Süddeutsche Zeitung

Annalena Baerbock:"Wir stehen vor einer neuen Zeit"

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Für Annalena Baerbock war es ein "größtenteils furchtbares Jahr": der Krieg, das Klima, der Welthandel. Wie sich Außenpolitik verändern muss und was die Ministerin trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken lässt.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Annalena Baerbock hat selbst für eine viel reisende Außenministerin harte Tage hinter sich: die Klimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich mit schlaflosen Nächten. Am Sonntag, kaum zurück in Berlin, ging es weiter nach Frankreich, die zuletzt rumpeligen Beziehungen zum wichtigsten Verbündeten in Europa pflegen. Auch um Hilfe für die Republik Moldau ging es, den kleinen Nachbarstaat der Ukraine, den Russlands Präsident Wladimir Putin nun auch destabilisieren will. Und am Dienstag musste sie ins Kanzleramt, um die Zukunft des Mali-Einsatzes der Bundeswehr zu verhandeln, an dem die Grünen-Politikerin, anders als Verteidigungsministerin Christine Lambrecht von der SPD, gerne festgehalten hätte.

Trotzdem kommt sie gut gelaunt ins Museum für Kommunikation in Berlin, wo die Süddeutsche Zeitung die Nacht der Europäischen Wirtschaft ausrichtet. Am Tisch spricht sie mit Wladimir Klitschko, ebenfalls Gast auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, den sie schon im Auswärtigen Amt empfangen hat und der sie zusammen mit seinem Bruder Vitali, Bürgermeister von Kiew, durch die ukrainische Hauptstadt geführt hat.

Es ist der Bogen, den sie schlagen wird, der Angriffskrieg des russischen Präsidenten, die Klimakrise und welche Ableitungen daraus folgen sollten für Deutschlands Außenwirtschaftspolitik, für eine geostrategische Sicht gerade auf die Beziehungen mit China.

Kurz vor dem Ende des Jahres zieht sie schon Bilanz, ein "größtenteils furchtbares Jahr" sei es gewesen. Russlands Angriffskrieg habe die Welt in eine neue Zeit katapultiert, unglaubliches Leid über Millionen Menschen in der Ukraine gebracht. Aber auch "Hitzewellen, Dürren, Fluten von einer Wucht, wie wir sie nie gesehen haben" - in Pakistan, aber auch in Nigeria. Auf der Klimakonferenz habe sie vor einem der vielen bilateralen Gespräche noch mal nachgefragt, ob in Nigeria tatsächlich 1,4 Millionen Menschen auf der Flucht sind vor Folgen der Klimakrise, weitgehend ohne dass die Welt sich darum kümmert.

"Wir stehen vor einer neuen Zeit, die wir uns so gar nicht gewünscht haben", sagt die Grünen-Politikerin, aber wirbt auch dafür, "unserer Verantwortung als Europäerinnen und Europäer gerecht werden, die nächsten Jahr zu gestalten". Und dabei, eine der Lehren aus dem russischen Angriff, auch die Sorgen anderer mitzudenken. Für viele Staaten, die sich in der UN-Generalversammlung gegen Russlands Aggression gestellt hatten, sei eben die Klimakrise die größte Bedrohung ihrer Sicherheit.

Wenn wirtschaftliche Abhängigkeiten als Druckmittel eingesetzt werden

Das ist der Punkt - "ich will Sie teilhaben lassen an dem Leben einer Außenministerin nach zehn Monaten" - an dem Baerbock von der Klimakonferenz berichtet: Entwicklungsländer, deren Interesse es sein müsste, Entschädigungen für Klimaschäden zu erhalten, eine schnellstmögliche Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen zu erreichen, hätten dort im Verein mit China, dem nach den USA größten Emittenten, Saudi-Arabien, Russland und anderen Ölförderländern Vorstöße der EU blockiert. Man müsse sich fragen, wie das sein könne, sagt Baerbock - und verweist darauf, dass in mancher Hauptstadt dieser Länder der Flughafen so aussehe, dass man sich fragen müsse, ob man in China gelandet sei.

