Süddeutsche Zeitung

Ausstieg aus der Atomkraft:Pokern am Abgrund

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Ihr Geheimplan ist aufgeflogen - und damit wohl auch der Versuch der Energiekonzerne gescheitert, die Kosten für den Rückbau der Atomwirtschaft auf den Steuerzahler abzuwälzen. Vorerst. Denn Fluchtmöglichkeiten lässt der Bund ihnen nach wie vor.

Von Michael Bauchmüller und Markus Balser

Still thront der kantige, fensterlose Riese an der Elbe. Strom wird seit Jahren nicht mehr in Krümmel produziert, und irgendwann wird das Kraftwerk verschwinden müssen. Dann werden Roboter und Spezialtrupps die strahlende Hinterlassenschaft des 790 Tonnen schweren Reaktors zerlegen, radioaktive Teile dekontaminieren und entsorgen. Binnen 20 Jahren sollen Jahrzehnte deutscher Technikgeschichte verschwinden, in Krümmel wie anderswo in der Republik. Kosten in Krümmel: mindestens eine Milliarde Euro. Aber so ganz genau weiß das auch Betreiber Vattenfall nicht.

Jahrzehntelang verdienten die Kernkraftbetreiber gutes Geld mit ihren Reaktoren. Jetzt aber ist die Atomkraft wie ein schwarzes Loch, das Unmengen Geld verschluckt. Ein Klotz am Bein. Auch Vattenfall hat schon versucht, den Klotz loszuwerden. Nach Informationen der S üddeutschen Zeitung diente sein Europa-Chef Tuomo Hatakka potenziellen Abnehmern die Meiler Krümmel und Brunsbüttel an - samt milliardenschwerer Mitgift: Den Rückstellungen, die Vattenfall für Rückbau und Entsorgung gebildet hatte. Doch keiner griff zu.

Offiziell erklärt Vattenfall nun, man habe sich gar nicht trennen wollen. Stattdessen wollen nun auch die drei anderen Betreiber - RWE, Eon und EnBW - das Kapitel Atomkraft in Deutschland rasch hinter sich lassen. Etwa in einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, die dann der Bund zu verwalten hätte. Vor Monaten schon sollen RWE-Chef Peter Terium und Eon-Chef Johannes Teyssen in Berlin Pläne ausgelotet haben, wie sie die Milliardenkosten dem Steuerzahler übertragen könnten. Der Plan: Reaktoren weg, Risiken weg.

Rückbau flugs als Forschungsvorhaben deklariert

In der Vergangenheit hat diese Methode gar nicht mal so schlecht funktioniert. Schließlich hatte ursprünglich vor allem der Bund die Konzerne zur Atomkraft gedrängt, viele Mittel waren da recht. Es gab zinsgünstige Kredite, schnelle Genehmigungsverfahren - und zur Not wurden die Risiken von der Allgemeinheit übernommen. Beispiel Niederaichbach: In der Gemeinde bei Landshut baute in den Sechzigerjahren der Bayernwerk-Konzern, ein Eon-Vorläufer, eines der ersten deutschen AKWs. Doch der Reaktor funktionierte nicht richtig, anderthalb Jahre nach der Inbetriebnahme ging er wieder vom Netz. Der teure Rückbau aber wurde flugs zum Forschungsvorhaben deklariert - die Steuerzahler standen dafür gerade.

Ähnlich die Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe: Sie sollte eine Art Prototyp für eine größere Anlage werden, dahinter standen Atom- und Chemieindustrie. Als aber das größere Projekt in Wackersdorf floppte, verlor auch die Industrie das Interesse. Günstig trat sie ihre Anteile an der Investitionsruine an den Bund ab. Der plagt sich seither mit einem milliardenschweren Rückbau. Denn die Millionen, die er dafür seinerzeit als Mitgift auf den Weg bekam, reichen nicht annähernd aus.

So ähnlich könnte es auch mit der Abwicklung der Atomenergie insgesamt enden. Die Unternehmen sind verpflichtet, nach dem Ende des "Leistungsbetriebs" auch den Rückbau und die komplette Entsorgung zu regeln. Derzeit haben sie dafür 36 Milliarden Euro zurückgestellt, angelegt in Wertpapieren, Beteiligungen, Betriebsvermögen. Die Idee: Sobald der Rückbau der Anlagen beginnt, werden Teile dieser Rückstellungen veräußert. So flösse das nötige Kleingeld für den Ausstieg.

