Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Mehr Härte, bitte

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Brüssel gibt die Milliarden aus dem Corona-Hilfstopf frei. Diese neue Form europäischer Solidarität kann die Gemeinschaft stärken - aber nur, wenn die EU-Kommission die Staaten konsequent kontrolliert.

Von Björn Finke

Die große Scheckbuch-Tour geht weiter - und an diesem Dienstag ist Deutschland das Ziel: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reist durch die Mitgliedstaaten und überbringt persönlich die frohe Botschaft, dass ihre Behörde die nationalen Pläne für die Milliarden aus dem Corona-Hilfsfonds bewilligt hat. Von der Leyen macht sich die Mühe, weil dieses Programm eins der wichtigsten ihrer Amtszeit sein wird. Dass es auch ein Erfolg wird, ist aber nicht sicher. Nötig dafür wären strikte Kontrollen durch die Kommission, ob die Regierungen die Geldgeschenke wie vereinbart verwenden und die versprochenen Reformen umsetzen. Nötig wäre ebenso der Mut, bei Verstößen konsequent Härte zu zeigen und den Geldhahn zuzudrehen.

Die Erfahrungen mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt lassen jedoch Böses ahnen: Die Kommission überwacht die Einhaltung dieser Regeln für solide Haushaltsführung, und statt Härte herrscht hier der unbeugsame Wille zu unbedingter Nachsichtigkeit vor. Seit einem guten Jahr ist der Pakt wegen der Pandemie ohnehin ausgesetzt; im Herbst will die Brüsseler Behörde Vorschläge unterbreiten, wie das Regelwerk weiterentwickelt werden kann. Im Zweifel würden die Vorschläge die Regeln noch biegsamer gestalten.

Diese Nachsichtigkeit - ob beim Stabilitätspakt oder den Corona-Hilfen - ist allerdings fatal, denn sie erzeugt ein gefährliches Ungleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten der Staaten, zwischen Solidarität und Solidität. Der Corona-Topf stellt einen bedeutenden Schritt hin zu mehr europäischer Integration dar, und er führt zu mehr Umverteilung von Bürgern reicher zu Bürgern armer Staaten. Es gibt triftige Gründe für diesen Fonds, doch diese neue Qualität an europäischer Solidarität muss begleitet werden von mehr finanzpolitischer Solidität: Regierungen, die gerne Milliardenhilfen akzeptieren, müssen auch ihre Verpflichtungen ernst nehmen. Sie müssen in guten Zeiten ihre Schuldenberge abtragen, so wie es der Stabilitätspakt vorschreibt. Und sie müssen ihre Länder mit Reformen wettbewerbsfähiger machen, so wie es die Regeln für den Corona-Topf verlangen.

Beides ist schmerzhaft und widerspricht den Interessen von Regierungschefs, die vor allem an die nächste Wahl denken. Daher ist es so wichtig, dass die Kommission als harte Kontrolleurin auftritt, die nicht vor Strafen zurückschreckt. Es ist nicht die Aufgabe der Kommission, flexibel zu sein und Ausflüchte zu finden, wieso das hohe Haushaltsdefizit eines Mitgliedstaats doch regelkonform sein könnte. Oder wieso eine versprochene Arbeitsmarktreform länger auf sich warten lässt. Aufgabe der Kommission ist es, eisern auf solide Finanzen und das Einhalten von Zusagen zu drängen - zum Wohle Europas und um zu verhindern, dass Bürger reicher Staaten sich als ausgenutzte Deppen fühlen, die ein Fass ohne Boden füllen.

Rom spart nicht genug - und andere müssen dafür zahlen

Schließlich ist der Corona-Fonds nur nötig, weil Regierungen wie die italienische ansonsten nicht genug Spielraum hätten, ihrer Wirtschaft zu helfen. Die Regierung in Rom hätte freilich mehr Spielraum, wenn sie die Staatsfinanzen während des langen Aufschwungs vor der Pandemie in Schuss gebracht hätte - so wie es der Stabilitätspakt vorsieht. Tatsächlich stiegen aber die Staatsschuldenquoten in Italien oder Frankreich. Das darf sich nicht wiederholen: Solidarität muss immer gepaart sein mit Eigenverantwortung; der Empfänger muss alles dafür tun, künftig nicht wieder von der Unterstützung anderer abhängig zu werden.

Das Revolutionäre am Corona-Topf ist, dass die Kommission dafür erstmals im großen Stil Schulden machen darf. Diese werden aus dem EU-Etat abgestottert, also letztlich von den Steuerzahlern, vor allem denen reicher Länder. Um das Begleichen zu vereinfachen, soll die EU zudem eigene Abgaben erheben dürfen. Die Behörde betont stets, der Fonds sei nicht auf Dauer konzipiert, sondern als Ausnahme. Das mag auf dem Papier stimmen, doch de facto schafft das Projekt einen Präzedenzfall; es etabliert das Prinzip, dass sich die EU verschulden kann, wenn einzelne Staaten in der Krise Geld brauchen.

Dieses neue Prinzip nützt der EU: Europa wird widerstandsfähiger, wenn Brüssel Ländern in Krisen mit Konjunkturhilfen beispringen kann, finanziert über EU-Schulden. Die Anleihen der Kommission wiederum - versehen mit Top-Bonitätsnoten - stärken die Bedeutung des Euro als weltweite Reservewährung und bieten Banken eine sichere Anlagemöglichkeit.

Mehr europäische Solidarität ist also gut. Aber nur, wenn sich die Regierungen an die Regeln halten - und die Kommission Verstöße rücksichtslos ahndet.

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