Süddeutsche Zeitung

Weniger Steuereinnahmen:Was im Staatshaushalt noch zu holen ist

Lesezeit: 4 min

Die Koalition muss ihren milliardenschweren Wunschzettel zusammenstreichen. Dort stehen einige Vorhaben von CDU und CSU - aber nur eines von der SPD. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Berlin, am Donnerstag. Auf der Bühne des Matthias-Erzberger-Saals im Bundesfinanzministerium steht Olaf Scholz: weißes Hemd, dunkler Anzug, konzentriert; er referiert über bröckelnde Steuereinnahmen in Zeiten schwächerer Konjunktur. Gewiss, man kennt ihn. Aber in diesem Moment weiß man nicht genau, wen man vor sich hat: den Finanzminister und Vizekanzler der großen Koalition - oder den Vizechef der Sozialdemokraten. "Ich habe versucht, ein einheitliches menschliches Gebilde daraus zu formen", sagt Scholz - und grinst.

Nein, es gibt keine Krise, nur eine Wachstumsdelle. Und, bitte, keine Hektik und irgendwelche Schnellschüsse mit Konjunkturprogramm oder Steuerdumping. Was jetzt vor der Bundesregierung liege, und da sei er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ganz einig, sagt er und klingt ganz wie ein Finanzminister, sei "eine überschaubare Aufgabe". Lösbar, wenn alle miteinander es versuchten.

Die Aufgabe besteht darin, ein Finanzloch im Haushalt zu füllen. Wenn man so will, tatsächlich eine ganz normale Aufgabe, die Finanzminister fast aller Länder zu leisten haben. Im Zeitraum von 2020 bis 2023 klafft ein Loch von gut zehn Milliarden Euro. Wobei man korrekterweise sagen muss, ein weiteres Loch. Der Minister hatte im März schon eingeplant, dass von 2020 an jährlich 4,3 Milliarden Euro fehlen; Experten nennen diese geplanten Lücken globale Minderausgabe. Alles zusammen macht das jetzt 28 Milliarden Euro, die fehlen, um bis 2023 jedes Jahr einen Haushalt ohne neue Schulden zu schaffen und dennoch alle Verpflichtungen umzusetzen. Auch wenn Scholz das so nicht sagt: Das ist ein Problem, weniger finanziell als politisch. Die große Koalition hatte vor einem guten Jahr die Überschüsse in der Kasse als Kitt für die Regierungsbildung genutzt, jede Seite bekam etwas für ihre Vorhaben. Wird das Geld knapp, bröckelt der Kitt der Koalition.

Was bedeuten die Zahlen der Steuerschätzer für die Möglichkeiten des Bundes, Geld auszugeben?

Der Arbeitskreis der Steuerschätzer, dem Bund, Länder, Forschungsinstitute und andere Experten angehören, tagt halbjährlich, um vor allem mittels Konjunkturdaten die künftigen Steuereinnahmen zu schätzen. Die Schätzungen dienen der Bundesregierung für die Planung des Bundeshaushaltes. Die Schätzer gehen bei ihrer aktuellen Kalkulation davon aus, dass die Steuereinnahmen bis 2023 weiter wachsen, nur eben nicht mehr so stark wie noch im November angenommen. Im Vergleich zu der Schätzung im November fehlen allein dem Bund fast 71 Milliarden Euro; Bund, Ländern und Gemeinden zusammen 124 Milliarden Euro. Die Einnahmen fehlen, weil der Bund einige Gesetze erlassen hat, die Geld kosten, wie beispielsweise das Familienentlastungsgesetz und das Gute-Kita-Gesetz. Vor allem aber, weil die Konjunktur nachgelassen hat. Im November 2018 hatte die Bundesregierung für 2019 noch 1,8 Prozent Wachstum erwartet, jetzt sind es nur noch 0,5 Prozent.

Kann die Koalition damit noch einen Haushalt ohne neue Schulden schaffen?

