Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Raserei mit Fritzle

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Beim 3:2 gegen den FC Augsburg gelingt dem VfB Stuttgart erneut ein emotionales Comeback. Die Rückkehr wichtiger Spieler macht den Glauben an eine Aufholjagd leichter.

Von Felix Haselsteiner

Von einer Feier wusste Pellegrino Matarazzo nichts, oder zumindest wollte er nicht in aller Öffentlichkeit darüber sprechen. Es war durchaus ungewöhnlich, Stuttgarts Trainer auf der Pressekonferenz nach dem 3:2 gegen den FC Augsburg nach einer Party zu fragen, ganz so weit scheint der VfB doch noch nicht zu sein, auch wenn sieben Punkten aus den vergangenen drei Spielen für einen eindeutigen sportlichen Aufschwung sprechen. Es ging allerdings ohnehin nicht um die Mannschaft, sondern um den Abschied von Thomas Hitzlsperger als Vorstandsvorsitzender, der möglicherweise ja noch begossen werden könnte. "Wenn er was macht, bin ich sehr enttäuscht, dass ich nicht eingeladen bin", sagte Matarazzo - selbstverständlich mit einem Schmunzeln. Er habe Hitzlsperger mit auf den Weg gegeben, dass der Sieg "für ihn" gewesen sei, sagte der Trainer dann noch.

Matarazzo, das darf man ihm zugute halten, hat im gesamten Saisonverlauf nie aufgehört, ruhig, klar und manchmal auch mit einem Schmunzeln zu sprechen, obwohl die Situation oft genug keinen Anlass für Humor lieferte. An diesem Wochenende aber passte Matarazzos Laune ganz hervorragend ins Zeit- und Emotionsgefüge beim VfB Stuttgart. Es gibt ja endlich wieder Siege, die man scheidenden Vorstandsvorsitzenden widmen kann.

Kalajdzic, Führich, Marmoush: Sie alle fehlten in großen Teilen der Vorrunde

Die beeindruckende Kehrtwende der letzten drei Spiele lässt sich am besten an der Gesamtbilanz ablesen: 26 Punkte hat der VfB in diesem Jahr aus 27 Spielen geholt, das bedeutet Platz 14 in der Tabelle, einen Punkt vor Arminia Bielefeld auf Rang 17 und punktgleich mit einer wieder erstarkten Hertha aus Berlin sowie einem FC Augsburg, der noch ein Nachholspiel auf seiner Seite hat. Eine ernüchternde Situation, eigentlich. Und trotzdem feierten am Samstagnachmittag knapp 60 000 Menschen im nahezu ausverkauften Stuttgarter Stadion gemeinsam mit einer Mannschaft und einem Trainer, der selbst mal kurz aus der Rolle des besonnenen Schmunzlers fiel. Nach dem Tor zum 3:2 raste er in völliger Ekstase die Linie entlang , um mit den anderen Spielern und Maskottchen Fritzle auf den Torschützen Tiago Tomas einzuspringen. Was drei erfolgreiche Spiele eben so auslösen können.

"Emotionen, Leidenschaft, Zusammenhalt, das ist wichtig für eine Mannschaft", sagte Matarazzo nachher: "Das 3:2 war sehr emotional." Es sind verschiedene Effekte, die gerade in der Wiederauferstehung des VfB Stuttgart kulminieren. Allen voran ist es wohl die fast schon banal klingende Tatsache, dass derzeit die entscheidenden Akteure wieder einsatzfähig sind: Spieler wie Sasa Kalajdzic im Sturm oder Chris Führich im offensiven Mittelfeld fielen über weite Strecken der Saison aus, auch Linksverteidiger Borna Sosa musste immer wieder passen, sie sind aber - das zeigen die Partien zuletzt - für den VfB überlebenswichtig. Omar Marmoush, der mit einem sehenswerten Freistoß zum 2:2 traf, fehlte in der Vorrunde ebenfalls immer wieder, zuletzt war er noch beim Afrika Cup, und der Siegtorschütze Tiago Tomas kam überhaupt erst im Winter nach Stuttgart.

Matarazzo kann derzeit wieder eine Mannschaft aufstellen, die eine beachtliche offensive Durchschlagskraft entwickeln kann, emotionale Comebacks fallen so deutlich leichter. Den FC Augsburg drängten die Stuttgarter in der zweiten Halbzeit immer wieder weit in die Defensive zurück, Trainer Markus Weinzierl sagte, seine Mannschaft habe "im Großen und Ganzen nach den Führungen einfach zu wenig Fußball gespielt". Ein Teil der Wahrheit ist aber auch: Sie konnte gar nicht wirklich, weil der VfB druckvoll blieb, auch nach Rückschlägen.

Die defensive Naivität begleitet den VfB allerdings weiter

"Dass wir sieben Punkte in drei Spielen geholt haben, hat nichts mit Übermut zu tun, sondern mit Glaube und Wille", sagte Matarazzo. Den Glauben an die eigenen Fähigkeiten merkt man dem VfB seit dem 3:2-Sieg gegen Gladbach vor zwei Wochen wieder an, die Zuschauer im sonst so kritischen, nun aber fast schon über-euphorischen Cannstatter Stadion tragen dazu ebenfalls bei: "Weil du einfach weißt, heute ist das Stadion wieder voll, heute geht es gegen einen direkten Konkurrenten, heute muss man das Spiel irgendwie gewinnen", sagt Rechtsverteidiger Pascal Stenzel über die aktuelle Motivation.

Die Stuttgarter haben den Glauben wiedergefunden, was allerdings nicht bedeutet, dass die defensive Naivität deshalb verloren gegangen wäre: Erneut brauchte der VfB drei Tore und eine Aufholjagd, um zu gewinnen, von Souveränität war nichts zu spüren. Augsburgs zwei Tore wären recht einfach zu verteidigen gewesen, man hätte sich das mitreißende Comeback also eigentlich auch sparen können. Matarazzo fiel dementsprechend wieder in seinen ruhigen Ton zurück, und er schmunzelte auch nicht, als er sagte, es sei noch "ein langer Weg" in dieser Saison. In zwei Wochen reist der den VfB nach Bielefeld, zum nächsten Abstiegsduell.

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