Süddeutsche Zeitung

Volkswagen:VW-Chef Diess erhöht den Druck auf Arbeitnehmer

Lesezeit: 3 min

Der Machtkampf zwischen Arbeitnehmern und Management eskaliert in Wolfsburg mal wieder. Es geht um 30 000 Jobs bei Europas größtem Industriekonzern - oder?

Von Max Hägler

Über ein halbes Jahr war es vergleichsweise ruhig in Wolfsburg: Europas größter Industriekonzern Volkswagen war mit der Konzipierung von Batteriefabriken beschäftigt und mit Plänen für Roboterautos. Das übliche Gerangel zwischen der starken Arbeitnehmervertretung und dem selbstbewussten Management hatte Pause, zumal VW-Konzernchef Herbert Diess im Sommer einen weitgehenden Freifahrtschein bekommen hat: Erst wurde sein heftigster Widersacher, Betriebsratschef Bernd Osterloh auf einen gutdotierten Managementposten bei der Trucksparte weggelobt. Und dann wurde im Juli auch noch Diess' eigener Vertrag verlängert, bis zum Jahr 2025.

Doch nun beginnt der Disput wieder - und zwar mit VW-üblicher Lautstärke, samt Potenzial zum ganz großen Krach. Diess hat den möglichen Abbau von 30 000 Stellen in den Raum gestellt. Dahinter steckt wie meist in Wolfsburg ein Konflikt um Rendite und Geschwindigkeit einerseits und Jobs und Stil andererseits, überlagert wird das alles von dieser großen Wende hin zur Elektromobilität und Digitalisierung.

Vor einigen Tagen bereits hatte die Wolfsburger Allgemeine getitelt: "Auslastungs-Angst: VW-Betriebsrat fordert schon für 2024 ein E-Modell für Wolfsburg". Das riesige Stammwerk, das für den Betriebsrat das Herz des Konzerns bildet, wird derzeit nicht im Ansatz ausgenutzt: Eine Million Autos könnten die Menschen hier bauen, doch im vergangenen Jahr waren es nur halb so viele. Und dieses Jahr droht der Fabrik ein "historisches Produktionstief", warnt Daniela Cavallo, die seit Kurzem die erste Arbeitnehmerführerin von VW ist.

"Der Standort braucht einen rascheren Weg in die E-Mobilität."

Die Corona-Seuche, die Chipkrise, aber auch die Umstellung zur Elektromobilität bremst die Nachfrage nach den Wolfsburger Autos: Vor allem der berühmte Golf wird hier gefertigt. Eine Ikone, Herbert Diess fährt gern die GTI-Variante, aber eine aus der Verbrennerzeit, die sich absehbar schlechter verkauft. Die Arbeitnehmer in Wolfsburg fordern deshalb, wie alle Arbeiter weltweit in allen Autokonzernen, möglichst schnell Elektromodelle produzieren zu können: "Der Standort braucht einen rascheren Weg in die E-Mobilität", sagt Cavallo. Das in Wolfsburg für 2026 geplante Roboter-Elektro-Wunderauto namens "Trinity" komme zu spät und werde auch nicht die nötigen Stückzahlen haben, um den Schwund beim Golf auszugleichen und die etwa 60 000 Jobs am Standort alle zu erhalten. Befeuert wird das Thema auch, weil im November wieder die alljährliche "Planungsrunde" ansteht, bei der die VW-Aufsichtsräte entscheiden, welche Marken Milliarden investieren dürfen und wo in der Welt welche Fahrzeuge gebaut werden.

Herbert Diess weiß das natürlich - aber hegt Gedanken, die offenbar in die genau entgegengesetzte Richtung gehen. Vor drei Wochen hat er jedenfalls in der Aufsichtsratssitzung des Konzerns mal wieder über die hohen Kosten, also die Effizienz, gesprochen: Die seien viel höher als jene von Stellantis (Opel, Citroën, Peugeot, Fiat), Toyota oder auch von Tesla. Die US-Firma baut ja im Brandenburgischen gerade eine Autofabrik, die Diess zum Nonplusultra an Effizienz erhebt, weil dort auf extrem gut geplanten Fabrikbändern unter anderem große Metallteile aus einem Guss verbaut werden, anstatt aufwendig einzelne Teile zusammenzuschrauben. Nach Einschätzung von Branchenkennern dauert etwa der Bau eines VW-Elektroautos ID3 in Zwickau mehr als 30 Stunden. Tesla fertigt seine Wagen hingegen offenbar in unter 15 Stunden, allerdings gibt es kaum Varianten. Auch die Zulassungszahlen bereiten Diess Sorge: Im September verkauften sich 6886 Golfs in Deutschland. Aber nur ein paar Dutzend weniger Tesla Model 3: 6828, um genau zu sein.

Das ist mal wieder ein Angriff auf den Standort Wolfsburg. Die liefen schon oft ins Leere

Diess wollte, so berichtete es das Handelsblatt und VW-Kreise bestätigten das der SZ, diskutieren, wie die Zukunft bei der Marke VW aussehen könne. Und nahm bei der Aufsichtsratssitzung eine Zahl in den Mund, die viele erschreckte: Ein Abbau von bis zu 30 000 Stellen sei möglich, das wäre jeder vierte Job bei der Kernmarke. Seine Presseleute erklären nun zwar, dass es "keine konkreten Szenarien" gebe, aber weisen doch darauf hin, dass "wir uns angesichts der neuen Marktteilnehmer mit der Wettbewerbsfähigkeit unseres Werks in Wolfsburg befassen müssen".

Das ist - mal wieder - ein Angriff auf Wolfsburg, den Standort, an dem schon die mächtigen Ex-VW-Patriarchen verzweifelten: Die Legende besagt, dass Ferdinand Piëch seinen Ziehsohn und zwischenzeitlichen Konzernchef Martin Winterkorn das Stammwerk zeigte mit den Worten: Kümmere dich um alles, aber lass das hier laufen. Zu stark sind die Vertrauensleute der IG Metall hier, zu stark ist der Betriebsrat an dem Wohlergehen der Leute hier interessiert, als dass eine betriebswirtschaftlich sehr attraktive Marge möglich wäre. Diess wollte sich nie an diese ungeschriebene Regel halten. Seit man ihn zu VW geholt hat, will er damit brechen - auch weil er sich sonst so schwertut mit seinen Sparvorgaben: Wenn der Kern des Ladens nicht läuft, wieso sollen wir uns dann so strecken, fragen sie in den anderen Werken, bei den Schwestermarken.

Und nun? Dass Diess tatsächlich so eine Stellenkürzung durchsetzt, ist vorerst kaum denkbar, auch wenn sie gestreckt wäre auf 3000 Jobs pro Jahr. Da gehen wir nicht mit, sagen Konzern-Entscheider, die darauf verweisen, dass Diess mal wieder in sein unsoziales Muster verfalle: Führung und Veränderung über Provokation. Von Arbeitnehmerseite heißt es: "Absurd." Sie erwarte, erklärte Betriebsratschefin Cavallo, dass der Konzernvorstand "sofort unmissverständlich" klarstelle, dass es keine Gedankenspiele über irgendeinen Arbeitsplatzabbau gebe. Diess wird reagieren, das ist gewiss. Wahrscheinlich auf seine Art.

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