Süddeutsche Zeitung

Murals:Wie Sprayer der Werbeindustrie helfen sollen

Lesezeit: 3 min

Von Tanja Rest

An der Pariser Place Vendôme scheint neuerdings 24 Stunden am Tag die Sonne. Die riesige Stahlskulptur prangt außen am Haus Nr. 2, über die frisch geputzte und restaurierte Fassade des Versailles-Architekten Jules Hardouin-Mansart breitet sich ein Kranz aus goldenen Strahlen.

Wunderschön anzusehen, nur eines ist seltsam: Die Sonne hängt nicht, wie zu erwarten wäre, oben am Gebäude, sie erstrahlt nahezu auf Augenhöhe der Passanten. Diese wiederum bleiben bezaubert stehen, um exakt das zu tun, was an dieser Stelle von ihnen erwartet wird: Sie kramen ihr Handy hervor und machen ein Sonnen-Selfie, das sie dann über die verschiedenen Social-Media-Kanäle hinaussenden in die Welt.

Selbst schmerzfreien People-Magazinen ist die Pappwand mit Bierlogo längst zu plump

Selbst wenn sie das Geschäft danach nicht betreten und eine Tasche für 2000 Euro kaufen, die Maison Louis Vuitton steht auf jeden Fall gut da.

Wir leben bekanntermaßen in einem Zeitalter der permanenten digitalen Selbstbespiegelung, was auch bedeutet: der permanenten Suche nach Hintergründen, die etwas über die davor posierende Person erzählen (idealerweise etwas Außerordentliches, Schmeichelhaftes).

Palmenstrände, Berggipfel, Sonnenuntergänge oder das urbane Panorama der Rooftop-Bar sind natürlich immer gern genommen, aber auch ein wenig abgegriffen nach acht Jahren Instagram. Weshalb es schon Hintergrund-Hashtags gibt wie #photogenicwalls oder den Account der New Yorkerin Eva Chen: eine Sammlung kunterbunter Wandgemälde mit Selfie-Potenzial, exakte Ortsangabe inklusive. Hoppla, muss sich irgendwann die Industrie gedacht haben, da ist doch vielleicht für uns auch was drin.

Kommerzielle Hintergrundgestaltung, das war bis vor Kurzem noch die Werbepappwand, vor die sich Promis bei Filmpremieren zu stellen hatten, verziert mit dem Namen des Verleihs und dem Logo der Brauerei, die hinterher das Pils ausschenkte. Selbst People-Magazine mit hoher Schmerztoleranz drucken solche Fotos nur recht klein. Dabei geht es, wie man immer öfter sieht, sehr viel subtiler.

Werbung darf für junge Kunden nicht aussehen wie Werbung

Im August 2017 erschien auf zwei New Yorker Backsteinwänden eine handgepinselte Frage in XXL-Buchstaben: "And you, what would you do for love?" Das war nicht nur ein astreiner Hingucker, das war ein Einladungsschreiben an alle. Die Menschen stellten sich also vor diese Wand, formten Fingerherzchen, umarmten und küssten sich, winkten, einmal fand sich eine ganze Hochzeitsgesellschaft zum Gruppenfoto ein.

Die Bilder landeten unter dem angegebenen Hashtag #Missdiorforlove zu Tausenden auf Instagram, und für jeden Post überwies die Firma Dior einen Dollar an die Organisation We Movement, die sich für bessere Lebensbedingungen weltweit einsetzte. Verstanden so weit? Irgendwie ging es auch noch um die aktuelle Parfumkampagne, aber wirklich nur am Rande.

So funktioniert Werbung heute, wenn man die jungen Kunden kriegen will: Sie darf nicht aussehen wie Werbung. Sie muss unangepasst und authentisch rüberkommen. Und sie muss auf Social Media funktionieren. Als Adidas vergangenes Jahr seinen eher harmlosen "Pureboost DPR"-Turnschuh einführte, mietete das Marketing zehn Wände in Brooklyn und ließ sie von lokalen Street Artists bemalen. Vor eine dieser Wände stellte sich dann das Supermodel Kendall Jenner, um ihre Zusammenarbeit mit Adidas zu verkünden; das dazugehörige Instagram-Video schauten fast acht Millionen Menschen an.

Wer Fotos von sich vor rockigen Murals bei Instagram postet, will mindestens genauso rockig sein

Auch Gucci, Chanel, Paul Smith und Givenchy haben sogenannte Murals von Stars der Street-Art-Szene schon für Werbezwecke genutzt, das Label Rag & Bone lässt die Fassade seines New Yorker Stores sogar jeden Monat von einem anderen Künstler gestalten. Wer sich vor eine solche Wand stellt und ein Selfie macht, sagt damit Folgendes: Seht alle her, ich stehe vor einem Hintergrund, der genauso bunt, rockig und einzigartig ist wie ich! Attribute, die unbewusst auch auf die Marke übertragen werden, und sei sie streng genommen noch so dröge.

"Cultural Camouflage" nennt der Werber Heiko Zimmermann diese PR-Strategie: "Man will sich ein cooleres Image geben oder eine hippere Zielgruppe ansprechen, und dafür hängt man sich einen Umhang um, der einem gar nicht gehört. Es ist das gleiche Prinzip wie Greenwashing." Zimmermann ist Client Service Director bei der Münchner Werbeagentur Bloom und führt nebenbei eine Galerie für Street Art.

Als der Sender Fox seine Serie "Outcast" startete, ließ er eine 20-Meter-Wand an der East Side Gallery von den Berliner Innerfields-Künstlern besprühen, ein Aufmerksamkeitserfolg. Er schätzt, dass etwa 75 Prozent der Betrachter von Murals über das Internet erreicht werden. Ob dort auch direkt Umsatz generiert wird, lasse sich allerdings kaum messen. Man müsse da als Marke unterscheiden, sagt Zimmermann: "Ist es mein Ziel, kurzfristig den Absatz zu steigern? Oder will ich eine nachwachsende Zielgruppe ansprechen, indem ich mir ein Image gebe, das denen gefällt?"

In diesem Fall müssten die jungen Leute dem gediegenen Haus Hermès eigentlich demnächst die Türen einlaufen - immerhin engagierten die Franzosen bereits vor sieben Jahren den umtriebigen Sprayer Cyril Kongo. Allerdings, kleiner Schönheitsfehler, ließen sie ihn keine Wände besprühen. Sie druckten seine Graffiti ganz konservativ auf Schals.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2018
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