TV-Serie:Team Regenbogen
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Netflix startet in dieser Woche eine deutsche Ausgabe der Erfolgsshow "Queer Eye". Doch warum sollen schwule Männer besonders gut in Lebenskrisen helfen können?
Von Jan Kedves
Gut möglich, dass Oscar Wilde im Grab mit den Augen rollt, wenn er erfährt, dass im Namen der stolzen, fabulösen Queerness, für die er einst ins Zuchthaus musste, nun auch zu Hause bei Björn in Oldenburg und bei Marleen in Kiel geputzt und aufgeräumt wird. Und dass die Welt via Netflix, in 228 Ländern und 23 Übersetzungen, dabei zusehen kann. Die unfassbar erfolgreiche amerikanische Reality-Makeover-Serie "Queer Eye" bekommt nämlich einen offiziellen deutschen Ableger (Start: 9. März), das heißt: Eine neu gecastete, deutsche Equipe von Beauty-, Interieur-, Mode-, Ernährungs- und Ausgeglichenheitsautoritäten, genannt "Fab Five", fährt gut gelaunt durchs Land, um Menschen aus Lebenskrisen herauszuhelfen.
Das wirft, neben der Bewertung des Streaming-Events, noch einmal grundsätzlich die Frage auf, warum man eigentlich queeren Menschen so viel Kompetenz bei der Stil- und Lebensberatung zumisst. Woher kommt das?
Man könnte ja denken, dass das alles längst veraltete Klischees sind: Modedesigner sind schwul, alle Friseure auch, und der beste Freund, mit dem man alle Probleme immer so gut bekaspern kann, wird einem bald verraten, dass er auf Jonathan Van Ness steht, den langhaarigen und inzwischen sehr berühmten Friseur aus den US-Staffeln von "Queer Eye", der sich 2019 als non-binär outete. Aber stopp, die deutschen "Fab Five" - zu ihnen gehört der dandyeske Maßkrawatten-Verkäufer Jan-Henrik Scheper-Stuke und der gut bemuskelte Einrichtungsstylist Ayan Yuruk - mögen solche Klischees nicht: "Dass queere Menschen mehr Geschmack und Stil haben, würde ich nicht unterschreiben. Wir werden aber teilweise von der Gesellschaft als sehr extravagant wahrgenommen", sagt Yuruk, der durch seine Teilnahme an "Queer Eye Germany" schlagartig zum Vorbild für türkischstämmige Schwule werden dürfte, die sich bislang noch nicht trauten, out zu leben wie er. Ähnlich betont Scheper-Stuke, dass er nicht für sich in Anspruch nehme, Geschmack zu haben, nur weil er mit einem Mann zusammenlebe: "Nimm es doch mal so: Wir sind fünf Spezialist*innen, die auch queer sind."
Alle betonen, dass sie Sichtbarkeit für queere Identitäten schaffen möchten, aber stimmt das?
Aber die Serie heißt nicht Specialist Eye. Sondern "Queer Eye". Die Queerness steht immer groß obendrüber, wenn die deutschen "Fab Five" einen jungen Fußballtrainer im Ruhrpott bei seinem Coming-out unterstützen und ihm nach seinem Auszug aus dem Elternhaus (überfällig!) seine erste, extra aufgehübschte Wohnung aufschließen. Oder wenn sie einem alleinerziehenden Papa mittels neuer Frisur, schicker Brille und Jackett (wie schön es die Hängeschultern aufrichtet!) zu weniger Selbstzweifeln und so endlich auch mal wieder zu einem erfolgreichen Date verhelfen.
Im Gespräch betonen alle "Fab Five", dass sie mit "Queer Eye Germany" Sichtbarkeit für queere Identitäten schaffen möchten, dass ihre jeweiligen Professionen und Expertisen damit aber nichts zu tun hätten. Kann das stimmen? Das ist die Frage an Professor Shaun Cole. Er lehrt Modegeschichte an der University of Southhampton und ist, nicht zuletzt aufgrund seines 2000 veröffentlichten Standardwerks "Don We Now Our Gay Apparel", die Autorität, wenn es um die Erforschung geht, wie sich schwule und queere Identitäten historisch oft um modische Stile und textile Codes ausgebildet haben. Cole sagt: "Das reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert zum queeren Ästhetizismus, zum Beispiel zur grünen Nelke, die Oscar Wilde als Erkennungszeichen im Knopfloch trug, es reicht auch über die roten Krawatten, die schwule Männer in den Dreißigerjahren in New York trugen, über Wildlederschuhe, und bis in die Siebzigerjahre zu den hypermaskulinen sogenannten Clone-Looks."
Letztere entstanden, als amerikanische Schwule, beflügelt von der sexuellen Befreiung und ihren ersten Erfolgen im Kampf gegen Diskriminierung, sich die Kleidungsstile von Arbeitern, Cowboys und Soldaten aneigneten - diese Uniformen dann aber mit einer zuvor ungekannten Detailversessenheit trugen sowie mit einem sehr expliziten Bewusstsein für den männlichen Körper und seine Formen. Man denke an: schnurrbärtige Muskelmänner in engen Jeans und kurzen Bomberjäckchen. "Ein ganz signifikanter schwuler Stil", sagt Shaun Cole.
"Im Original waren die Fab Five noch eine Gruppe zickiger, gehässiger Schwuler."
