Süddeutsche Zeitung

Torwart von Union Berlin:"Meine Frau sagte: Du Idiot!"

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Von Javier Cáceres, Berlin

Die inoffizielle Berliner Stadtmeisterschaft zwischen dem 1. FC Union Berlin und Hertha BSC hallte auch am Dienstag noch nach. Medial jedenfalls. Und obwohl 72 Stunden vergangen waren. Die Berliner Zeitung etwa wartete mit einer ganzseitigen Auswertung der Statistiken des 1:0-Sieges des 1. FC Union auf und identifizierte, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Spielanalyse, die sogenannten "Derby-MIPS", also die "Most Involved Players", die meistbeteiligten Spieler des ersten Bundesliga-Hauptstadtduells der Geschichte.

Natürlich ragte Union-Stürmer Sebastian Polter als einziger Torschütze des Samstags heraus; daneben aber auch der Unioner Robert Andrich und Herthas Dodi Lukébakio wegen Bestwerten in der Rubrik "Torschussbeteiligungen" (8:4), daneben neuerlich Andrich und Herthas Lukas Klünter in der Sparte "Episoden" (70:68).

Der polnische Torwart der Köpenicker, Rafal Gikiewicz, hatte nur 38 Episoden aufzuweisen, 19 weniger als sein norwegischer Hertha-Kollege Rune Jarstein. Dafür hatte Gikiewicz kein Gegentor zu beklagen und war auch am Dienstag noch in aller Munde. Wegen einer Episode, die sich nach Spielschluss zugetragen hatte und damit in der Statistik nicht berücksichtigt wurde, aber zum Beispiel dem Tribünengast Gregor Gysi, Bundestagsabgeordneter der Linken, ein Lob wert war. "Dass die Spieler von Union am Samstag eine Eskalation verhinderten, als sie ihre Fans nach dem Spiel aus dem Innenraum auf die Tribüne zurückschickten, war ein wichtiges Zeichen", sagte Gysi der Berliner Zeitung. Auch Trainer Urs Fischer war stolz. Er leitete die Spielanalyse am Dienstag mit einem Lob für die Zivilcourage des Teams ein. Wie Gysi hob Fischer den Keeper nicht hervor. Obwohl er entscheidend war.

Als ein, zwei Dutzend vermummte Unioner nach dem Spielschluss auf den Platz stürmten, um die Herthaner auf der gegenüberliegenden Tribüne aufzumischen, war er es, der seine Stirn entbot, sie anbrüllte, mit Gesten und Schubsern zurückschickte auf die Tribüne. "Ich habe ihnen auf Deutsch, Englisch und Polnisch gesagt, dass sie wieder zurückgehen sollen in den Block, weil der Verein sonst noch mehr Probleme bekommt, eine noch härtere Strafe", sagte Gikiewicz.

"Was wollt ihr denn noch: Berlin ist rot!"

"Was wollt ihr denn noch: Berlin ist rot!", habe er mit Blick auf den Sieg und Unions Farben gebrüllt. Seine Mitspieler sekundierten ihm, und auch die Flüstertüteneigner der Ultras, die "Kapos" also, pfiffen ihre Pappenheimer zurück. Mit Erfolg, ohne weitere Blessuren. Ein Ultra griff ihm an die Gurgel, "aber der war 1,50 groß", sagte der 1,90 Meter große Torwart. Überhaupt: Angst habe er nicht gehabt, "das sind unsere Fans, ich respektiere sie; sie respektieren mich". Er habe nur aus einem Impuls heraus für Ordnung sorgen wollen.

Ärger gab es dennoch. Später, von der Ehefrau. "Du Idiot!", habe sie ihm gesagt, denn: Was wäre gewesen, wenn einer der auf Krawall gebürsteten Union-Fans ein Messer gezückt hätte? Die Mama sei entspannter gewesen, erzählte Gikiewicz, sie kenne ihn ein ganzes Leben lang. Als Chaos zu sehen war, habe sie gewusst: "Da ist bestimmt ein Gikiewicz dabei." Seine Freunde aus Polen wiederum hätten sich heimisch gefühlt: "Die haben gesagt: Ach, Derby in Deutschland ist ja wie bei uns in Polen", dort herrschen beim Fußball rauere Zustände als in der Bundesliga. Die hitzige Lage beim Derby war freilich nicht nur den vermummten Union-Fans geschuldet. Sondern auch jenen Hertha-Fans, die wahllos Raketen in die Tribünen und auf den Rasen schossen, ein Klima der Angst heraufbeschworen. Gikiewicz' Frau und die Kinder flüchtete darob in den VIP-Raum.

Dort sahen sie einen Sieg, den Gikiewicz Trainer Fischer zuschrieb. "Hertha hatte in der ersten Halbzeit keinen Plan. Die wussten nie, was sie machen müssen", sagte er - und bemühte die Mathematik. "Ich habe nach dem Aufstieg gelesen, dass Hertha froh war, weil sie sechs Punkte gegen Union holen", sagte er und regte eine Neukalkulation an. "Dann sind's jetzt minus drei ..."

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SZ vom 06.11.2019
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