Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:Lagarde muss sich politisch einmischen

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Von Markus Zydra, Frankfurt

Christine Madeleine Odette Lagarde, 63, ist eine Frau mit vielen Fähigkeiten. In jungen Jahren reüssierte sie als Synchronschwimmerin bei französischen Meisterschaften. Nach dem Studium in Paris stieg sie bei der amerikanischen Großkanzlei Baker&McKenzie auf. Später folgte die Berufung zur französischen Wirtschafts- und Finanzministerin. In den letzten acht Jahren lenkte die Mutter zweier längst erwachsener Kinder den Internationalen Währungsfonds (IWF). Jetzt ist sie erneut Novizin: Zum 1. November übernimmt Lagarde von Mario Draghi die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB).

Lagarde gilt als trittsicher auf dem internationalen polit-ökonomischen Parkett. Allerdings fehlt ihr langjährige Arbeitserfahrung in einer Notenbank und damit das akademische Rüstzeug einer versierten Geldpolitikerin. Sie ist studierte Juristin, keine Ökonomin. Schafft es Lagarde, das zu leben, was viele Notenbanker in den letzten 30 Jahren zu kultivieren versuchten? Politisch unabhängig zu sein, indem man dem Druck der Finanzminister widersteht.

Notenbanker sind die Alchemisten der Wirtschaft. Sie schaffen Geld aus dem Nichts. Dieses Privileg machte die Währungshüter in ihrer knapp 400-jährigen Geschichte immer wieder interessant für die Schatzmeister des Staates. Geld aus der Druckerpresse, um Politiker als großzügig dastehen zu lassen - diese Art der politischen Einvernahme führte zu desaströsen Inflationen, durch die Bevölkerungen ihr Vermögen verloren haben. Aus diesen Erfahrungen erwuchs der Wunsch, den Notenbankern mehr Autonomie zu geben, als Schutzwall vor der Finanzministern.

"Eine große Errungenschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts war die Erlangung der Unabhängigkeit der Zentralbanken in den westlichen Industrienationen. So war schon die US-Notenbank Federal Reserve seit ihrer Gründung 1913 unabhängig, und auch die Bundesbank wurde 1957 so geschaffen", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. Die deutsche Notenbank war das Vorbild für die EZB. Die politische Unabhängigkeit der Notenbanker ist ein relativ junges Phänomen. "Nach dem Zusammenbruch des Gold-Standards sowie den hohen Inflationsraten der 70er- und frühen 80er-Jahre wollte man damit im Kampf gegen die Inflation die Glaubwürdigkeit stärken", sagt Joachim Fels, Direktor beim amerikanischen Vermögensverwalter Pimco.

Doch mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren haben Notenbanken der westlichen Industriestaaten eine zusätzliche Funktion übernommen. Nur sie schienen dazu fähig, das Finanzsystem schnell und effektiv zu stabilisieren, durch das Absenken des Leitzinses auf nahe null Prozent und vor allem durch den Ankauf von Staatsschulden. Diese lockere Geldpolitik ohne historisches Beispiel hat die Grenze zwischen den Sphären der Notenbanker und Regierungen durchlässig gemacht. Auch in der EU.

Lagarde könnte den Spieß umdrehen - und etwas von den Politikern fordern

Die neue EZB-Präsidentin Lagarde wird sich mit diesem Erbe Draghis auseinandersetzen müssen. Der Italiener hat viele Leitplanken gesetzt, die Lagarde so schnell nicht wird verschieben können. Kurz vor seinem Abschied möchte Draghi die Geldpolitik noch weiter lockern. So gilt die Entscheidung des EZB-Rats zur Erhöhung des Strafzinses auf Bankeinlagen im September als sicher. Dieser Plan hat die Kritik aus Deutschland an einer "politisierten EZB", der es nur um die Rettung Italiens gehe, erneut verschärft.

Viele Deutsche orientieren sich intellektuell an der geldpolitisch strengen Bundesbank. Dabei wird oft unterschlagen, dass auch Deutschlands Währungshüter in ihrer Geschichte deutsche Staatsanleihen gekauft haben. Ebenso erlebte Deutschland zu D-Mark-Zeiten längere Perioden, in denen das Geld der Sparer real nichts mehr abwarf. Der Streit darüber, ob die EZB zu weit geht, akzentuiert die Frage, wo die Grenzen verlaufen zwischen einer politisch "unabhängigen" und "abhängigen" Notenbank.

