Süddeutsche Zeitung

Elektroschrott in China:Friedhof der Kühlschränke

Lesezeit: 4 min

Sie leben von dem, was die Konsumgesellschaft wegwirft: Tausende Menschen in Pekings Vorort Dongxiaokou verwerten Elektroschrott. Sie schaden sich und der Umwelt. Peking schaut zu.

Von Marcel Grzanna, Peking

Kühlschränke. Hunderte. Aber die Cola ist brühwarm. Handwerker Fan Baoquan läuft der Schweiß über den nackten Oberkörper. 33 Grad zeigt das Thermometer. Er nimmt einen großen Schluck aus der Dose. Die Kühlschränke benutzen will er nicht. Der Strom ist ihm zu teuer. Fan repariert sie nur und verkauft sie weiter. Die Nachbarn machen das ähnlich. Sie alle bringen ausrangierte Haushaltsgeräte oder Fernseher zum Wiederverkauf auf Vordermann, oder sezieren wertvolle Metalle aus Computern und Mobiltelefonen.

Die kleine Siedlung entlang einer schmalen Schotterstraße im Pekinger Vorort Dongxiaokou ist das inoffizielle Zentrum der Elektroschrottverwertung in der chinesischen Hauptstadt. Hunderte zugereiste Familien aus anderen Provinzen leben von dem, was Pekings Konsumgesellschaft tonnenweise wegwirft. Wer hier ansiedelt, führt ein Leben in der Werkstatt und macht in Recycling. Illegal und schädlich für die Umwelt, aber geduldet von der Regierung, weil die keine bessere Idee hat, was mit dem Schrott passieren soll.

Über die Jahre hat sich die Gesetzgebung zwar verschärft. Die Hersteller werden stärker in die Pflicht genommen, die Verschrottung alter Geräte ist Pflicht. Auch der Import von Schrott aus den Industrieländern wurde verboten. Doch die Realität sieht anders aus. Der Schmuggel von Elektroschrott nach China blüht, Investoren wollen sich nicht in der Branche engagieren, weil sie als unrentabel gilt - die Umweltauflagen kosten viel Profit. Noch dazu machen Leute wie Fan und seine Nachbarn den Unternehmen mit ihrer Haustür-Taktik das Geschäft kaputt. Sie ziehen auf ihren Rikschas durch die Städte und schwatzen den Leuten für wenig Geld die alten Geräte ab, bevor sie ein professionelles Unternehmen in die Finger bekommt. "Das Umweltbewusstsein in China ist ziemlich gering. Wenn jemand seinen alten Kühlschrank für ein paar Yuan weiterverkaufen kann, wird er es lieber tun, statt angemessen zu entsorgen", sagt Professorin Zhang Kejing von der Donghua-Universität in Shanghai, die sich mit der Verwertung von Elektroschrott beschäftigt.

Nur als Peking die Konsumenten mit Abwrackprämien lockte, konnte der Staat die Verschrottung weitgehend kontrollieren. So geschehen in den Jahren 2009 bis 2011 als Kick für die schwächelnde Konjunktur. Wer nachweisen konnte, sein Gerät fachmännisch entsorgt zu haben, konnte es im Einzelhandel in Zahlung geben. Die Menschen gingen darauf ein. Laut Handelsministerium wurden 84 Millionen Haushaltsgeräte eingesammelt. Der Großteil wurde umweltfreundlich verschrottet, der Rest wiederverwertet. Doch mit dem Ende des Subventionsprogramms holten sich die illegalen Wiederverwerter den größten Teil des Geschäfts zurück, zum Schaden vieler.

Die Laien-Recycler verbrennen Plastik unter freiem Himmel

Unsachgemäß entsorgt oder laienhaft repariert hinterlassen Elektrogeräte für den Hausgebrauch große Schäden für die Umwelt, und sie können Menschen krankmachen. Die Laien-Recycler, klagt Professorin Zhang, entließen Ozon-schädigende Gase in die Atmosphäre, verbrennten Plastik und Gummi unter freiem Himmel und entsorgten Chemikalien in Flüsse, Seen oder im Erdboden. Sie liefern einen weiteren Baustein für die Umweltkatastrophe, die sich zurzeit in China ereignet.

