Süddeutsche Zeitung

Sven Giegold:Von Attac ins Wirtschaftsministerium

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Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold soll Staatssekretär in Berlin werden. Der Ökonom ist einer der bekanntesten Brüsseler Parlamentarier - auch dank seiner bewegten Vergangenheit.

Von Björn Finke, Brüssel

Wer im achten Stock der Brüsseler Dependance des Europaparlaments über die Flure geht, kann Sven Giegolds Büro schon von Weitem erkennen. Dessen Tür bewachen nämlich zwei riesige grüne Stoff-Eisbären. Allerdings wird Giegold, einer der bekanntesten deutschen Europaabgeordneten, wohl bald umziehen: Der künftige Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen will seinen Parteifreund Giegold als beamteten Staatssekretär in das neu zugeschnittene Ministerium lotsen. Voraussetzung ist, dass die Parteibasis dem Koalitionsvertrag und dem Personaltableau zustimmt, aber das gilt als sicher.

Der Abschied aus dem Parlament "fällt mir nicht leicht", schreibt Giegold auf seiner Website, doch in der neuen Regierung stehe eine Aufgabe an, "die von höchster Bedeutung für die Zukunft ist": der klimafreundliche Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Top-Beamter in einem Bundesministerium - das wäre eine weitere bemerkenswerte Wandlung im Leben des 52-jährigen Ökonomen. So beginnt Giegold sein politisches Engagement als Jugendlicher in der Naturschutzbewegung seiner Heimat Niedersachsen. Als Student liebäugelt er kurz mit dem Anarchismus, zur Jahrtausendwende gehört er dann zu den Mitgründern des globalisierungskritischen Bündnisses Attac in Deutschland.

Giegold wird schnell zum Gesicht der Bewegung, ohne ihr Vorsitzender zu sein, denn solche Ämter gibt es nicht. Die inzwischen eingestellte Zeitschrift Neon kürt ihn 2003 zum "wichtigsten jungen Deutschen". Die Linkspartei will ihn als Kandidaten für die Bundestagswahl 2005 gewinnen, aber Giegold winkt ab. Er wird dafür lieber im Jahr 2008 Mitglied bei den Grünen. Als sich die Finanzkrise zuspitzt, ist Giegold, der grüne Wirtschaftspolitiker und Attac-Mitgründer, ein gefragter Talkshow-Gast. 2009 zieht er auf einem sicheren Listenplatz ins Europaparlament ein; hier ist er wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der europäischen Grünen sowie Sprecher der deutschen Grünen-Delegation. Rückblickend sagt Giegold, dass man im "häufig in der Öffentlichkeit unterschätzten EU-Parlament für ganz Europa" vieles erreichen könne.

Der Deutsche gehört zu jenen Parlamentariern, die sich gerne und häufig zu ganz verschiedenen Themen äußern. Doch einer seiner Schwerpunkte ist der Kampf gegen Steuertricks der Konzerne. Das Problem treibt Giegold schon lange um; 2002 war er Mitgründer von Tax Justice Network, einer internationalen Organisation für Steuergerechtigkeit. Das laufende Jahr, Giegolds letztes im Europaparlament, war in der Hinsicht ein gutes. Denn nach jahrelangem Ringen machten der Ministerrat, das Entscheidungsgremium der Staaten, und das EU-Parlament den Weg frei für ein Transparenzgesetz: Konzerne müssen künftig im Internet darüber informieren, in welchem Land sie wie viel Umsatz und Gewinn erzielen und wie viele Steuern zahlen. So können Bürger, Journalisten und Gruppen wie das Tax Justice Network nachvollziehen, ob Unternehmen Profite bewusst in Niedrigsteuerländer verschieben - derartige Machenschaften führen dann zu schlechten Schlagzeilen.

Er fordert eine Vermögensteuer und mehr Umverteilung

Giegold bezeichnet das als "Durchbruch für mehr Steuergerechtigkeit" - ungewöhnlich euphorische Worte für den stets kritischen und krittelnden Grünen-Politiker. Doch es ist eben auch ein persönlicher Sieg: Für dieses Gesetz "habe ich mich lange persönlich eingesetzt", sagt er.

Bei den Koalitionsgesprächen in Berlin gehörte Giegold zum Kernverhandlungsteam und zur Arbeitsgruppe Finanzen und Haushalt. Als Staatssekretär werde er "vermutlich" unter anderem dafür zuständig sein, strengere Gesetze zu Rüstungsexporten zu entwerfen, schreibt er auf seiner Website. Außerdem werde er die Verantwortung für die europapolitischen Aspekte der Arbeit seines Ministeriums tragen - da werden ihm seine Erfahrungen aus Straßburg und Brüssel sicher helfen.

Giegold zeigt sich insgesamt zufrieden mit dem Koalitionsvertrag, nennt es aber "eine große Enttäuschung", dass sich die drei Parteien SPD, FDP und Grüne nicht auf mehr Umverteilung für den Abbau sozialer Ungleichheit einigen konnten. "Eine umverteilende Steuerpolitik und die konsequente Regulierung der Finanzmärkte fehlen im Ampelpaket", schreibt er. Giegold plädiert für eine Vermögensteuer, doch die FDP habe sich gegen Steuererhöhungen gewehrt, klagt er. Trotzdem ist der Politiker offenbar guter Dinge: Die langen Erklärungen zum Jobwechsel auf seiner Website schließt er "mit hoffnungsvollen Grüßen".

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