Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Ab jetzt auch mit Sicherheitsfußball

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Unansehnlich, aber erfolgreich: Der bisher oft spektakuläre Aufsteiger aus Stuttgart passt sich dem Pandemie-Stil an, der für Spiele der unteren Mittelklasse derzeit typisch ist. Ein Auswärtssieg gegen Köln springt trotzdem heraus.

Von Milan Pavlovic, Köln

Sasa Kalajdzic blickte erstaunt, wie ein Schauspieler, der nicht gewusst hatte, dass er für die Pointe der Aufführung ausersehen war. Der Stürmer des VfB Stuttgart, der vor der Pause ungefähr fünf Ballkontakte gehabt hatte, von denen keiner zu etwas geführt hatte, war ganz anders in die zweite Halbzeit gestartet: Einen wunderbar getretenen Freistoß von Borna Sosa verlängerte Kalajdzic per Hinterkopf ins Tor des 1. FC Köln (49. Minute). Das reichte den Schwaben am Ende zu einem trockenen 1:0 (0:0), der Vorsprung auf Platz 16 beträgt nun komfortable elf Punkte. Da konnte Kalajdzic gut wegstecken, dass sein Trainer Pellegrino Matarazzo sagte: "Das war heute bestimmt nicht Sasas bestes Spiel, das weiß er selbst."

Den Äußerungen nach der Partie war zu entnehmen, wie viel Respekt die Teams (oder zumindest die Trainer) vor dem Gegner hatten. "Wir haben Köln nicht in Bewegung bekommen", sagte Matarazzo, deshalb habe man die Abwehr nicht aushebeln können. Kölns Coach Markus Gisdol bedauerte, dass sein Team "die Räume nicht bespielt hat, die Stuttgart uns gelassen hat". Er hatte viele technische Fehler gesehen, aber zwischendurch tröstete er sich damit, Stuttgart klein gehalten zu haben. Beide Seiten, fand Gisdol, "hatten sich gut gelesen".

Leere Stadien verstärken den Trend zum vorsichtigen Spiel

Das war eine euphemistische Umschreibung dafür, dass die Partie 45 Minuten lang unansehnlichen Fußball bot. Und dabei einen bedenklichen Trend in der Liga bestätigte. Die Folge der leeren Stadien ist nicht bloß mangelnde Stimmung, es ist immer mehr eine Art des Spiels, die man dereinst vielleicht als Pandemie-Fußball bezeichnen wird: eine Form von Sicherheitsbestreben, die in vollen Stadien auf Dauer nicht praktizierbar wäre, weil der Unmut der Fans zu laut werden würde.

So aber gibt es zwei Tendenzen: Die eine führt im Mittelfeld zu intensiven Positionskämpfen auf engstem Raum, wo ein Team den Ball für Sekundenbruchteile erobert, bis der nächste Ballverlust den nächsten Versuch in die andere Richtung einleitet. Und bis das fade Schauspiel sich wiederholt. Öffnende Pässe und Flügelwechsel bleiben Ausnahmen, freie Räume werden schneller geschlossen als bei den schnellsten Fahrstuhltüren.

Weil beide Seiten das letzte Risiko scheuen, entwickeln sich immer mehr Begegnungen, wie man sie in dieser Saison von unteren Mittelklasseteams wie Bremen, Augsburg, Hertha BSC und Köln zur Genüge gesehen hat. Der Punkte-Ertrag des SV Werder, der quasi zum Vorreiter dieser Welle wurde, stiftete Rivalen womöglich an, ähnlich aufzutreten. Und es ist ja auch nicht illegitim, so zu spielen. Es ist bloß meistens schrecklich anzusehen.

Der eingewechselte Özcan hämmert den Ball an die Latte

Der andere Trend ist eine eigenwillige Art des Ballbesitzfußballs: Anstatt den Ball auf Anhieb halbblind nach vorne zu schlagen und auf den Abpraller zu hoffen, versuchen selbst untere Mittelklasseklubs wie Köln gegen pressende Gegner einen geordneten Spielaufbau aus der eigenen Zone zu betreiben. Das geht meistens gerade so eben gut, führt aber nur selten zu Raumgewinn - und endet deshalb fast immer doch mit halbblinden Schlägen nach vorne, bei denen auf den Abpraller gehofft wird. So gehen mehrmals pro Spiel zehn bis fünfzehn Sekunden verloren, die dann später fehlen, wenn die eigene Mannschaft in Rückstand gerät.

Der VfB war lange eine spektakuläre Ausnahme in der Liga. Die vergangenen drei Auswärtsspiele waren jedoch alle verloren gegangen, in Leverkusen hatte der Aufsteiger vor zwei Wochen in einem Anfall von Naivität fünf Gegentore kassiert. Die Schwaben waren also entschuldigt, als sie in Köln zunächst auf Ergebnissicherung aus waren. Es fragt sich eher, warum der FC gegen den verunsicherten Gegner nicht entschlossener angetreten war. Denn nach dem Rückstand wirkte Köln endlich energischer und kam nach der Einwechslung von Max Meyer zu zwei Großchancen. Doch Emmanuel Dennis schoss aus sieben Metern über das Tor (69.), und Salih Özcan setzte einen kapitalen Linksschuss an die Latte (77.).

Kritik sei "legitim und nachvollziehbar", erklärte Heldt am Tag nach der Niederlage in einem Mediengespräch: "Aber Sie müssen auch akzeptieren, dass ich damit nix anfangen kann. Und sie mich nicht interessiert, weil ich glaube, dass ich mehr Ahnung habe." Gisdol hatte der nächsten Nullnummer nicht zum ersten Mal moniert, dass ihm jemand in der Sturmspitze fehlt, der in der Torjägerliste so prominent dasteht wie auf Stuttgarter Seite Kalajdzic oder Silas Wamangituka. "Wir haben momentan einfach nicht die Spieler, die reihenweise treffen. Das ist unser Los in dieser Saison, wir müssen mit dem, was uns zur Verfügung steht, in jedem Spiel hart arbeiten. Es wird bis zum Ende eng. Das ist für alle Beteiligten anstrengend, aber es gibt keinen anderen Weg." Das klang wie eine Drohung an die FC-Sympathisanten - und alle Fußball-Ästheten.

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