Es geht um Einflusssphären, bei denen wirtschaftliche Abhängigkeiten als Druckmittel eingesetzt werden, so die Botschaft. Deswegen müssten die westlichen Staaten zum einen Angebote machen an die vielen kleineren Länder, die nach Partnern suchen für ihre wirtschaftliche Entwicklung und die Lösung ihrer Probleme. China stehe schon bereit. Auch das eine Lehre, denn man hätte auf die Warnungen kleinerer osteuropäischer Nachbarn vor Russland hören sollen.

Es müsse sichergestellt werden, dass das, was "wir mit Russland erleben, nicht noch einmal passiert", dass man nicht noch einmal auf das Prinzip Hoffnung setze, nicht noch einmal naiv sei. "Auf Handel folgt nicht automatisch demokratischer Wandel", sagt Baerbock. Und deshalb könne es in der Außenwirtschaftspolitik nicht so weitergehen wie in den Neunzigerjahren, der Hochzeit der Globalisierung, als es nur um Preise ging, um Effizienz und wenig um geopolitische Interessen. Es sei eine Aufgabe für Unternehmen, ihre Absatzmärkte zu diversifizieren, ihre Abhängigkeiten zu reduzieren. Aber auch Aufgabe von Staat und Politik, die Realität neu zu gestalten.

Europa müsse sich besinnen auf seine wirtschaftliche Stärke als Binnenmarkt. Es könne Standards setzen, es müsse Innovation vorantreiben, bei Chips, künstlicher Intelligenz, beim klimaneutralen Wirtschaften. Sicherheit bei den Bedingungen für private Investitionen schaffe auch den Raum für mehr europäische Souveränität, für verstärkte Zusammenarbeit mit Wertepartnern in den G 7, vor allem mit den USA. Der Westen müsse sich auch gemeinsam überlegen, wo er Infrastruktur finanziere, Investitionen bündele.

Baerbock geht es nicht um Abkoppelung

Gegenüber China, so bekräftigte die Außenministerin, setze sie auf mehr Reziprozität, mehr Gegenseitigkeit. Es gehe nicht darum, sich abzukoppeln von China, sondern darum, dass europäische Unternehmen in China dieselben Rechte haben wie chinesische Firmen in Europa. Auch im Wettbewerb gegenüber den USA sollten die Europäer mit ihrer Marktmacht darauf pochen.

Grundlage bei Exportgarantien müsse sein, den Unternehmen "die wirtschaftlichen Risiken etwas deutlicher zu machen, gemeinsam mit ihnen hinzuschauen, wo wir investieren". Große Investitionen deutscher Unternehmen in Russland hätten gezeigt, dass sie auch die nationale Sicherheit berühren können.

Baerbock appelliert aber, auch das Positive zu sehen: Wenn Europa auf seine Werte vertraue, "sind wir stärker", sagt sie. Putin habe es nicht geschafft, Kiew einzunehmen, weil er "den unglaublichen Mut" der Ukrainerinnen und Ukrainer unterschätzt habe - und dass "wir Europäer zusammenstehen und eine Seite beziehen für die Freiheit, für den Frieden und unser Europa".

Ihre Worte wiederum animieren Wladimir Klitschko zu "gelebter deutsch-ukrainischer Freundschaft", wie Baerbock es nennt. Er bringt der Außenministerin ihren Schal, als die ob des Schlafmangels und des Temperaturschocks von den 25 Grad Celsius in Ägypten und Minusgraden in Berlin im Gespräch mit SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach fröstelt. "Ich zittere nicht vor Ihren Fragen", sagt sie, und bewegt dann noch einmal mit ihrer letzten Antwort das Publikum. Was sie am ersten Tag tun werde, wenn der Krieg vorüber sei, will Krach von ihr wissen. "Wahrscheinlich weinen", sagt Annalena Baerbock.

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