Doch offenbar beschleichen auch die Konzerne Zweifel, ob das Geld reicht. Zu ungewiss ist, ob der Ausstieg aus dem Atomzeitalter samt Suche und Bau eines Endlagers für 36 Milliarden Euro zu haben ist. "Die große Unbekannte ist die Entsorgung des Atommülls", sagt der Bottroper Energiewissenschafter Wolfgang Irrek, der seit Jahren zum Thema forscht. "Das ist ein jahrzehntelanger Prozess, den eventuell nicht jeder der Konzerne überlebt."

Genau hier beginnt das Problem. Zwar weisen die vier Betreiberkonzerne Jahr für Jahr die Existenz ihrer Rückstellungen in den Bilanzen nach. Wenn aber eines der Unternehmen pleitegeht, verschwinden auch die Rückstellungen in der Insolvenzmasse - dann sind abermals die Steuerzahler dran.

Derweil registrieren Experten besorgt, wie etwa der schwedische Vattenfall-Konzern sich schrittweise aus der Affäre zieht. So löste er im Herbst 2012 den Beherrschungsvertrag zwischen der Konzernmutter Vattenfall AB und der Deutschland-Tochter Vattenfall Europe AG auf. Seitdem muss der Staatskonzern in Stockholm nicht mehr mit seinem Vermögen für deutsche Hinterlassenschaften haften. Und zu Beginn dieses Jahres spaltete der Konzern das Geschäft in Westeuropa von jenem in Skandinavien ab. So ließe es sich auch leichter verkaufen - inklusive der ungeliebten Reste der hiesigen Atomwirtschaft.

Passende Antworten auf die Fluchtversuche gäbe es. So könnten die Rückstellungen ganz oder teilweise in einen unabhängigen Fonds fließen. Der wäre selbst dann noch flüssig, wenn einer der Konzerne vor dem Aus stünde. So etwa läuft es in der Schweiz, auch Schweden und Finnland unterhalten Fonds für die künftigen Altlasten der Kernkraft. Sympathien für solche Lösungen gibt es bis hinein in die Spitze des Bundesumweltministeriums, das für Endlagerung und Reaktorsicherheit zuständig ist. Doch in den Koalitionsvertrag schaffte es ein entsprechender Vorschlag der SPD nicht. Stattdessen ist dort nun kryptisch von der "Realisierung der rechtlichen Verpflichtungen" die Rede. Darüber wolle die Regierung mit den Betreibern sprechen.

Die Betreiber selbst halten von einer Fondslösung ohnehin nichts, jedenfalls nicht, solange sie sich damit nicht vorzeitig freikaufen können. Doch ausgerechnet der jüngste Vorstoß könnte nun den Weg dorthin bahnen. So denkt etwa Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) laut darüber nach, einen "sicheren Fonds" für die Altlasten aufzubauen, ohne den Konzernen die Verantwortung dafür abzunehmen. "Wir können nicht warten, bis die Unternehmen am Ende pleite sind", sagt er. Und auch Wolfram König, der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, fordert eine "konkursfeste" Lösung für die Rückstellungen. "Es besteht ansonsten die Gefahr, dass nicht aktuelle Sicherheitsanforderungen, sondern finanzielle Erwägungen bei der Stilllegung von Atomkraftwerken und der Entsorgung den Takt vorgeben", warnt er. Es wäre nicht das erste Mal, dass derlei Taktik eine Rolle spielt.

Wie auch in Krümmel. Im Kraftwerk an der Elbe ist von Stilllegung keine Spur. Schließlich hat Vattenfall vor einem Schiedsgericht in Washington gegen den deutschen Atomausstieg geklagt. Und so müssen die Beschäftigten dort derzeit eine Art Stand-by-Betrieb simulieren, als hätte es den Atomausstieg nie gegeben - sehr zum Ärger von Schleswig-Holsteins grünem Umweltminister Robert Habeck. "Wenn es um Geld geht", sagt er, "ist dieser Branche jedes Mittel recht."

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Quelle:
SZ vom 13.05.2014
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