Geldpolitik ist, wie der Begriff schon sagt, auch Politik, und zwar in dem Sinne, dass sie verbindliche Rahmenbedingungen setzt für den Preis des Geldes. Mit ihren Maßnahmen steuern Notenbanker die Wirtschaft und beeinflussen auch die Vermögensverteilung in einem Land. Aktionäre und Hausbesitzer haben enorm von der Nullzinspolitik profitiert, viele andere aber nicht. Die EZB und andere Notenbanken mögen sich als politisch unabhängig begreifen, dennoch wirkt ihre Geldpolitik inzwischen so stark in den Wohlfahrtsbereich der Gesellschaft, dass die Frage der Legitimation inzwischen zu Recht gestellt wird. Schließlich sind gewählte Parlamentarier für Verteilungsfragen zuständig, und nicht die Währungshüter. Dieses grundsätzliche Legitimationsdefizit wird noch verstärkt durch den Fachjargon der Währungshüter, der für den allergrößten Teil der Gesellschaft schlicht unverständlich ist. Als Beleg mögen die Reden der EZB-Granden dienen, die auf der Homepage einsehbar sind.

Viele Interessengruppen zerren an den Währungshütern

Inzwischen mischen sich Politiker immer stärker ein in die Geldpolitik. US-Präsident Donald Trump forderte von der Fed so lange eine Zinssenkung, bis sie schließlich kam. Die amerikanische Notenbank steht nun als Umfaller da, obwohl sie den Schritt gut begründen konnte. Auch in Europa gibt es Politiker, die von der EZB fordern, die Staatsschulden komplett zu übernehmen. Auch die Idee vom Helikoptergeld kursiert, mit der Notenbank als Füllhorn, die jedem Bürger direkt Geld überweist. Und die Modern Monetary Theory aus den USA findet Anhänger. Zentralbanken könnten demnach problemlos Staatsschulden finanzieren, solange das Geld in rentable Investitionen fließe. Viele Interessengruppen zerren an den Währungshütern und rufen: Macht mehr, ihr Alchemisten, ihr könnt es doch!

Es ist eine vertrackte Situation, denn in den 80er-Jahren hatten Notenbanken die besseren Argumente. Sobald die Inflation anzog, konnte man den Geldhahn ohne großen Widerstand zudrehen. Doch seit vielen Jahren bleibt die Teuerung aus, trotz des billigen Geldes. Und weil die EZB mit knapp zwei Prozent eine bestimmte Inflationsrate erreichen möchte, macht sie weiter mit Nullzins und Anleihekäufen. Sie stützt dadurch auch unrentable Banken und fördert das Überleben von Zombieunternehmen. An den Börsen entstehen gefährliche Preisblasen.

Lagarde sollte die EZB aus diesem Teufelskreis befreien, indem sie im Clinch mit den Politikern den Spieß umdreht und sagt: "Ihr wollt noch mehr von uns? Nein, wir wollen jetzt was von euch! Ihr seid dafür zuständig, Geld in die Hand zu nehmen, für Bildung, Brücken und Internet. Ihr müsst die Euro-Zone krisenfest machen." Im Bundesfinanzministerium darf man sich darauf einstellen, dass sich die neue EZB-Präsidentin politisch einmischen wird - für staatliche Mehrausgaben. Lagarde muss es tun, denn Europas Wirtschaft schwächelt, und die EZB ist am Ende ihrer vertretbaren Möglichkeiten.

Und eines noch: Lagarde sollte rausgehen zu den Bürgern Europas. Die EZB gerierte sich zu lange als elitäres Hohes Gericht, das in vermeintlich grenzenloser Weisheit über den Preis des Geldes befand. Doch dieses Wirken in der Geheimloge kann den Herausforderungen einer immer komplexeren Welt kaum genügen. Die Belegschaft der EZB hat diesen Missstand bemerkt. Die Gewerkschaft beklagte in einem offenen Brief "Ja-Sagertum" in der EZB; neue Ideen hätten kaum eine Chance.

Lagarde galt beim IWF als gute Managerin, als eine, die zuhörte und auch Fehler eingestand. Genau diese Eigenschaften könnten der EZB jetzt gut tun.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2019
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