Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bank in der Krise:Tosender Applaus für Mutmach-Parolen

Lesezeit: 4 min

Drei Jahre in Folge Verlust, hektischer Wechsel an der Spitze und große Zweifel am Geschäftsmodell: Der neue Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing verspricht Konsequenzen - und bekommt auf der Hauptversammlung tosenden Applaus.

Von Meike Schreiber und Jan Willmroth

Die Inszenierung beginnt mit zwei frei bleibenden Stühlen. Paul Achleitner, seit sechs Jahren Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, und Christian Sewing, seit sechseinhalb Wochen Vorstandschef, kommen einige Minuten zu spät auf die Bühne, betont locker und lächelnd, während Vorstand und Aufsichtsrat längst Platz genommen haben und die Aktionäre im Saal ungeduldig werden. Hier kommen zwei, die sich von der schwierigen Lage der Bank und vom Druck seitens der Aktionäre nicht aus der Ruhe bringen lassen, das ist die Botschaft.

Achleitner eröffnet die Hauptversammlung am Mittwochmorgen mit einer Verteidigungsrede. Ungefähr zwölf Stunden stehen bevor, in denen die Aktionäre kaum ein Themenfeld auslassen werden, auf dem die Bank angreifbar ist. Auf der Leinwand erscheint ein Foto aus dem Berliner Olympiastadion, zu sehen ist ein Banner von Fans des DFB-Pokalsiegers Eintracht Frankfurt: "Totgesagte leben länger". Achleitner bemüht die Fußball-Analogie, mit der einmal mehr die jüngste Führungskrise der Bank umschrieben wurde: In der Champions League der globalen Großbanken spielt die Deutsche Bank schon lange nicht mehr, mit dem Rauswurf von John Cryan hat sie zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren den Cheftrainer ausgetauscht. Achleitner durchschneidet die Luft mit den Händen, formt einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger, um seine Sätze mit Gesten zu betonen.

"Wir mussten handeln"

Mehrere Seiten seines Redemanuskripts verwendet er zur Rechtfertigung, warum John Cryan kurz nach Ostern so eilig gehen und durch Christian Sewing ersetzt werden musste. Schließlich ist dies auch der Grund, warum er selbst auf dieser Hauptversammlung nichts zu befürchten hat. Nach dem Rauswurf von Cryan wollen die Großaktionäre keinen weiteren Wechsel an der Spitze. Achleitner hat also seinen eigenen Job gerettet, indem er Cryan opferte. "Wir mussten handeln - auch wenn es ursprünglich nicht unsere Absicht war, so schnell den Wechsel herbeizuführen", sagt Achleitner.

Denn während Achleitner und die Führungsmannschaft der Bank jeweils im Urlaub weilten, ging die Diskussion um Cryans Nachfolge los, die Weltpresse überbot sich mit den Namen möglicher Nachfolger und Interna aus dem Aufsichtsrat, die nach und nach bekannt wurden. "Die Situation drohte, weiteren Schaden für die Bank zu verursachen", sagt Achleitner. Nach seinem ursprünglichen Plan sollte Cryan angeblich erst zur Hauptversammlung an diesem 24. Mai gehen. Aber Achleitner hatte die Deutungshoheit verloren und habe, so stellt er es an diesem Donnerstag dar, sich zum Handeln gezwungen gesehen.

Seine Ansprache, eingeleitet mit Kritik an der Berichterstattung über die Bank, gespickt mit verspätetem Lob für den vom Hof gejagten John Cryan und ergänzt um Anerkennung für den neuen Chef, ist der Versuch, die Deutungshoheit wenigstens für diesen einen Tag zurückzugewinnen. Als Drohgebärde gegen undichte Stellen im Aufsichtsrat kündigt er eine Anzeige gegen unbekannt an. Dabei hat auch sein Umfeld in den vergangenen Wochen immer wieder mitgeholfen, dass Journalisten die richtigen Dinge zur richtigen Zeit erfahren.

Stellenabbau und Mutmach-Parolen

Nach 45 Minuten ist Christian Sewing an der Reihe, seine Rede dauert fast eine Stunde. Er hat niemanden zu verurteilen, seinen bislang wichtigsten Auftritt hat er gut einstudiert, die Rede besteht aus Rechtfertigungen und Mutmach-Parolen, vor allem aber aus vielen Sätzen über Sewings Strategie, mit der er die Bank wieder in die Spur bringen will, endlich wieder Gewinn zu erwirtschaften. Allerdings, und das sagt viel aus über die Lage der Bank: Sewing spricht länger über den Wunsch, als Bank "relevant" und "stabil" zu bleiben als über das Verdienen von Geld.

Wichtiger Teil der Strategie ist ein noch in der Nacht verkündeter Stellenabbau: Nach drei Verlustjahren in Folge soll die Zahl der Vollzeitstellen im Konzern einschließlich der Postbank von derzeit rund 97 100 bis Ende kommenden Jahres auf deutlich unter 90 000 sinken. Das Investmentbanking wird geschrumpft, vor allem im weltweiten Aktienhandel. Rund 600 Investmentbanker mussten allein in den vergangenen sieben Wochen gehen. "Die aktuelle Ergebnislage lässt uns keine andere Wahl", sagt Sewing.

Am Mittwoch war in Finanzkreisen sogar ventiliert worden, die Bank werde zusätzlich 10 000 Stellen streichen. Doch sind die Pläne Sewings wirklich so radikal wie sie klingen? Bei näherem Hinsehen nicht wirklich: Dazu muss man wissen, dass Cryan zwar einige Ziele nicht erreicht hat, beim Stellenabbau aber gar nicht so schlecht vorangekommen ist, wie Achleitner in seiner Rede suggeriert ("gute Pläne", die aber nicht "diszipliniert und konsequent genug angegangen worden" seien). In der Amtszeit von Cryan sank die Zahl der Mitarbeiter immerhin von 103 000 auf 97 000. Damit hat die Bank 6000 der bis 2020 geplanten 9000 Stellen bereits abgebaut. Über das bereits von Cryan beschlossene Programm kommt jetzt rein rechnerisch der Abbau von "lediglich" weiteren 4000 Stellen hinzu. Das ist nicht wenig, aber eben auch nicht revolutionär. Entsprechend reagiert auch der Aktienmarkt kaum auf die Ankündigungen. Die Aktie rutscht am Donnerstagvormittag gar um mehr als zwei Prozent ins Minus.

Tosender Applaus für das Versprechen von Langeweile

Sewing spricht die Quadratur des Kreises selbst an, die er sich nun vorgenommen hat: Baut er zu schnell zu viele Stellen ab, riskiert er, dass die Erträge schneller sinken als die Kosten, wie schon im vergangenen Jahr. Kürzt er nicht genug, schleppt die Bank weiterhin unprofitable Geschäftsbereiche mit sich herum. "Eine Bank ist ein sensibler Organismus", sagt Sewing, "Wenn man hektisch oder getrieben agiert, vernichtet man schnell Wert."

Am Ende seiner Rede wird er mit tosendem Applaus von Tausenden im Saal belohnt für seinen versöhnlichen, aber fordernden und bestimmten Auftritt. Und sicher auch für sein Wir-werden-wieder-deutscher-Versprechen, das diesmal in dem Satz kulminiert: "Es wird uns nicht schaden, wenn wir ein bisschen langweiliger sind."

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