Süddeutsche Zeitung

Ärzte und ihr Honorar:Jammern auf hohem Niveau

Lesezeit: 2 min

Lauthals stimmten die Ärzte den Abgesang auf die Existenz des Mediziners an. Jetzt zeigt sich: Das Wehklagen gegen das neue Honorarsystem war völlig überzogen.

Charlotte Frank

Zu glauben, im Gesundheitswesen gehe es in erster Linie um Gesundheit, ist ein Irrtum - es geht vielmehr ums Geld. Genauso ein Irrglaube ist es, dass es den Ärzten nur ums Heilen geht - es geht ihnen auch ums Geldverdienen. Das ist legitim und muss ihnen gestattet sein wie jeder anderen Berufsgruppe, etwa Lokführern oder Erziehern. Und auch wenn Ärzte deutlich mehr verdienen als zum Beispiel Lokführer oder Erzieher, haben sie das Recht, auf hohem Niveau zu jammern und auf Einkommenseinbußen hinzuweisen - wenn es diese denn tatsächlich gibt.

Die nun vorgestellten Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zeigen: Es gibt sie für die Mehrheit der Ärzte nicht; jedenfalls nicht durch das neue Honorarsystem, das die Mediziner zu Jahresanfang so heftig und mit teils sehr fragwürdigen Methoden bekämpft haben.

Es wäre ein Leichtes, jetzt mit dem Finger auf die Ärzte zu zeigen, "seht ihr!" zu rufen und zu sagen, dass alles von vornherein klar war. Zumindest in diesem Punkt muss man die Ärzte - von denen sich mancher hoffentlich auch so für verschlossene Praxistüren und Flugblätter schämt - in Schutz nehmen: Es war eben nicht klar. Die Reform sollte ein Honorarsystem mit besserer Kalkulierbarkeit und mehr Transparenz schaffen.

Doch von Transparenz kann keine Rede sein. Das System ist so kompliziert, dass kaum ein Arzt voraussehen kann, wie viel Geld er am Ende des Quartals hat, um Miete, Mitarbeiter und Geräte zu bezahlen. Das war bei vielen Niedergelassenen in der Tat weniger als im Vorjahr, bei einigen sogar viel weniger. Man kann über das hohe Einkommen von Medizinern denken, was man will - doch kein Mensch würde sich darüber freuen, mit einem Schlag 18 Prozent weniger zu verdienen als im Vorjahr, wie das Orthopäden in Baden-Württemberg passiert.

Allein: Das konnte der Orthopäde in Baden-Württemberg Anfang des Jahres noch nicht wissen, genau wie der Gynäkologe in Bayern noch nicht wissen konnte, dass er am Ende des Quartals mit einem Plus von 19 Prozent dastehen würde. Das sind, wohlgemerkt, nur die Einkünfte, die die Praxisärzte durch die gesetzlich Versicherten bekommen. Die zum Teil hohen Summen, die ihnen die Privatpatienten einbringen, tauchen in der Statistik gar nicht auf.

Trotzdem wurden die Praxen vorsorglich gleich zu Jahresanfang dichtgemacht, die Patienten abgewiesen und lautstark der Abgesang auf die Existenz der niedergelassenen Ärzte angestimmt. Mahnende Stimmen, die zu Zurückhaltung und zum Abwarten aufriefen, wurden niedergebrüllt. Im Nachhinein könnte man nun zurückbrüllen - oder einfach darauf hinweisen, dass gerade ein Arzt wissen sollte, dass Prophylaxe Unsinn ist, solange niemand weiß, welchem Übel sie vorbeugen soll. Vor diesem Hintergrund wirkt es peinlich und unangemessen, wenn mancher Ärztevertreter jetzt schon wieder neue Proteste und Praxisschließungen ankündigt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.172354
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.07.2009
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.