Süddeutsche Zeitung

Mode-Ikone:La bella Benedetta

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Topmodel der Sixties, Warhol-Muse, Feministin: Eine Begegnung mit Benedetta Barzini, 78, die im internationalen Modezirkus gerade wieder sehr angesagt ist.

Von Anne Goebel

Mailand, Magenta-Viertel, das großbürgerliche Wohnzimmer der Stadt. Jugendstilfassaden neben Designläden, der Verkehr braust über den Largo Alpini - die Adresse, sehr bourgeois und trotzdem modern, könnte kaum besser passen zu Benedetta Barzini. Legendäres Topmodel der Sechziger in New York, erste Italienerin auf dem Cover der Vogue, Industriellentöchterchen, Marxistin, Feministin, vierfache Mutter, Professorin für Modesoziologie und heute, mit 78, immer noch als Model aktiv. Kurzer Anruf, man verspäte sich leider, sie beschwichtigt in sanftem Ton. Zehn Minuten später tritt dann eine Frau in die Eingangshalle mit Mosaikfußboden, die auf den ersten Blick so gar nichts Sanftes an sich hat. Schlank, groß, ein ernstes, unbewegliches Gesicht und natürlich: wunderschön.

Benedetta, die Widersprüchliche, mädchenhaft und spröde zugleich: Mit dieser Rolle hat Benedetta Barzini vor fast sechs Jahrzehnten den Grundstein ihrer langen und schillernden Karriere gelegt. Großfotografen wie Richard Avedon und Irving Penn, fasziniert von ihrem undurchschaubaren Blick, haben sie in zahllosen Modestrecken verewigt, Vanity Fair zählte sie zu den "100 größten Schönheiten der Welt". Und die Rätselhafte, das wird schnell klar, gibt sie auch heute noch ganz gern. Der Empfang gerät distanziert ("Ich wohne im Rückgebäude, warum stehen Sie hier im Treppenhaus?"), bereits beim Zwischenstopp in der Erdgeschoss-Bar kehrt das Milde in ihrer Stimme zurück. "Ciao, Beni", flüstert der Kellner, er serviert den Kaffee mit einer Mischung aus Fürsorge und Hochachtung. Und oben, nach einer steilen Treppe, kommt sie in ihrem heillos überfüllten Arbeitszimmer schnell auf den Punkt. "La sedia per l'ospite", der Stuhl für den Gast. Sie selbst nimmt auf einem Klapphocker Platz zwischen Kartons, gestapelten Fotos, Regalen voller Erinnerungsstücke. Eine erste Zigarette. "Die Zerrissenheit", sagt Benedetta Barzini, "ist mein Lebensthema."

Exotische Südländerin: Barzini begeistert

Das ist gut zusammengefasst für eine Biografie voller Ambivalenzen. Barzini wird entdeckt von der treffsicheren amerikanischen Vogue-Chefin Diana Vreeland, die die 20-Jährige mit dem dunklen Schopf und markantem Muttermal auf der rechten Wange als "exotic mediterranean" in den Kreis ihrer bevorzugten Mädchen aufnimmt, als exotische Südländerin. Aus dem einwöchigen Shooting-Termin in New York wird ein halbes Jahrzehnt - und die fremdländische Benedetta eines der berühmtesten Models ihrer Zeit.

Sie arbeitet rastlos, trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Herkunft. Der Vater ist einer der renommiertesten Journalisten Italiens, die Mutter schwerreiche Erbin des Feltrinelli-Konzerns - aber in ihrer Kindheit und Jugend, das hat Barzini in Interviews oft betont, "fehlte es vollkommen an Liebe". Gut möglich, dass sie gerade die Kunstwelt der Mode als Chance begreift, auf eigenen Beinen zu stehen und doch nichts von sich preiszugeben. In den typischen Posen der Sixties mit Ausfallschritt und angewinkelten Armen verkörpert sie in Entwürfen von Valentino, Emilio Pucci oder Oscar de la Renta auf makellose Weise die glamouröse, leicht entrückte Schöne.

Wer sich heute die Bilder dieser Modestrecken anschaut - von denen, das ist bemerkenswert, fast keines an den gepflasterten Wänden ihrer Wohnung hängt -, erkennt eine junge Frau, die in Lackschuhen oder A-Linien-Kleidchen konzentriert ihre Arbeit macht. Sie steht da, lehnt sich an, macht Sprünge oder liegt auf futuristischen Möbeln. Das sieht alles sehr gut und sexy aus, und doch wird man bei ihr die Frage nicht los: Was sie selbst von all den Albernheiten wohl hielt? War die Nachdenklichkeit reine Pose oder eher sehr echt? Models mit allzu komplexen Meinungen waren damals allerdings so wenig gefragt wie heute. Ihr Vater im fernen Italien, der politisch immer mehr nach rechts rückt, missbilligt ihre Tuchfühlung mit der Künstlergang um Andy Warhol.

