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Halbfinale der US Open:Plötzlich ist Zverev der Liebling aller

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Der deutsche Tennisprofi löste oft Irritationen aus, galt als Inbegriff der Abgehobenheit. Vor seinem Halbfinalspiel bei den US Open an diesem Abend erlebt er einen erstaunlichem Imagewandel.

Von Gerald Kleffmann

Bei den US Open, einem der vier größten Tennisturniere der Welt, beschäftigt gerade eine wiederkehrende Frage die Fangemeinde. Trägt Alexander Zverev ein T-Shirt? Der 23-jährige Deutsche hat sich diese Debatte eingebrockt, weil er oft "oben ohne" zum Zuschauen im New Yorker Arthur-Ashe-Stadion erschien.

Wegen der Pandemie sind bei der ersten Grand-Slam-Veranstaltung nach der Corona-Pause keine Zuschauer zugelassen. Kurzerhand wurden Besucherlogen den Topspielern zur Verfügung gestellt. Zverev nahm sich die Freiheit, dort mit nacktem Oberkörper zu erscheinen. Kameras fingen es ein, und die Gags nahmen ihren Lauf. Als Zverev während eines Matches von Serena Williams doch einmal ganz bekleidet gesichtet wurde, twitterten die Veranstalter: "Was für eine Enttäuschung. Er hat ein Hemd an." Zverev, der Liebling aller - diese Rolle ist neu für den Deutschen, der immer wieder als Inbegriff des abgehobenen Sportstars galt.

An diesem Freitag bestreitet Deutschlands bester Profi sein erstes Halbfinale in New York. Sollte er den Spanier Pablo Carreño Busta besiegen, wäre er der erste deutsche Mann im Endspiel der US Open seit 1994; damals verlor Michael Stich gegen Andre Agassi. Der letzte deutsche Gewinner war Boris Becker 1989, seinerzeit ein Nationalheld. Selbst Pleiten und private Turbulenzen wurden Becker damals nachgesehen. Bei Zverev gestaltete sich das Verhältnis zur Heimat von Anfang an schwieriger. Noch ist nicht klar, wie diese Geschichte einmal enden wird: als Lovestory - oder als Geschichte eines Missverstandenen. So fühlte er sich jedenfalls oft.

Zverev, mit großem Selbstvertrauen gesegnet, lebt seit seiner Kindheit in der Welt des Tennis, sein Aufstieg wirkte vorbestimmt. Vater Alexander, zugleich sein Trainer, spielte für die UdSSR, Mutter Irina war ebenfalls eine gute Spielerin ihres Landes. Zunächst setzten die Zverevs, die 1991 von Moskau nach Deutschland gezogen waren, auf Mischa. Der zehn Jahre ältere Bruder von Alexander konnte die Erwartungen nicht ganz erfüllen. Das größere Talent war Alexander, der beim Juniorenturnier der Australian Open triumphierte und dann durchstartete. Mit 18 errang er seinen ersten großen Titel, in St. Petersburg, zehn weitere folgten, darunter bei den ATP Finals in London 2018.

Auf der fatalen "Adria Tour" war Zverev sehr engagiert bei den nächtlichen Feierlichkeiten dabei

Oft löste Zverev, der in Hamburg geboren ist und in Monte Carlo lebt, allerdings Irritationen aus. Auf dem Platz neigte er zu Wutausbrüchen, nach Niederlagen zu Patzigkeiten. Unvergessen seine Antwort nach dem frühen Aus 2018 in Wimbledon, als er gefragt wurde, was er nun mache: "Ich? Ich bin auf dem Boot in Monte Carlo. Hier werdet ihr mich nicht mehr sehen." Er hat es mit seiner Launenhaftigkeit nicht nur neutralen Beobachtern, sondern auch Fans nicht immer leicht gemacht. In diesem Jahr stellte er die Fangemeinde besonders auf die Probe.

Dabei war er zunächst der gefeierte Held, als er im Januar in Melbourne erstmals ein Grand-Slam-Halbfinale erreichte. Mit Corona kamen aber neue Probleme. Als der Weltrangliste-Erste Novak Djokovic seine fatale "Adria Tour", eine Schaukampfserie, veranstaltete, war Zverev (ohne Hemd) sehr engagiert bei den nächtlichen Feierlichkeiten dabei. Nachdem diverse Beteiligte positiv getestet worden waren, zeigte sich Zverev geläutert - und wurde doch kurz darauf an der Côte d'Azur feiernd (mit Hemd) auf einer Party gefilmt. Im Tenniskosmos stand er plötzlich als Buhmann da.

Bei diesen US Open erlebt Zverev nun einen erstaunlichen Imagewandel. Nicht nur sein gutes Tennis und seine Beherrschtheit auf dem Platz brachten ihm Sympathien ein. Vor seinem Match in der dritten Runde hatte er drei Stunden gewartet, ehe feststand, dass sein Gegner Adrian Mannarino würde spielen dürfen; der Franzose hatte Kontakt zu einem Kollegen gehabt, der sich mit Corona infiziert hatte. Dieser Sportsgeist, dem Gegner eine Chance zu geben, wurde Zverev hoch angerechnet.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2020
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