Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Airbus-Konkurrenten aus China und Russland lassen auf sich warten

Lesezeit: 3 min

Zwei Länder wollen eigene Verkehrsflugzeuge auf den Markt bringen. Doch technische Schwierigkeiten und Wirtschaftssanktionen erschweren die Vorhaben.

Von Jens Flottau

Bis vor einigen Wochen galt der Plan offiziell: Spätestens bis Ende des Jahres würde China die Comac C919 zulassen. Und 2022 würden dann die ersten chinesischen Fluggesellschaften nicht mehr Maschinen von Airbus und Boeing einsetzen, sondern auch dieses im Land selbst produzierte Kurz- und Mittelstreckenflugzeug. Ein entscheidender und der Regierung in Sachen Prestige äußerst wichtiger Schritt auf dem Weg, eine eigene und vor allem konkurrenzfähige Luftfahrtindustrie aufzubauen.

Doch die Kommunistische Partei hatte die Rechnung offenbar ohne die Civil Aviation Administration of China (CAAC) gemacht, die Luftfahrtbehörde des Landes. Die CAAC gab nämlich kürzlich einige Zahlen bekannt, die für sich sprechen: Von 3272 verschiedenen für die Zulassung nötigen Tests seien 1694 absolviert. Bei den reinen Flugtests waren es sogar nur 34 von 276 Positionen, die abgearbeitet werden müssen. Unter anderem stehen noch die aufwendigen und nicht ganz ungefährlichen "Icing"-Versuche aus, bei denen das Flugverhalten untersucht wird, wenn sich in großer Höhe Eis an den Flügelvorderkanten bilden sollte.

Die CAAC hätte es auch anders sagen können: Der Termin Ende des Jahres ist nicht zu halten, wieder einmal.

Um das Jahr 2008 hatten sowohl China als auch Russland beschlossen, endlich Konkurrenten für die den Markt dominierenden und allgegenwärtigen Boeing 737 und Airbus A320 zu entwickeln. Die C919 hätte bereits 2016 ausgeliefert werden sollen, doch sie flog erst 2017 zum ersten Mal und wird seither getestet. Wenn Boeing und Airbus ein neues Flugzeug auf den Markt bringen, dauern die Tests in der Regel zwischen einem und zwei Jahren. Doch das chinesische Programm verzögerte sich immer wieder. Bei der russischen MC-21 war es bislang sehr ähnlich: Offizieller Programmstart im Jahr 2007, Erstflug erst zehn Jahre später und seither: Tests.

Für Airbus und Boeing ist vor allem das chinesische Programm strategisch eine Bedrohung. Es ist zwar schon jetzt klar, dass die C919 den aktuellen Modellen aus Seattle und Toulouse technisch weit unterlegen sein wird. Dennoch werden die staatlichen chinesischen Fluggesellschaften gezwungen, eine stattliche Zahl der Jets zu fliegen. Damit steht ein Teil des - außerhalb von Krisenzeiten wie in der Corona-Pandemie - stärksten Wachstumsmarktes nicht mehr offen. Und die nächste oder übernächste Generation chinesischer Flugzeuge könnte dann auch konkurrenzfähiger sein.

Es gibt, so heißt es in der Branche, zwei plausible Erklärungen dafür, dass das Testprogramm so lange dauert. Die erste ist die wohl wichtigere: Es ist unglaublich schwer, neue Flugzeuge zu entwickeln und zuzulassen, zumal für einen relativ neuen Hersteller wie Comac, der nicht wie Boeing oder Airbus über Jahrzehnte zahlreiche Modelle gebaut und dabei gelernt hat. Bis die Maschinen wirklich ausgereift sind, können Jahrzehnte vergehen, auch wenn sich Comac zahlreicher westlicher Lieferanten bedient. Mit denen hängt das nächste Problem zusammen: Im Januar 2020 setzte die damalige US-Regierung Comac auf eine Liste von Firmen, die angeblich ziviles Know-how für militärische Zwecke abzweigt. Damit wurden aufwendige Genehmigungen für den Export praktisch jeder einzelnen Komponente verpflichtend. Und die neue Regierung unter Präsident Joe Biden hat die Auflagen eher noch verschärft.

Dennoch, so Insider, sind die Exportauflagen für die C919 derzeit das kleinere Problem - für die Prototypen sind Motoren, Fahrwerke und ähnliche Teile schon im Land. Die komplexen Cockpitsysteme zu integrieren, ist dem Vernehmen nach derzeit eines der Themen, die zu den neuen Verzögerungen führen. Nicht ausgeschlossen allerdings, dass es eine Art zeremonielle und gesichtswahrende Teilzulassung bis Ende 2021 gibt, doch wirklich fliegen dürften die C919 bei Erstkunde China Eastern Airlines nach Einschätzung aus Branchenkreisen frühestens in ein bis zwei Jahren.

Anders ist die Lage offenbar in Russland und bei der MC-21. Das technisch anspruchsvolle Flugzeug soll tatsächlich in den kommenden Tagen zugelassen werden und könnte dann wohl im kommenden Jahr bei einer Tochtergesellschaft der staatlichen Aeroflot erstmals Passagiere befördern. Hier erschweren westliche Wirtschaftssanktionen das Verfahren erheblich. So musste Hersteller United Aircraft Corporation (UAC) die amerikanischen Lieferanten von Faserverbundwerkstoffen austauschen und durch russische ersetzen - nun müssen die Tragflächen der Maschinen noch einmal extra zertifiziert werden.

Auch ein russisches Triebwerk befindet sich in Flugtests, dieses könnte auf Dauer die Motoren von Pratt & Whitney ersetzen.

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