Die unkomplizierte Handhabe hat sich in der Welt herumgesprochen. Millionen Tonnen Elektroschrott werden illegal aus Europa, den USA oder Japan nach China geschafft, indem sie vornehmlich über Hongkong oder Vietnam in die Volksrepublik geschmuggelt werden. Die Einfuhr aus Vietnam ist teilweise sogar staatlich erlaubt, weil sie dort als Gebrauchtware für den Reimport gekennzeichnet wird. So kehren die Haushaltsgeräte nach ihrer Reparatur zurück nach Vietnam, während die Gifte in China bleiben. Als beliebte Praxis gilt auch, einer Containerladung legaler Stahlabfälle ein paar Kubikmeter Elektroschrott unterzumischen, wenn die in die Volksrepublik verschifft wird. Das fällt den Kontrolleuren selten auf. China ist dadurch zum größten Abladeplatz der Welt geworden.

20 Millionen Chinesen verdienen mit Recycling Geld

Jüngste Zahlen besagen, dass es 130 registrierte Elektroschrott-Unternehmen im Land gibt. Bis Mai 2012 hatten lediglich 53 die nötigen Nachweise über den Einsatz moderner und umweltfreundlicher Technologie erbracht. "Die Regierung steht in der Pflicht. Solange es keinen effizienten Kanal für die Entsorgung gibt, bleibt das Problem bestehen", sagt Professorin Zhang. Und es wird immer größer, weil zunehmender Wohlstand und technische Innovationen die Kunden in immer schnelleren Zyklen zum regelmäßigen Update verleiten. Eine Studie der Universität der Vereinten Nationen aus dem vergangenen Jahr beziffert das Verkaufsvolumen allein für das Jahr 2011 auf 94 Millionen Klimaanlagen, 58 Millionen Kühlschränke, 53 Millionen Waschmaschinen, 74 Millionen Computer und 56 Millionen Fernseher. Sicher ein Ausnahmejahr wegen der Subventionen. Zurück bleiben dennoch Millionen Tonnen Elektroschrott, der die Basis für Hunderttausende Existenzen im Land liefert.

440 000 Menschen sollen es sein, die E-Schrott sammeln und verwerten. Und das ist nur ein winziger Teil der chinesischen Abfall-Belegschaft. Insgesamt verdienen 20 Millionen Chinesen mit Recycling aller möglichen Stoffe ihr Geld. Kunststoffe, Metalle, Pappe, Glas - die Grenzen sind fließend. Mülltrennung geschieht nicht im Haushalt, sondern meistens vor der Haustür. Jeder Abfallhaufen wird von Sammlern manchmal mehrfach am Tag durchkämmt, bis ihn die Müllabfuhr abholt. All diesen Menschen müsste die Regierung Perspektiven geben, wenn sie das Recycling in China konsequent von lizenzierten Firmen betreiben lassen wollte. Sonst wächst die Unruhe in der nach Harmonie strebenden Volksrepublik.

Die Menschen sind zu den Lagerhallen an der Schotterstraße in Dongxiaokou gezogen, weil das alte Schrottzentrum ein paar Kilometer weiter nördlich abgerissen wird. Zusammen mit den Kindern leben sechs, manchmal acht oder zehn Leute unter einem Dach. Sie sind zufrieden, solange ihre Landsleute fleißig konsumieren. Handwerker Fan arbeitet seit acht Jahren in Peking. Er repariert, was am meisten benötigt wird. Es ist Knochenarbeit, stöhnt er. Morgens früh raus, oft bis in die Nacht hinein. Mehrere Hundert Kühlschränke sind es pro Jahr. Rund 100 Yuan verdient die Familie an einem Gerät, das auf dem Gebrauchtmarkt landet, knapp zwölf Euro. Der Sommer ist Hochsaison für Kühlschränke aus zweiter Hand. Im Winter gehen Klimaanlagen besser. Dann ist auch die Cola kalt, aber er trinkt dann lieber Tee.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2014
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