Dazu muss die Koalition sparen. CDU, CSU und SPD müssen auf zusätzliche Vorhaben verzichten - oder neue Pläne gegenfinanzieren, das heißt, anderswo Geld einsparen. Würde die Koalition auf alle Ausnahmen bei der Ökosteuer verzichten, wären zehn Milliarden Euro mehr in der Kasse, die für die Grundrente ohne Bedürfnisprüfung oder die komplette Abschaffung des Soli-Zuschlags zur Verfügung stünden. Scholz betont, dass die Finanzierung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben gesichert ist, diese kosten 46 Milliarden Euro bis 2021.

Welche teu ren Vorhaben wollen CDU und CSU noch umsetzen?

Die Union will runter mit den Steuern. Der Wirtschaftsflügel will so Unternehmen helfen, der Spitzenverband der deutschen Industrie fordert ein Absenken von derzeit 31 Prozent auf 25 Prozent. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat zudem angekündigt, nationale Champions in Deutschland unterstützen zu wollen. Beinahe geschlossen fordern CSU und CDU, den Soli komplett abzuschaffen, das würde zehn Milliarden Euro zusätzlich kosten, jährlich. Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) fordert vom Bund rund drei Milliarden Euro Zuschüsse zu den Flüchtlingskosten. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will eine weitere Milliarde, um den Verkehr digitaler und umweltfreundlicher zu machen. Und 400 Millionen Euro für verbilligte Zugtickets. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten abschaffen und die Kosten dafür aus dem Haushalt bezahlen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fordert einen zweistelligen Milliardenbetrag, um die Rüstungsausgaben auf 1,5 Prozent des Bruttosozialproduktes zu steigern. Das hat Berlin der Nato zugesagt. Auch CSU-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller fordert zusätzliche Milliarden, um die international zugesagte Quote für Entwicklungshilfe in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes erfüllen zu können.

Hier wollen CDU, CSU oder SPD zusätzliches Geld ausgeben: Bahntickets sollen steuerlich begünstigt werden...

... vielen Ruheständlern könnte die Mini-Rente aufgestockt werden...

... Elektroautos könnten deutlich besser bezuschusst werden...

... und die Bundeswehr könnte mehr Geld für die Modernisierung bekommen.

Und die SPD?

Die Sozialdemokraten haben viele ihrer Vorhaben bereits umgesetzt, von der paritätisch finanzierten Krankenversicherung bis zum höheren Kindergeld. Ein großes Projekt steht noch aus: die Grundrente ohne Bedürfnisprüfung. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat eine höhere einstellige Milliardensumme dafür veranschlagt.

Worum dreht sich nun der Streit?

Da das Geld knapper wird, müssen sich die Koalitionäre einigen, welche Vorhaben sie noch finanzieren, welche abgespeckt und welche Vorhaben ganz gestrichen oder zunächst verschoben werden. Schon wegen der anstehenden Wahlen in vier Bundesländern und Europa will allerdings keine der drei Parteien als Verlierer dastehen.

Was hilft es der SPD, dass sie in Olaf Scholz den Finanzminister stellt?

Scholz kennt als Minister die Bundesfinanzen bis ins Detail. Dass die SPD diesen Wissensvorsprung nutzt, sorgt für Unmut bei der Union, die trauert, dass sie das mächtige Ministerium abgeben musste. Scholz steht aber unter Beobachtung der eigenen Genossen. Der Sozialdemokrat kann nicht für die schwarze Null sparen und dabei auf die Grundrente verzichten - das würde Vertrauen kosten. Da muss er also den Vize-parteichef rauskehren.

Denken die Koalitionsparteien über neue oder höhere Steuern nach?

Die Union schließt jegliche Steuererhöhungen oder neue Schulden aus. Die Sozialdemokraten wollen schon lange den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer erhöhen. Eine Steuer auf klimaschädliches CO₂ würden sie tragen - wenn die Bürger die zusätzlichen Kosten erstattet bekommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4439625
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.