Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Afrikanische Mannschaften:Ein Kontinent wartet

Lesezeit: 3 min

Vor 20 Jahren galten die Freudentänze des Roger Milla als Prophezeiung: Afrikas Fußball erstarkt! In Südafrika ist davon bislang wenig zu sehen. Doch es ist zu früh, die Afrikaner abzuschreiben.

Christian Zaschke

Als der Kameruner Roger Milla 1990 jeden seiner vier WM-Treffer mit einem Tänzchen an der Eckfahne feierte, war das einerseits Folklore. Fans aus aller Welt freuten sich über die Treffer des damals 38-Jährigen, besonders groß war der Jubel, als Milla dem kolumbianischen Torwart René Higuita, der seinen Hang zur Geltungssucht mit Dribblings im Mittelfeld auszudrücken pflegte, den Ball stibitzte und nach kurzem Lauf ins leere Tor schob.

Millas Tänze waren andererseits mehr als Folklore, sie waren Ausdruck dessen, was nun unausweichlich kommen würde im Weltfußball, sie waren eine Prophezeiung. Kamerun schaffte es 1990 bis ins Viertelfinale, und die Fachwelt war sich darüber einig, dass es nicht mehr lange dauern könnte, bis der erste Weltmeister aus Afrika kommen würde.

20 Jahre sind seither vergangen, noch immer hat es keine afrikanische Mannschaft ins Halbfinale einer WM geschafft. Die Prophezeiung erfüllte sich nicht, im Gegenteil. Zwar stehen immer mehr afrikanische Spieler bei den europäischen Großklubs unter Vertrag, doch die Nationalmannschaften stagnieren. Auch diese WM sieht bisher nicht so aus, als könnte sie das ersehnte Turnier der afrikanischen Mannschaften werden.

Algerien und Kamerun sind mit Niederlagen in die WM gestartet, Nigeria hat deren bereits zwei gesammelt, unter anderem gegen das biedere, defensive und wirklich nicht unüberwindliche Team aus Griechenland. Südafrika ist nach dem 1:1 gegen Mexiko und dem 0:3 gegen Uruguay so gut wie gescheitert.

Ivorer im Pech

Die Elfenbeinküste, von allen afrikanischen Mannschaften sicherlich am stärksten besetzt, hat die mit Abstand schwierigste Gruppe erwischt, Portugal, Brasilien und Nordkorea heißen die Gegner, und nur unkundige Beobachter halten Nordkorea für eine schwache Mannschaft; bereits bei der WM 2006 hatte die Elfenbeinküste Lospech und erwischte Argentinien, die Niederlande und Serbien. Allein Ghana hat bei diesem Turnier nach dem Auftaktsieg gegen die Serben eine gute Ausgangsposition. Bereits vor vier Jahren erreichten die Ghanaer als einzige afrikanische Mannschaft das Achtelfinale; sie scheiterten an Brasilien.

Viele afrikanische Beobachter bedauern, dass Ägypten in der WM-Qualifikation an Algerien gescheitert ist. Dieser Mannschaft trauten sie am ehesten zu, den Kontinent bei der WM würdig zu vertreten. Unter Trainer Hassan Shehata gewannen die Ägypter dreimal hintereinander den Africa Cup (2006, 2008, 2010). Sie spielen technisch anspruchsvoll, taktisch oft klug, und sie sind flexibel, kurzum: Sie spielen Fußball auf der Höhe der Zeit. Als die Verbände Nigerias und der Elfenbeinküste vor der WM mal wieder auf Trainersuche waren, dachten beide an Shehata, doch der ägyptische Verband mochte da nicht mitspielen. Das Ansinnen der Nigerianer und der Ivorer zeigt allerdings eines der großen Probleme des afrikanischen Nationalmannschaftsfußballs.

Kurzfristig verpflichteten die Länder die Schweden Lars Lagerbäck (Nigeria) und Sven-Göran Eriksson (Elfenbeinküste), von einem kontinuierlichen Aufbau kann natürlich keine Rede sein. Da zudem, solange Wasser nass ist und Kiel an der Ostsee liegt, schwedische Trainer ein 4-4-2 spielen lassen, mussten beide Teams dieses System einstudieren, ob es ihnen nun liegt oder nicht.

In Kamerun wird derweil über den exzentrischen Trainer Paul Le Guen diskutiert, der sich den Luxus leistete, gegen Japan auf Alexandre Song vom FC Arsenal zu verzichten und seinen Topspieler Samuel Eto'o auf Rechtsaußen einzusetzen, wo ihn viele Beobachter für falsch aufgestellt halten. Die heimische Presse kritisierte ihn dafür nach der Niederlage gegen Japan "im Namen des kamerunischen Volkes".

Bei den Ghanaern ist es nach dem Auftaktsieg erst einmal ruhig. Allerdings gab es vor der WM einiges an Hin und Her um Posten und Pöstchen, am Ende gab der Verband seiner unerklärlichen Schwäche für serbische Fußballlehrer nach, von denen kaum jemand je etwas gehört hat. 2006 führte Ratomir Dujkovic die Mannschaft, 2010 ist es Milovan Rajevac, der kaum Englisch spricht. Ob er die Mannschaft erreicht, wenn es eng wird, ist zumindest fraglich.

Mumbai, Bangkok, Tokio

Die Starspieler der afrikanischen Teams wie Didier Drogba (Elfenbeinküste) und John Obi Mikel (Nigeria) vom FC Chelsea oder Samuel Eto'o von Inter Mailand, um nur einige wenige zu nennen, sind zudem von ihren Klubs eine ganz andere Logistik gewohnt. Immer noch legendär ist zum Beispiel die Reise der Kameruner zur WM 2002. Nachdem sich der Abflug in Paris wegen Prämienverhandlungen um drei Tage verzögert hatte, flog die Maschine nicht direkt nach Tokio, sondern zunächst nach Mumbai. Von dort ging es nach Bangkok, weil der Pilot keine Erlaubnis dafür hatte, einige der auf dem Weg nach Tokio liegenden Länder zu überfliegen.

Beispiele ähnlicher Art gibt es viele von Teams aus Afrika, und verglichen mit der Akribie, mit der Nationen wie Brasilien, Deutschland, Spanien oder Italien ihre WM-Kampagnen betreiben, wirkt diese Art der Planung mindestens naiv. Bei den Italienern läuft hier in Südafrika im eigens eingerichteten Casa Azzurri Italo-Pop, um die mitgereiste Presse bei Laune zu halten. Das ist bloß ein unwichtiges Detail, aber es zeigt, dass die italienischen Logistiker an wirklich alles gedacht haben.

Selbstverständlich ist es zu früh, die Afrikaner bei dieser WM abzuschreiben. Die Elfenbeinküste könnte die schwere Gruppe überstehen und ginge dann mit Selbstvertrauen in die K.o-Spiele. Für Kamerun ist nichts verloren, für Ghana alles drin; selbst Nigeria könnte sich mit einem Sieg über Südkorea fürs Achtelfinale qualifizieren. Der erste Eindruck ist jedoch der, dass es aus vielerlei Gründen noch eine ganze Weile dauern wird, bis sich die Prophezeiung erfüllt, die Roger Millas Tänze um die Eckfahnen vor 20 Jahren bedeuteten.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2010
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