Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Nachbarschaftshilfe unter Schwaben

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Von Anna Dreher, Nürnberg

In gewisser Weise ist das am Samstag gar kein Sieg des VfB Stuttgart gewesen. Spielplan und offenkundige Beobachtungen legen das zwar nahe, aber bei genauer Betrachtung war das 2:0 (0:0) des VfB beim 1. FC Nürnberg eigentlich ein Erfolg des FC Augsburg. Oder, besser, es war eine gelungene schwäbisch-schwäbische Koproduktion. Fortsetzung nicht ausgeschlossen, sehr zur Beruhigung von Stuttgarts Trainer. "Das war heute sehr, sehr wichtig für uns, weil wir eine sehr schwere Phase hatten", sagte Markus Weinzierl nach dem zweiten Saisonsieg. "Aber wir haben noch nichts erreicht."

Weil auch Düsseldorf und Hannover punkten konnten, ist Stuttgart nun alleiniger Letzter. Es war also mehr ein gutes Gefühl, das sich nach diesem lang ersehnten Erfolgserlebnis breit machte und für Zuversicht sorgte, weniger der Blick auf die Tabelle. Aber schon das ist beim VfB Stuttgart derzeit ja ein großer Fortschritt.

Weil das mit dem Toreschießen in dieser Saison bisher nicht so richtig geklappt hatte, musste etwas passieren beim VfB, der Traditionsverein wollte so gerne eine Lösung finden für sein langsam ziemlich nervendes Problem. Sportvorstand Michael Reschke griff also erst mal zu einer Variante, die schon anderen geholfen hat: Er ging das Unterfangen mit einer Entlassung an. Tayfun Korkut musste die Trainerbank im Oktober für Weinzierl räumen. Aber so richtig ist diese Lösung erst einen Monat später in Nürnberg aufgegangen, davor hatte womöglich einfach eine zusätzliche Augsburger Komponente gefehlt.

Diese zusätzliche Komponente saß mit Weinzierl im ausverkauften Max-Morlock-Stadion auf der Trainerbank und besprach mit ihm Dinge - und zwei Mal, da konnte sich diese zusätzliche Komponente ausgelassen freuen. Halil Altintop ist seit Dienstag Co-Trainer seines früheren Trainers: In seinen vier Jahren als Profi des FC Augsburg war Weinzierl drei Jahre Altintops Coach. Weinzierl und Reschke haben den 35-Jährigen nun mit der Zuständigkeit für "individuelle Maßnahmen" geholt, wie es offiziell heißt.

Anders formuliert: Bis Weihnachten soll sich der Ex-Profi um die Analyse und Verbesserungen bei Standardsituationen kümmern. Wenn schon keine Tore aus dem Spiel gemacht werden, dann zumindest nach ruhendem Ball! Auch in dieser Kategorie war die bisherige Bilanz des VfB ja erschreckend: In zehn Spielen kein Tor nach Ecke oder Freistoß - bei Standards das harmloseste Team der Liga.

Allein die Umstellung auf eine Viererkette verbesserte das gesamte Spiel

In Nürnberg aber lieferte Altintop gleich erste Arbeitsnachweise, und so passierte das, was große Teile des Stuttgarter Anhangs schon für fast unmöglich gehalten hatten. 68 Minuten waren gespielt, als der nach einer Ecke (!) von Dennis Aogo abgewehrte Ball bei Timo Baumgartl landete, der zur Führung traf - im 78. Spiel und nach über 6500 Minuten zum ersten Mal in der Bundesliga. "Ich konnte es selbst nicht fassen, dass der reingegangen ist", sagte Baumgartl später. "Ich wurde ja schon von meinen Kollegen aufgezogen, dass ich bald der Spieler mit den meisten Bundesligaspielen ohne Tor sein werde." Diese Kategorie wird er nun nicht mehr gewinnen. Aber da liegt Dennis Diekmeier (18 202 Minuten) ohnehin sehr weit vorne.

Danach wurde die schwäbisch-schwäbische Koproduktion fortgesetzt. Auch weil Nürnberg ein dankbarer Gegner war, im Gegensatz zu Dortmund (0:4), Hoffenheim (0:4) und Frankfurt (0:3), die den VfB unter Weinzierl erst so richtig in die Krise gebracht hatten. Nun haben die Stuttgarter die Nürnberger wieder tiefer hinunter in die Abstiegsregion gezogen - jedoch auch, weil sich die Clubberer haben ziehen lassen.

Den Grundstein dafür hatte Weinzierl immerhin gelegt: Im Vergleich zum vergangenen Spieltag, an dem Frankfurt den VfB geradezu zerlegt hatte, stellte der 43-Jährige auf eine Viererkette um - ohne den zuletzt gegen die Eintracht so unsicheren und seit Mittwoch auch noch an der Wade verletzten Holger Badstuber, dafür mit Marc-Oliver Kempf, Benjamin Pavard, Baumgartl und Andreas Beck. Allein das half schon. Die Defensive brachte jene Stabilität zurück, die auch der Offensive gut tat. Der VfB spielte kämpferischer und mit mehr Übersicht. Auch ohne den verletzten Anastasios Donis kam mehr Tempo ins Spiel, auch ohne den zumindest wieder im Kader stehenden Daniel Didavi waren ein paar kreative Ansätze zu sehen in einer spielerisch allerdings eher mäßigen Partie.

Dass sich beim Treffer zum 2:0 der Augsburger Einfluss um eine dritte Person erweiterte, macht den Stuttgartern Hoffnung, dass sie auf einem guten Weg sein könnten: Erneut schlug Aogo die Ecke, und der kurz zuvor eingewechselte Erik Thommy zog unhaltbar ab - Thommy spielte bis zum vorigen Winter noch beim FCA, auch unter Weinzierl und mit Altintop.

"Halil Altintop", sagte Thommy später, "hat viel Ruhe bei uns reingebracht. Das ist ein guter Typ, er wird uns noch weiterbringen." Was da mitschwang, war viel Erleichterung über die Erkenntnis, dass sie doch noch selbstbewusst Fußball spielen und sogar Tore schießen können. Selbst wenn es erst mal nur Standardtore waren.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2018
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