Das soll nun nicht heißen, dass alle Schwulen so herumlaufen, und sicher auch nicht, dass alle queeren Menschen sich für Mode und Stil interessieren. Aber, so sagt Shaun Cole: "Queeren Menschen standen zu Zeiten der Illegalität nur zwei Strategien zur Verfügung: Entweder sie versteckten sich, machten sich in der Öffentlichkeit also unsichtbar, indem sie sich so hetero und respektabel wie möglich kleideten. Sie gaben sich einander dann höchstens durch sehr subtile Zeichen, wie etwa die Farbe einer Krawatte, zu erkennen. Oder sie wählten das mutigere, aber gefährliche Extrem - offensive Sichtbarkeit durch feminine Flamboyanz. Schwule machten sich dann quasi stolz das schlimme Denken des 19. Jahrhunderts zu eigen, dass homosexuelle Männer so etwas wie verkappte Frauen sind, deren Seelen im falschen Körper gefangen sind. Sie wurden dafür oft festgenommen und eingesperrt."
So oder so: Queere Menschen waren lange darauf zurückgeworfen, sich viel mehr Gedanken über ihr eigenes Erscheinungsbild und Auftreten machen zu müssen als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossinnen und Geschlechtsgenossen - eben aufgrund der sozialen Ausgrenzung und Kriminalisierung. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei, zumindest in den privilegierteren Teilen der westlichen Welt. Und doch ließe sich sagen, dass ein Erbe dieser textilen und stilistischen Sensibilitäten, die sich einst im Zwang bildeten und die immer auch Überlebenstechniken waren, bis heute fortbesteht - als historisches Wissen, als Fertigkeiten in der Modeindustrie (in der traditionell viele Schwule arbeiten, auch wenn sie darüber lange nicht reden durften), und ja, auch als soziales, symbolisches Kapital. Es kommt in "Queer Eye" zum Tragen.
Dem kann bis zu einem gewissen Grad auch David Jakobs zustimmen. Sie wählt für sich das Pronomen "sie" und ist in der deutschen "Queer Eye"-Staffel die krass tätowierte, herzig sprechende Haar- und Beauty-Expertin: "Viele queere Menschen haben so für ihre Rechte gekämpft und stehen tagtäglich immer noch so für ihr Sein ein, dass sie vielleicht deshalb ein anderes Selbstbewusstsein haben, auch in Bezug auf ihr Auftreten. Und das versprühen wir gerne", sagt sie.
Das Ansehen von "Queer Eye Germany" kann durchaus gute Laune machen. Es gibt in der Serie sehr viele Gruppenumarmungen, Erleichterungsseufzer und aufgeregte "Erkennst du dich im Spiegel noch wieder?"-Momente. "Wir sind wie der Regenbogen, wir bringen Farbe, Freude und sparkle in die graue Welt unserer mentees", sagt Ayan Yuruk - damit meint er die Menschen, die in der Serie ihr optisches und mentales Makeover erhalten.
Bemerkenswert ist die Wandlung des Formats. Es startete 2003 in den USA zunächst unter dem Titel "Queer Eye for the Straight Guy" und kümmerte sich anfangs tatsächlich nur um heterosexuelle Männer in verschiedenen Verwahrlosungsgraden. "Im Original waren die Fab Five noch eine Gruppe zickiger, gehässiger Schwuler, die Dinge sagten wie: Deine Wohnung ist ein Dreckstall, du siehst schlimm aus, wir wedeln hier mal mit unseren schwulen Zauberstäben herum, um dich in eine Hetero-Version unserer selbst zu verwandeln", sagt Professor Shaun Cole. Er schaut gern "Queer Eye" - und ergänzt: "In den neueren Staffeln scheint es um solche Stereotypen nicht mehr zu gehen, sondern um ein freundlicheres Feeling-Caring-Sharing, und um Plattitüden der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends wie: Wir wollen dir helfen, dein Leben besser, voll und ganz zu leben."
Für solche Sätze ist bei "Queer Eye Germany" vor allem Leni Bolt zuständig. Sie ist Life-Coach, non-binär, trägt ihre Haare violett und sagt: "Ich helfe den Menschen, sich um ihr Inneres zu kümmern, das heißt um ihr Wohlbefinden, ja, um ihren Alltag wieder besser in den Griff zu bekommen." Das Aussehen und die Klamotten werden dabei eigentlich unwichtig, was zählt, ist die geistige Einstellung. Leni selbst sieht in ihren Outfits, die oft schlicht aus Jeansjacke, Strickpulli und Chucks bestehen, im Kreis der "Fab Five" fast am unqueersten aus. Herrliche Widersprüchlichkeiten!
Derweil werden die Wohnungen gewienert und ausstaffiert, bis sie aussehen wie aus dem Katalog eines beliebigen Möbelhauses im Shopping-Gürtel der Kleinstadt. Sie unterscheiden sich kaum von den Wohnungen, die in anderen Reality-Makeover-Formaten stolz als Ergebnis präsentiert werden. Ist an diesem halb postmodern-minimalistischen, halb dekoverliebten Style-Cocooning noch irgendetwas queer?
Der Autor und Dandy Quentin Crisp (1908 - 1999) gilt heute als große queere Ikone. Er wurde nicht zuletzt dafür berühmt, dass er im Look und Duktus einer affektierten britischen Granny sagte, all das Putzen und Wohnung-hübsch-Machen lohne sich doch gar nicht. Denn schon nach vier Jahren stagniere das Dreckwachstum, die Staubschichten in der Wohnung würden dann gar nicht mehr dicker. Igitt! Aber ja, auch solch ein krustiges Verständnis von Heimeligkeit kann Teil einer queeren Identität sein. Es wäre nur zu unappetitlich für Netflix.