Süddeutsche Zeitung

Emissionstest:VW schummelt - die anderen auch

Lesezeit: 4 min

Von Michael Bauchmüller und Thomas Fromm

Bei der amerikanischen Umweltbehörde EPA nennen sie es einfach nur "the switch" - den Schalter. Wie der genau funktioniert, das kann alle Welt nun nachlesen, im offiziellen Beschwerdeschreiben der EPA. "Der Schalter spürt auf, ob das Fahrzeug getestet wird oder nicht", heißt es da, "basierend auf verschiedenen Informationen." Die Stellung des Lenkrads zählt dazu, das Tempo, selbst der Luftdruck - lauter typische Merkmale eines Autotests durch die Umweltbehörde. Dann schaltet ein Golf oder Passat Diesel automatisch ins Schadstoff-Sparprogramm, in die "Dyno Calibration" - aber auch nur dann. Ist der Test zu Ende, läuft wieder das Programm "Road Calibration". Prompt steigt dann der Ausstoß von Stickoxiden an, um das zehn- bis vierzigfache.

Haarklein hat die EPA diesen "switch" beschrieben, es ist der Beleg einer atemberaubenden Manipulation - die dennoch nicht überraschend kommt. Denn schon seit Langem ist klar, dass die Testergebnisse vieler Fahrzeuge mit dem Verbrauch und Schadstoff-Ausstoß im realen Betrieb wenig gemein haben. So verglich die Verkehrs-Forschungsgruppe ICCT die Herstellerangaben mit den realen Kohlendioxid-Emissionen. Ergebnis: Im Durchschnitt wich die Realität um 38 Prozent vom Verkaufsprospekt ab, zu Ungunsten der Hersteller. "Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass neben Volkswagen auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren", sagt Gerd Lottsiepen, Experte beim alternativen Verkehrsverband VCD. "Und das nicht nur in den USA."

Die Branche selbst weist das weit von sich. "Es gibt nach unseren Erkenntnissen keine Untersuchungen zu Mercedes-Benz", heißt es etwa bei Daimler in Stuttgart. Und bei BMW teilt man mit: Man sei nicht von den US-Behörden kontaktiert worden. Diesel-Modelle seien in den USA getestet worden, aber: ohne Befund. "Wir haben nur geringe Abweichungen zwischen den Werten am Prüfstand und denen auf der Straße", heißt es aus München.

Die deutschen Automobilkonzerne haben mittlerweile Angst vor einem ganz anderen "switch" - weg vom Diesel. Schon jetzt läuft das Geschäft mit Diesel-Autos in den USA mau. Die Konzerne versuchen seit Jahren, ihre Diesel als sparsamere und umweltfreundlichere Alternative zum Benziner anzupreisen. Im vergangenen Jahr wurden in den USA 102 400 Autos mit Diesel-Motor verkauft. Marktanteil der deutschen Hersteller: 94 Prozent. Es geht in der Causa Volkswagen also um viel Geld - und zwar auch um das Geld der anderen. "Ein riesiger Mist, das Ganze wirft uns beim Diesel zurück", heißt es aus der Industrie.

Die Umweltbehörde EPA ist sich sicher, dass VW die Software selbst gefertigt hat

Die Botschaft der Konkurrenten ist klar: Die Manipulationen seien offenbar nur ein Problem von VW; die bei den VW- und Audi-Modellen eingesetzten Programme seien eine Art Spezialsoftware. Wer diese Software entwickelt hat, ob sie auch in Europa eingesetzt wird, und ob sie von VW selbst in die Autos gespielt wurde - dies prüfe man derzeit, erklärt der Konzern aus Wolfsburg. Die US-Umweltbehörde dagegen ist jetzt schon sicher, dass Volkswagen die Software nicht nur installiert, sondern auch gefertigt hat. So jedenfalls steht es im Beschwerdeschreiben. Wie teuer das den Konzern kommt, wann Volkswagen wieder einen Diesel auf dem US-Markt wird zulassen können - all das weiß keiner.

Der deutsche Konzern war durch ICCT-Untersuchungen ins Visier der Behörde geraten. Dessen Experten fanden vor allem bei den Dieselmodellen Jetta und Passat massive Abweichungen der realen Emissionen vom Laborwert. VW habe diese nicht erklären können, auch eine Rückrufaktion im vergangenen Dezember habe an den übermäßigen Emissionen nichts ändern können. Kaliforniens Umweltbehörde schließlich holte sich VW-Autos in die Werkstatt und fand dort den Schalter. Seither ist der Wolfsburger Konzern in Erklärungsnot. Von "krimineller Energie" spricht die Deutsche Umwelthilfe - und fordert den Rücktritt von VW-Chef Martin Winterkorn. Das Umweltministerium verlangt "lückenlose Aufklärung". Von weiteren Schummeleien wisse man aber nichts.

Die Konzerne liefern die Autos für die Tests - und können sie passend präparieren

Dabei lädt Europas System der Emissionsmessung zum Tricksen ein. Ob zum Beispiel ein Auto eine Euro-Norm einhält, wie viel Sprit es braucht und wie sehr es das Klima belastet, das wird in der EU nicht auf der Straße gemessen, sondern im Labor. Beim "Neuen Europäischen Fahrzyklus" messen zertifizierte Experten die Emissionen am Rollenprüfstand. Er simuliert verschiedene Geschwindigkeiten, die Abgas- und Verbrauchswerte sind quasi amtlich.

Damit haben die Hersteller einen großen Anreiz, die Werte zu schönen, und das ganz legal. Sie können etwa den Testautos Leichtlaufreifen verpassen und diese prallvoll aufpumpen, das mindert den Verbrauch. Oder aber, sie hängen die Batterie vor dem Test noch flott an die Steckdose - das schont die Lichtmaschine, denn aufzuladen hat der Motor dann nichts mehr. Spielraum lässt auch die Einstufung in Gewichtsklassen; besonders förderlich ist für manchen deutschen Hersteller die Begrenzung der Test-Höchstgeschwindigkeit auf 120 Kilometer pro Stunde. Die aerodynamischen Nachteile von Geländewagen, etwa ein rapide steigender Verbrauch bei höheren Geschwindigkeiten, fällt so nicht weiter auf. Nur mit dem Verbrauch auf der Straße haben die Werte nicht viel gemein.

Auch Europa arbeitet derzeit an neuen Regeln, von 2017 an soll der internationale Prüfstandard WLTP gelten. Er sieht erstmals auch Tests auf der Straße vor, mit strengeren Regeln. Kürzlich unterzogen die ICCT-Experten 32 Autos der Schadstoffklasse Euro 6 dem neuen Verfahren. Alle 32 hatten die Stickoxid-Vorgaben in Europas Fahrzyklus-Test mühelos eingehalten. Doch beim WLTP-Test fielen 22 Autos durch. "Das ist ein Indiz dafür, dass Hersteller ihre Fahrzeuge auf den gegenwärtigen Prüfzyklus optimiert haben", sagt Peter Mock, Europa-Chef der Forschungsgruppe. "Ich vermute nicht, dass Volkswagen ein Einzelfall ist."

Ob mit dem neuen Verfahren alles besser wird, ist allerdings noch nicht sicher, Gespräche laufen noch. Zwar sollen neben die Labortests auch solche auf richtigen Straßen treten. Doch womöglich bleiben sie manipulationsanfällig: Denn die Hersteller sollen ihre Autos dort selbst testen.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2015
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