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Baseball-Playoffs:Die Roboter der Red Sox

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Bostons Baseballern sind in den ersten drei Partien ihrer Halbfinal-Serie gegen die Houston Astros drei Grand-Slam-Homeruns gelungen - in der Geschichte der Baseballliga MLB gab es das noch nie. Lässt sich so etwas im Vorfeld berechnen?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt ein paar Begriffe im Sport, da weiß selbst der Laie ohne Erklärung, dass etwas Spektakuläres passiert ist: Knockout, Dunking, Hattrick; und beim Baseball eben: Grand Slam. Alle drei Laufmale waren mit Akteuren der Boston Red Sox besetzt während der dritten Halbfinal-Partie der Best-of-seven-Serie gegen die Houston Astros, da prügelte Kyle Schwarber den Ball auf die Tribüne. Vier Runs, mehr geht nicht mit nur einem Schlag. Grand Slam.

Die Red Sox gewannen diese Partie 12:3, sie führen in der Serie mit 2:1 - auch deshalb, weil ihnen im zweiten Spiel (9:5) gleich zwei Grand Slams gelungen waren. Drei Grand-Slam-Homeruns in einer Playoff-Serie, das hat in der 118-jährigen Geschichte der nordamerikanischen Baseballliga MLB (damit die älteste Profisport-Liga der Welt) noch kein Verein geschafft. Und nun lautet die Frage: Ist das Zufall?

Baseball verändert sich gerade enorm, die Digitalisierung ermöglicht tiefere statistische Analysen. Diese sind in fast allen Disziplinen zu beobachten, im Baseball jedoch sind die Auswirkungen krasser, weil es keine fließende Sportart ist wie zum Beispiel Fußball. Ein Baseball-Match lässt sich wegen der vielen Mini-Duelle zwischen Schlagmann und Werfer in etwa 350 Einzel-Ereignisse aufteilen, die Datenmenge wächst angesichts von 162 Partien pro Verein in der regulären Saison derart an, dass sich rote Fäden erkennen lassen.

Der Film "Moneyball " mit Brad Pitt dramatisiert den Beginn dieser statistischen Revolution, indem er die Details der erstaunlichen Geschichte der Oakland A's in der Saison 2002 erzählt. Wer statistische Analyse einführt, nicht nur im Sport übrigens, behauptet oft von sich, er analysiere lediglich die Zahlen, lasse sich aber nicht von ihnen versklaven. Die Red Sox hingegen verlassen sich komplett auf Zahlen - was bedeutet, dass jemand während einer Partie eine Entscheidung trifft, der kein visuelles Bild von dieser Partie sieht, sondern nur deren statistische Werte.

Alle machen bei diesem Vorgehen mit, von Manager Chaim Bloom über Trainer Alex Cora bis hin zu jedem der 56 Spieler, die Boston in dieser Saison bereits eingesetzt hat - Vereinsrekord. Nach dem Triumph im Viertelfinale gegen die haushoch favorisierten Tampa Bay Rays übergab Cora den Zettel mit Aufstellung und allen Wechseln an Bloom als Zeichen, wie sie arbeiten bei den Red Sox. Der Zettel liegt nun in Blooms Safe.

Im Baseball vollzieht sich die konsequente Digitalisierung einer Sportart

Vereinfacht ausgedrückt wird jede Aktion der Red Sox bestimmt von Datenanalyse. Sie wissen: Schlagmann XY des Gegners zielt bei einem Wurf XY des eigenen Pitchers den Ball in die Nähe von Stelle XY des Spielfeldes, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hat, dass der eigene Mann ausscheidet. Also wählt der Pitcher doch besser einen anderen Wurf mit variiertem Drall und veränderter Geschwindigkeit - und seine Kollegen werden so positioniert, dass der Weg zum Ball so kurz wie möglich ist. Oder, folgende Situation: Der Werfer spielt phänomenal, wirkt aber im fünften Spielabschnitt ein ganz klein wenig müde, nur drei Würfe waren ein bisschen langsamer oder ungenau? Wird er sofort ausgewechselt. Die Red Sox haben in dieser Saison 33 Werfer eingesetzt; dazu vier andere Spieler auf der Position, weil kein gelernter Werfer mehr verfügbar war.

Beim FC Bayern sind bislang noch keine Mitarbeiter damit beschäftigt, zu dem Ergebnis zu kommen, dass die letzten zwei Sprints von Thomas Müller langsamer waren, er gegen Hoffenheims Verteidiger ohnehin eher glücklos ist und in dieser Saison noch nicht nach der 75. Spielminute getroffen hat - dafür Größe und Beweglichkeit von Eric Maxim Choupo-Moting von diesem Zeitpunkt an ideal zu den müder werdenden Defensivspielern der TSG passen. Wenn also Trainer Julian Nagelsmann Müller aus- und Choupo-Moting einwechselt, dann nicht deshalb, weil die reinen Daten es nahelegen.

Im Baseball hingegen vollzieht sich die konsequente Digitalisierung einer Sportart, und es gibt nicht wenige Leute, die das töricht finden - weil es die so genannten "Intangibles" ignoriert, also jene nicht messbaren Faktoren, die Einfluss nehmen auf ein Spiel. Deshalb der Vergleich mit dem Instinktfußballer Müller, für den bekanntlich ohnehin andere Gesetzmäßigkeiten gelten. Und wenn im Baseball einer am Schlagmal steht und einfach spürt, dass er den Ball auf die Tribüne knallen wird? Wenn der Werfer in den Augen des Gegners sieht, dass der einen Wurf mit Drall erwartet? Wenn ein müder Werfer durchhält, weil er einen Lauf hat und deshalb, wie man sagt, "in the zone" ist?

Der Erfolg gibt den Red Sox bisher Recht

Die Sportgeschichte ist voll von diesen Momenten, in denen Athleten eben nicht tun, was sie tun sollten - und genau deshalb obsiegen. Die Frage: Ist in einer Sportart, in der alles bis ins Detail analysiert ist und sich Spieler wie Roboter über das Spielfeld bewegen, nicht womöglich der Akteur erfolgreich, der überraschend was anderes tut?

Doch sie wollen das nun durchziehen in Boston, Manager Bloom sagt: "Wir haben diese Balance, der ganze Verein ist dabei, wir haben das große Bild vor Augen." Der Erfolg gibt ihnen Recht, es fehlen nach drei Spielen im Halbfinale nur noch zwei Siege zum Erreichen der World Series. Selbst wenn es nicht klappen sollte mit dem Titel, kann Bloom auf die Analyse des damaligen Oakland-Managers Billy Beane (mittlerweile Teil-Eigentümer der Franchise) verweisen, der zufolge selbst eine Best-of-seven-Serie im Baseball zu sehr von zufälligen Ereignissen bestimmt werde, als dass sie geplant werden könnte. Zufällige Ereignisse wie etwa: drei Grand Slams in drei Spielen.

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