Rauchen mit Duchamp, Dalí macht ihr den Hof

Aufträge hat sie jedenfalls genug, der lange Schwanenhals, das aristokratische Profil gelten als Barzini-Markenzeichen. Privat bevorzugt sie schon damals die lässigeren Looks. Wer Benedetta Barzini heute begegnet, trifft auf eine Frau mit gebändigter grauer Mähne, die ihren Körper mit locker sitzenden Teilen eher umhüllt als inszeniert, beneidenswerterweise hat das bei ihr trotzdem Grandezza. In den Agenturen, erzählt sie, habe man ihr während der New Yorker Jahre oft nicht glauben wollen, dass sie das Model auf den mitgebrachten Aufnahmen sei, weil sie ungeschminkt im Strickrolli erschien: "Is that you?" Barzini macht zwischen zwei Zügen an der Zigarette kleine Grimassen und ahmt den hysterischen Assistentinnen-Tonfall nach - gefolgt von einem so strahlenden Lächeln, dass selbst der vergilbte Zeitschriftenstapel hinter ihr zu leuchten scheint. Ungefähr so muss sie seinerzeit Warhol bezaubert haben, in dessen sagenumwobener Factory raucht sie Zigarren mit Marcel Duchamp, Salvador Dalí macht ihr den Hof, und der verspätete Beat-Poet Gerard Malanga dichtet seine "Benedetta Poems".

Das ist alles ziemlich lange her, aber ihr "Totem-Gesicht", wie eine italienische Journalistin mal passend geschrieben hat, ist noch äußerst fotogen. Kein Wunder, dass eine wie sie als Senior Model wieder gefragt ist, seit die Modekonzerne immer schön die zahlungskräftigen Älteren im Blick haben. Donna Karan buchte Barzini schon im Jahr 1999 für eine Werbestrecke von Peter Lindbergh. Bei den Fashion Weeks in Mailand oder London läuft sie regelmäßig für Labels wie Daniela Gregis oder Simone Rocha. Und Alessandro Michele hat ihre statuarische Eleganz natürlich längst in den Gucci-Bilderstrom eingespeist, aktuell ist sie in einer Kampagne für neue Beautyprodukte zu sehen. Als Barzini vor zwei Jahren das erste Mal auf Fotos der italienischen Luxusmarke auftaucht, führt das in den sozialen Netzwerken zu allgemeiner Rührung und großem Verbeugen: Endlich, Benedetta ist zurück, die Ikone und "timeless beauty".

Sie selbst sieht ihr Comeback reserviert. Das konnte man schon in dem schönen Film ahnen, den ihr Sohn, der Regisseur Beniamino Barrese, 2019 über sie gedreht hat. "Das Verschwinden meiner Mutter" zeichnet Barzinis bewegtes zweites Leben nach, das auf die Jetset-Jahre folgt. Als die interessanten Aufträge versiegen, lässt sie New York hinter sich und ficht zu Hause in Italien bittere Kämpfe aus, privat und gesellschaftlich. Zwei schmerzhaft gescheiterte Ehen, die vier Kinder zieht sie alleine groß, in Interviews spricht sie offen über ihre Magersucht, über Einsamkeit und die Last der berühmten Herkunft. Sie arbeitet ehrenamtlich auf der Geburtsstation einer Klinik und schließt sich als linke Feministin zeitweise der militanten Gruppe Unione Donne Italiane an. Barreses Film zeigt in Rückblenden eine leidenschaftliche Rednerin, deren Zorn sich gegen (nicht nur italienische) Patriarchen und eine Modeindustrie wendet, die Frauen zu Objekten degradiert. Und porträtiert in der Gegenwart eine erschöpfte, ergraute 76-Jährige, die der Mühen und Fehden müde zu sein scheint.

"Das Verschwinden meiner Mutter" ist trotz aller Melancholie ein zuversichtlicher Film, auch über ein intensives Mutter-Sohn-Verhältnis. Und jetzt, zwei Jahre später, ist la Barzini back in business trotz all der Bitterkeit über die Modebranche? "Ich versuche, die Jobs gut zu machen, das ist alles", sagt sie. "Aber Mode hat mich nie wirklich interessiert." Lange Pause, Rauchwolke. "Und die meisten Bilder, die die Mode produziert, erzählen dieselbe alte Geschichte: Der Mann ist der Jäger, die Frau seine Trophäe. Ich mag die Geschichte nicht."

Unterwerft euch keinen Trends, fordert Barzini

Sie nimmt eine der vielen Fotografien von der Wand, dort hängen neben Werken befreundeter Künstler viele Familienaufnahmen und Schnappschüsse. Das Modefoto aus den Sechzigerjahren zeigt einen Designer, ganz standesbewusster Maestro, auf einem plüschigen Sofa (Emilio Pucci), der eine sehr junge Frau betrachtet, die vor ihm in einer seiner Kreationen aus durchscheinendem Stoff anmutig tänzelt (Benedetta). Das Foto mag Jahrzehnte alt und das Motiv überkommen sein, aber es demonstriert sehr genau das Machtgefälle zwischen den Geschlechterrollen, das Barzini als Feministin anprangert. Wobei es schon eine ironische Volte ist, dass ausgerechnet ihr Gesicht, sichtbar frei von Schönheits-OPs und sich somit den gängigen Normen seit Jahren widersetzend, genau deshalb für Shootings neuerdings wieder interessant ist.

Was die Zuversicht betrifft: Bis vor wenigen Jahren hat Benedetta Barzini als Dozentin für Modesoziologie an Hochschulen in Mailand und Urbino ihren vornehmlich weiblichen Studenten jedes Semester erklärt: Kleidung darf kein Diktat sein, sondern bedeutet Freiheit der Wahl! Unterwerft euch keinen Trends, sondern zieht an, was euch gut tut! Ob's geholfen hat? Letzte Zigarette, ironisches Funkeln im Blick. Sie denke, es dauere "ungefähr noch zweihundert Jahre, bis wir Frauen verstanden haben: Wer mit seinem Körper nur gefallen will, kann nicht unabhängig im Kopf sein." Höchste Zeit für alle also, damit mal loszulegen, findet die Signora. "Meglio oggi che domani", lieber heute als morgen.

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