen.

Die historischen Verdienste des berühmten Buchs sind unbestritten. Der Bericht beeinflusste die Umweltbewegung stark, brachte viele Menschen dazu, Atommüll und Abgase kritisch zu bewerten. Der größte Verdienst des Berichts ist, früh und korrekt vor den Gefahren durch die zunehmende CO₂-Konzentration in der Luft gewarnt zu haben, die entsprechende Prognose des Buchs für die Jahrtausendwende trat fast exakt ein. Doch "Die Grenzen des Wachstums" ignorierte völlig die Lösung für die existenzielle Klimakrise: saubere Energien durch Sonne und Wind.

Die Wirtschaft wächst eh langsamer, allerdings nicht wie 1972 prognostiziert

Überhaupt wachsen die großen Volkswirtschaften in Nordamerika und Europa nicht mehr rasant. In den USA hat sich das Wirtschaftswachstum langfristig betrachtet etwas mehr als halbiert, auf durchschnittlich ein Prozent per annum im 21. Jahrhundert. Der Ökonom Dietrich Vollrath von der University of Houston nennt solche Volkswirtschaften fully grown: Sie sind ausgewachsen. Das sei ein Zeichen des Erfolgs, weil die Gesellschaften ein ordentliches Wohlstandsniveau erreicht hätten. Und ein Prozent Wachstum lässt das Bruttoinlandsprodukt über zwei Dekaden immer noch um mehr als 20 Prozent steigen.

Dass das Wirtschaftswachstum gebremst wird, hängt nicht an planetaren Grenzen oder anderen Ideen von 1972. Stattdessen, das zeigt moderne Forschung, liegt es am demografischen Wandel und dem Aufstieg der Dienstleistungen. Der demografische Wandel senkt das Wachstum, weil der Anteil der Arbeiter in der Gesellschaft abnimmt, wenn die Menschen länger zu Uni gehen und länger leben. Die Bildungsexpansion ließ zudem die Gehälter steigen, was im Schnitt die Menschen lieber ins Büro gehen ließ, als viele Kinder zu bekommen. Die Autoren von "Grenzen des Wachstums" hatten das Gegenteil vorhersagt: Reiche Menschen würden umso mehr Kinder bekommen, weil sie sich die leisten könnten. Tatsächlich stecken die Menschen ihr Geld lieber in Dienstleistungen, also in Reisen, Kultur, Unterhaltung, Restaurants.

Dienstleistungen treiben das Wachstum nicht exponentiell. Eine Ärztin, eine Köchin, ein Lehrer können nicht plötzlich zehnmal so viele Menschen behandeln, bekochen oder bilden, sondern brauchen damit trotz technischen Fortschritts ungefähr zehnmal so viel Zeit. Je höher der Anteil der Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt, desto langsamer wächst die Wirtschaft. Das hilft auch der Klimabilanz: Ein neuer Netflix-Film verbraucht weniger Ressourcen als ein neues Stahl-Werk.

Bedenklich lesen sich die Passagen in "Die Grenzen des Wachstums" zur angeblichen Überbevölkerung. Angst vor Überbevölkerung kann koloniale Denkmuster bedienen, die Geburtenrate im reichen Westen ist ja niedriger. Stattdessen warnt das Buch vor "weniger entwickelten Regionen", in denen die Bevölkerung exponentiell zunehmen könnte, die Fortpflanzung könnte außer Kontrolle geraten wie bei "Ziegen". Dabei sprachen schon damalige Zahlen gegen dieses angebliche Risiko: Das globale Bevölkerungswachstum sinkt seit 1963.

Es ist wohlfeil, 50 Jahre später jemandem vorzuwerfen, technische Erfindungen wie Solaranlagen und Windparks nicht vorhergesehen zu haben. Problematisch ist es, Prognosen und angebliche Lösungen von damals heute noch anzuführen, obwohl es neue Einsichten gibt. "Die Grenzen des Wachstums" gehört nicht in die gesellschaftliche Debatte, sondern zurück ins Bücherregal.

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