Süddeutsche Zeitung

Bin Laden und die Folgen für die USA:Der Tod des Vergifters

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Die wirtschaftliche Lage Amerikas ist schlecht, das politische Klima so rau wie nie - das ist zwar nicht die direkte Folge des Terrors, hat aber dennoch viel mit Osama bin Laden zu tun. Dessen Tod sollte das Land nutzen, um die falschen Entscheidungen der vergangenen Jahre zu korrigieren.

Nikolaus Piper

Natürlich ist Osama bin Laden nicht schuld an der Finanzkrise. Aber die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die politische und militärische Reaktion des offiziellen Amerika darauf zeitigten Folgen, die den Ausbruch der Krise und der Großen Rezession begünstigten. Sie leiteten ein Jahrzehnt der ökonomischen und politischen Unsicherheit und der Angst ein, dessen Spätfolgen die Vereinigten Staaten bis heute spüren. Die Angst wird mit dem Tod von Osama bin Laden nicht automatisch verschwinden, aber vielleicht bestehen jetzt größere Chancen, Korrekturen zu wagen.

Klar ist, dass der Terror die makroökonomische Position Amerikas massiv verschlechtert hat. Kurz vor den Anschlägen im Sommer 2001 befanden sich die USA bereits in einer Rezession. Die Spekulation mit Internet-Aktien war geplatzt, die Kurse und die Wachstumszahlen gingen seit März nach unten. In diese Phase der Unsicherheit brach der Terror hinein. Regierung und Notenbank fürchteten zu Recht eine Panik und in der Folge eine Finanz- und Wirtschaftskrise.

2001 beschlossen Fed-Chef Alan Greenspan und Präsident George W. Bush massiv gegenzuhalten, mit einigem Erfolg. Als die New Yorker Börse nach einer Zwangspause von knapp einer Woche wieder öffnete, schleuste Greenspan den Leitzins in mehreren Stufen auf einen historischen Tiefstand. Das viele, billige Geld beendete die Rezession bereits im November - sie war eine der kürzesten der US-Geschichte. Gleichzeitig nährte die Fed die beginnende Spekulation auf dem Immobilienmarkt, die dann schließlich 2007 die große Krise auslösen sollte.

Zu dieser Geldschwemme kamen noch die Steuersenkungen von Präsident Bush hinzu. Sie heizten die Konjunktur und Spekulation weiter an und förderten den Ruin der amerikanischen Staatsfinanzen. Zu Beginn des Jahrzehnts lag die Staatsschuld bei 3,4 Billionen Dollar, heute sind es neun Billionen Dollar (die Bruttoverschuldung, die für die politisch umstrittene Schuldenobergrenze relevant ist, liegt bei 14 Billionen Dollar).

Hinter all dem steht ein bemerkenswerter Verlust an Zuversicht in der Öffentlichkeit. Zwei Drittel der Amerikaner glauben, dass sich ihr Land auf dem falschen Weg befindet. Das politische Klima in Washington ist so vergiftet, dass Kompromisse kaum noch möglich erscheinen. Dies alles ist, wohlgemerkt, nicht die direkte Folge des Terrors, aber immerhin das Ergebnis von Entwicklungen, die mit dem Angriff auf das World Trade Center 2001 beginnen haben.

Amerika wird besser dastehen

Nicht zu unterschätzen ist auch die psychologische Wirkung der allgegenwärtigen Sicherheitsmaßnahmen im Alltag. Der Aufwand, der an Flughäfen und bei den Grenzkontrollen betrieben wird, schreckt Geschäftsreisende ab und gilt vielen Amerikanern selbst als sinnlos. Es gibt praktisch kein Bürohaus in Manhattan mehr, das man ohne Ausweis betreten kann. Auch unter jenen, die Verständnis für die Sicherheitsvorkehrungen haben, sorgt dies für ein ständiges Gefühl der Bedrohung.

Und schließlich dies: Die Behauptung lässt sich zwar nicht beweisen, aber die Tatsache, dass sich der amerikanische Patriotismus in den vergangenen Wochen oft so destruktiv äußert, vor allem in der Tea-Party-Bewegung, könnte letztlich mit Angst zu tun haben und dem Gefühl, in einer feindlichen Welt nichts mehr bewirken zu können.

Die Bedrohung durch Islamisten ist weiterhin real. Wer in diesen Tagen die New Yorker U-Bahn benutzt, wird noch wachsamer sein als sonst. Und der Krieg gegen den Terror ist mit dem Tod Osama Bin Ladens nicht zu Ende. Trotzdem muss es heute möglich sein, selbstkritisch auf all das zu blicken, was im Jahrzehnt der Furcht beschlossen wurde und notfalls Korrekturen zu wagen. Amerika wird besser dastehen, politisch, wie ökonomisch, wenn es diesen Schritt über die Furcht hinaus geht.

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Quelle:
SZ vom 03.05.2011
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