Süddeutsche Zeitung

Corona-Hilfen:Das Geld fließt, die Fragen bleiben

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Die EU hat bereits 32 Milliarden Euro an Corona-Hilfen ausgeschüttet. Bei manchen Staaten werden sich die ersten Tranchen aber noch hinziehen: etwa Ungarn und Polen. Unklar ist auch, wie Brüssel die neuen Schulden abbezahlen will.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Fortschritt ist eine Zahl mit elf Stellen: Fast 32 Milliarden Euro Corona-Hilfen hat die EU-Kommission bereits seit Anfang August an fünf Mitgliedstaaten ausgeschüttet. Es sind die ersten Tranchen des gigantischen Unterstützungsprogramms; bis 2026 sollen annähernd 340 Milliarden Euro an nicht-rückzahlbaren Zuschüssen verteilt werden plus bis zu 386 Milliarden Euro an günstigen Krediten. Dieser Corona-Hilfstopf ist Ergebnis mühsamer, langwieriger Verhandlungen. Am Ende mussten auch noch nationale Parlamente zustimmen, in Deutschland wurde das Bundesverfassungsgericht angerufen. Aber jetzt, konkret: seit 3. August, fließen die Milliarden.

Und die Finanzierung ist ebenfalls angelaufen. Um den Topf zu füllen, darf die Kommission erstmals im großen Stil Schulden machen. Seit Mitte Juni hat die Brüsseler Behörde in drei Runden Anleihen platziert und damit 45 Milliarden Euro eingenommen. Insgesamt sollen in diesem Jahr langlaufende Anleihen für 80 Milliarden Euro ausgegeben werden plus kurzfristige Schuldscheine, sogenannte Geldmarktpapiere, für weitere zig Milliarden Euro.

Verzögerungen gibt es jedoch bei der politischen Frage, wie die Schulden bis 2058 zurückgezahlt werden sollen. Und es können sich längst nicht alle Mitgliedstaaten über Schecks freuen - manche Regierung wird wohl Wochen oder Monate auf die erste Tranche warten müssen.

Der Großteil der Zuschüsse sowie sämtliche günstigen Darlehen aus dem 806 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfstopf werden über ein neues EU-Programm mit dem schönen Namen Aufbau- und Resilienzfazilität verteilt. Das meiste geht an Spanien und Italien.

Um in den Genuss des Geldsegens zu kommen, müssen die Regierungen aber Reform- und Investitionspläne einreichen. Diese muss die Kommission und danach der Ministerrat als Entscheidungsgremium der Mitgliedstaaten genehmigen. Die Pläne müssen diverse Kriterien erfüllen, etwa genug Mittel für Klimaschutz und Digitalisierung vorsehen. Außerdem reicht es nicht, bloß hübsche Investitionen vorzuschlagen, zum Beispiel in Glasfaserleitungen oder Wärmedämmung von Häusern. Die Regierungen müssen gleichzeitig wirtschafts- und sozialpolitische Reformen versprechen und sich dabei an den Empfehlungen orientieren, welche die Kommission jährlich für jedes Land veröffentlicht - und die bislang oft ignoriert werden.

Bisher haben jedoch lediglich 25 Mitgliedstaaten diese Pläne eingereicht - in Bulgarien und den Niederlanden verhinderte die schwierige Regierungsbildung diesen Schritt. Die Kommission hat 18 der 25 Pläne genehmigt, darunter den deutschen; der Ministerrat schaffte es, bis zur Sommerpause 16 Konzepte durchzuwinken. Fünf Länder bekamen in den vergangenen zwei Wochen bereits erste Tranchen überwiesen: Fast 25 Milliarden Euro gingen an Italien, vier Milliarden Euro an Griechenland, weitere drei Milliarden Euro verteilen sich auf Portugal, Belgien und Luxemburg.

Spätere Tranchen erhalten Regierungen nur, wenn sie bei ihren Investitionen und Reformen Zwischenziele erreichen, die schon jetzt in den Plänen festgelegt sind. Daneben ist der Kommission wichtig, dass die Verwendung der Corona-Hilfen gut kontrolliert wird, um Korruption, Missbrauch und Verschwendung zu verhindern. Hier sah die Behörde Probleme in Ungarn und Polen, sie hat die Pläne aus Warschau und Budapest daher immer noch nicht freigegeben. Die Kommission und die ungarische Regierung streben nun an, sich bis Ende September auf ein nachgebessertes Konzept zu einigen.

Gegen Polen und Ungarn laufen ohnehin EU-Verfahren wegen Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit. Dieses Thema stehe auch hinter den Verzögerungen beim ungarischen Investitionsplan, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Kommissions-Vizepräsidentin Věra Jourová sagte mit Blick auf Polen, die Regierung müsse die Kommission erst überzeugen, ein glaubhaftes Kontrollsystem für die Verwendung von EU-Mitteln zu haben. Die Befürchtung in Brüssel: Wenn die Justiz in den beiden Ländern nicht unabhängig ist, könnten Ermittler und Richter davor zurückschrecken, gegen Regierungsstellen vorzugehen, sollten dort Corona-Hilfen versickern.

Die USA sind gegen Digitalsteuern - blöd für Brüssel

Die Anleihen für den 806 Milliarden Euro schweren Corona-Topf will die Kommission über den EU-Haushalt zurückzahlen - bis zum Jahr 2058. Die günstigen Darlehen, die aus dem Topf an Mitgliedstaaten fließen sollen, werden ja von den Regierungen wieder beglichen, was der Kommission das Abstottern dieses Teils der Schulden einfach macht. Anders sieht es bei den Schulden aus, mit denen die insgesamt 420 Milliarden Euro an nicht-rückzahlbaren Zuschüssen finanziert werden: Dieser Schuldendienst wird den Brüsseler Etat belasten. Damit das Begleichen der Anleihen weniger schmerzhaft ist, soll die Behörde neue Einnahmequellen erhalten.

Ursprünglich wollte die Kommission daher im Juli das Konzept einer Digitalabgabe vorstellen. Doch die US-Regierung fordert, dass die Europäer Sondersteuern für Digitalkonzerne abschaffen und keine neuen einführen sollen. Dies war die Bedingung dafür, dass Washington der globalen Unternehmensteuerreform zustimmt, auf die sich Regierungen bei der Industrieländerorganisation OECD geeinigt haben. Die Kommission hat die Präsentation der Steuer deswegen auf Herbst verschoben.

Neue Einnahmen für Brüssel soll auch die Ausweitung und Verschärfung des Emissionshandelssystems bringen. Hier kaufen Konzerne Verschmutzungsrechte, um Klimagase in die Atmosphäre blasen zu dürfen. Zudem will die EU eine Art Klimazoll für schmutzige Importe etablieren. Aber wie viel dieser Zusatzerlöse für den Schuldendienst zur Verfügung stehen, ist noch unklar. Viel Geld - viele offene Fragen.

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