Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:EZB erhöht Leitzins auf 3,75 Prozent

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Europas Währungshüter hieven den Leitzins auf den höchsten Stand seit 2008 - aber sie verlangsamen das Erhöhungstempo.

Von Markus Zydra

In ihrem Kampf gegen die hohe Inflation hat die Europäische Zentralbank den Leitzins zum siebten Mal in Folge auf jetzt 3,75 Prozent erhöht. Allerdings fiel der Aufschlag mit 0,25 Prozentpunkten deutlich niedriger aus als bei den vorherigen Beschlüssen. "Die Inflation ist zu hoch, wir wissen, dass wir noch mehr tun müssen. Wir machen da keine Pause", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt. Wie stark die Zinsen noch steigen müssten, um die Inflation von derzeit sieben Prozent auf das Ziel von zwei Prozent zu drücken, sei unklar. "Ich habe keine magische Zahl. Es ist eine Reise, wir wissen es, wenn wir da sind, und zwar, wenn die Zinserhöhungen die gewünschte Wirkung entfalten", sagte Lagarde. Einige Notenbanker im EZB-Rat wollten den Zins sogar noch stärker anheben.

"Im Euroraum gibt es jetzt noch einen oder zwei weitere Zinsschritte, dann ist erstmal Pause", meint Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. Erst gegen Jahresende werde man sehen, ob die Zinsen weiter steigen werden. "Dann ist es besser einschätzbar, ob das Zinsmedikament gegen die hohe Inflation anschlägt", sagte der Ökonom. Durch die höheren Zinsen möchte die EZB Investitionen und Nachfrage bremsen, dadurch sinkt die Inflation. Allerdings dauert es in der Regel mehr als ein Jahr, bis die Zinserhöhungen ihre volle Wirkung im Wirtschaftsleben entfalten.

Europas Notenbanker blicken inzwischen verstärkt auf die sogenannte Kerninflation, bei der die besonders schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden. Dieser Wert, der den mittelfristigen Trend des Preisanstiegs besser widerspiegeln kann, lag im April mit 5,6 Prozent nur ein zehntel Prozentpunkt unter seinem Höchststand in der Geschichte der Währungsunion.

"Die jüngsten Tarifabschlüsse haben die Inflationsrisiken erhöht", sagte Lagarde. Die kräftigeren Lohnabschlüsse dürften ihr zufolge in diesem Jahr stärker zum Preisauftrieb beitragen. Die Befürchtung ist: Allzu hohe Lohnsteigerungen könnten eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale auslösen. In diesem Fall schlagen Unternehmen die höheren Lohnkosten auf die Preise, was wiederum höhere Lohnforderungen nach sich zieht, sprich, die Inflation würde sich selbst nähren.

Gleichzeitig haben Ökonomen aber festgestellt, dass es auch die Unternehmen sind, die die Inflation nach oben treiben: Sie haben ihre Preise deutlich stärker erhöht, als es die steigenden Kosten rechtfertigen würden und machen satte Profite. Man spricht inzwischen von der "Gewinn-Preis-Inflation".

Die Währungshüter haben den Leitzins seit Juli 2022 von null auf 3,75 Prozent angehoben. Das hohe Tempo war nötig, weil die EZB die Inflationsgefahr zu lange unterschätzt hatte. Der schnelle Zinsanstieg hat Folgen für den Bankensektor: Leitzinsen bilden die Grundlage für die Preisbildung an den Finanzmärkten. Die Anleihebestände der Banken verlieren mit jeder Zinserhöhung mehr an Wert. Für Banken entstehen dadurch Verluste - zunächst "nur" buchhalterisch, weil Kreditinstitute die Schuldscheine bis zum Laufzeitende halten können, wodurch das bilanzierte Minus nach und nach verschwindet.

Die höheren Zinsen könnten zu Kreditausfällen in den USA und Europa führen

Doch manchmal müssen Banken die Anleihen sofort verkaufen, etwa wenn Sparer ihre Einlagen zurückfordern. Das ist der amerikanischen Silicon Valley Bank passiert. In einem solchen Fall schlagen die Verluste voll durch, und das Eigenkapital der Bank wird im schlimmsten Fall aufgebraucht. Zuletzt musste die First Republic Bank gerettet werden - sie wurde von der Großbank JP Morgan übernommen. Ungeachtet dessen hat auch die amerikanische Federal Reserve angesichts der hohen Inflation den Leitzins am Mittwoch weiter angehoben.

Experten gehen davon aus, dass die höheren Zinsen zu Kreditausfällen in den USA und Europa führen werden, weil manche Privathaushalte, Häuslebauer und Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Das wird die Banken finanziell belasten. Angesichts der anhaltenden Turbulenzen auf dem US-Bankenmarkt und der Gefahr eines erneuten Überschwappens der Unruhe auf Europa lautet die Frage: Wie lange kann die EZB ihre Zinspolitik fortsetzen, ohne die Wirtschaft und das Bankensystem allzu sehr zu stressen? Die überraschenden Pleiten der Credit Suisse und einiger US-Institute haben den Finanzsektor derart schockiert, dass die Banken ihre Kreditvergabe an die Wirtschaft daraufhin zusätzlich verteuert und verknappt haben. Genau diesen Effekt möchten die Notenbanken erzielen: Deshalb könnte die EZB ihre Zinserhöhungen vielleicht früher beenden als gedacht.

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