Süddeutsche Zeitung

WM in Russland:Fußball zur Tarnung

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Russlands Präsident Putin könnte die Fußball-WM in seinem Land als Bühne missbrauchen. Auch wenn Sportfunktionäre die Frage nach einem Boykott zurückweisen: Sie wird sich stellen.

Kommentar von Thomas Kistner

Die Fußballwelt rotiert gerade wieder um Katar und die freudlosen Aussichten auf ein WM-Turnier, das nun vom Sommer in den Winter des Jahres 2022 verschoben wird. Bei all der Kritik an diesem Event, die von der Frage, wie der Weltverband Fifa überhaupt zu diesem Votum kam, bis zur mangelhaften Verfassung der Arbeits- und Menschenrechte im Veranstalterland reicht, blieb bislang eines unberücksichtigt: dass es einen viel näherliegenden Brandherd gibt. Die nächste Fußball-WM.

Die wurde an Russland vergeben, bereits in drei Jahren sollen sich die Helden des weltgrößten Sports in Putins Reich versammeln. In jenem globalpolitischen Spannungsfeld, das eine ganz andere Dimension an Problemen birgt als das geltungshungrige Emirat.

Der Anfang wurde nun gemacht: Die Forderung des ukrainischen Präsidenten Poroschenko nach einem möglichen Boykott der WM in Russland ist auf dem Tisch - und die Debatte eröffnet. Wie immer in Boykottfragen verläuft die Trennlinie scharf zwischen Sport und Politik. Während aus dem Unions-Lager Zustimmung für so ein Szenario signalisiert wird, sind Sportfunktionäre wie DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und IOC-Chef Thomas Bach grundsätzlich gegen Boykotte.

Das WM-Land Brasilien befindet sich in desolater Verfassung

Niersbach pflegt die blumige Rhetorik vom Sport als Bühne, die zur Verbesserung der Verhältnisse im Veranstalterland beitragen könne. Wie tauglich diese Bühne in der Praxis ist, zeigte jüngst die WM 2014 in Brasilien: Das Land befindet sich heute in desolater Wirtschaftsverfassung, soziale Spannungen sind stärker als je zuvor, erst am Wochenende zogen 1,5 Millionen Menschen protestierend durch die Straßen.

Es sind dieselben Menschen, die sich während der WM angesichts der martialischen Präsenz einer insgesamt 175 000 Sicherheitskräfte umfassenden WM-Armee lieber still verhalten haben.

Was aber Bachs Einwurf angeht ("Boykott widerspricht dem Sinn des Sports, Brücken zu bauen. Sport hält oft die letzte Tür zum Dialog offen"): Der lässt sich akkurat mit der Realpolitik abgleichen. Die sieht nach Putins eigenen Worten in einer TV-Doku so aus, dass er am 23. Februar 2014 frühmorgens die Sitzung beendet hat, bei der die Krim-Annexion beschlossen wurde: "Als wir uns trennten, sagte ich zu meinen Kollegen: Wir müssen die Krim zurück zu Russland holen."

Stunden später bei der Schlussfeier der Winterspiele in Sotschi stand ihm ein bewegter Bach zur Seite. Der wusste zwar nicht, was Putin gerade angeleiert hatte, stemmte sich aber generell allen Putin-kritischen Fragen entgegen: dass Politiker solche Events zur Imagepflege nutzten, sei ein "legitimes Interesse".

Genau darum könnte es in drei Jahren gehen. Hat sich die Lage dann nicht deutlich entspannt, wird die Frage nach dem WM-Boykott eine sehr reale sein. Bis dahin sollten sich die Funktionäre überlegt haben, wie sich verhindern lässt, dass ihre Sportbühne als Tarnung für politische Aggression missbraucht werden kann.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2015
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