Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Lehmann bei Kerner:Beichtstuhl ohne Beichte

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Kerner bemüht sich vergeblich: Lehmann entschuldigt sich nicht für seine Ausraster. Peinlich ist dem Torwart manches - nicht aber die Pinkelpause, die keine gewesen sein soll. Eine Nachtkritik

Thomas Hummel

Jens Lehmann hatte die passende Kleidung an: grauer Pullover über weißem Hemd, dunkle Hose, dunkle Schuhe, auch die Haare hatte er sich ordentlich gekämmt. So erscheint man eben im Beichtstuhl.

Der bekennende Christ ("Auf dem Spielfeld bitte ich schon mal um Beistand von oben und denke: So, jetzt brauche ich ein bisschen Intuition im Spiel, jetzt brauche ich ein bisschen Hilfe") hatte einiges angesammelt, um öffentlich Sühne zu tun. Doch trotz des dafür perfekten Äußeren wurde daraus nichts. Was wahrlich nicht am Beichtvater lag.

Johannes B. Kerner hatte sich erfolgreich darum beworben, Jens Lehmann in seinen Beichtstuhl, also in ein Sat-1-Studio, zu bekommen. Es sollte der größte Coup werden, seit Kerner zu seinem alten Sender zurückgekehrt ist. Seit Anfang November kämpft der Moderator gegen fallende Quoten und schlechte Kritiken. Jetzt hatte er offenbar seine guten Kontakte in die Fußballwelt genutzt, um den Bösewicht der Nation in seine Sendung zu bekommen.

Und dort sollte sich dieser Bösewicht doch bitteschön entschuldigen. Er sollte sein stolzes Haupt senken und sagen: Es tut mir leid, ich bin schlecht, bitte verzeiht mir! Und so bohrte Johannes B. Kerner nach und bohrte nach. Jemandem die Brille wegzunehmen, sagte er, der dann vielleicht schlecht sehe, das sei doch "entwürdigend", "keine schöne Sache" sei das.

Als aber Lehmann nicht daran dachte, sich zu entschuldigen, legte Kerner nach: "Ich will dich nicht zur Entschuldigung tragen, aber ..." Doch Lehmann blieb Lehmann. Er entschuldigte sich nicht, sondern er erklärte. Jedem kleinen "Es tut mir leid" folgte sogleich ein "aber" mit ausschweifender Erklärung. Grund sei die "Drucksituation, in der Dinge passierten, die nicht passieren sollten". Grund sei seine Erziehung oder das Verhalten und die Provokationen anderer. Lehmann erklärte eloquent und schlüssig, Kerners Nachbohrerei wurde irgendwann langweilig.

Leid tut ihm nur die eigene Mannschaft

Jens Lehmann, Torwart des VfB Stuttgart und "Held der Fußball-WM im eigenen Land", wie im Einstiegsfilmchen behauptet wurde, hatte zuletzt auffällige Momente. Zum Beispiel ließ er sich im Spiel gegen Mainz 05 am vergangenen Sonntag von Gegenspieler Bancé und dem Publikum zu einer Tätlichkeit provozieren: Er stieg dem Stürmer absichtlich auf den Fuß. "In Fußballstadien kochen die Emotionen hoch. Es wird viel verlangt, man darf keine Fehler machen. Hier habe ich einen gemacht", sagte Lehmann. Leid tue ihm aber allein die eigene Mannschaft, weil es anschließend Elfmeter gab und Mainz zum 1:1 ausglich.

Die Tat erklärte er mit seiner "sportlichen Erziehung" im Ruhrgebiet, in Essen: "Junge, wenn dir jemand was tut, musst du dich wehren", hätte man ihm beigebracht. Und dass man Erfolg brauche. "Ich kämpfe dafür, Erfolg zu haben." Kerner warf ein: "Und fair zu spielen?" Lehmann konterte: "Das sagt einem niemand."

Brillenübergriff auf Fan war "peinlich"

Die Szenen nach dem Spiel in Mainz sind dem 40-Jährigen allerdings "peinlich" und "unangenehm". Ein Stuttgarter Anhänger hatte ihn beim Verlassen des Stadions gestellt und gefragt, ob er denn nicht einmal normal sein könne. Da hatte Lehmann dem Fan die Brille von der Nase genommen und sie erst nach mehreren Metern einem anderen, verdutzten Passanten zurückgegeben.

Lehmann warb bei Kerner um Verständnis: "In solchen Situationen bin ich nicht geschult. Da verfolgen mich Kameras und ein Fan ist auf Riechweite. So etwas sollte nicht passieren, ist es aber leider." Kerner forderte eine Entschuldigung beim Brillenopfer. Doch Lehmann sagte: "Ich habe die Brille gestohlen, damit er schweigt. Ich wäre gerne verschwunden, ohne dass das jemand bemerkt."

Als Lehmann dann am Flüghafen in München angekommen war, hatte er einen Reporter vor laufender Kamera gebeten, ihm fünf Euro zu schenken, weil er Hunger habe. "Skurril", meinte Kerner. Lehmann blickte ihn gerade an, zog die Augenbrauen nach oben, kurz flackerte Wut auf: "Der Reporter hat mich über 100 Meter verfolgt und mir ständig Fragen gestellt. Ich wollte, dass er damit aufhört. Das war wohl eine Übersprungshandlung."

Auf Seite 2 lesen Sie: Wie Lehmanns Familie klarkommt und was es mit der Pinkelpause auf sich hatte.

Moderator Kerner unterlegte die Antworten des Torwarts stets mit einem rückversichernden "Hm, hm", und zwar bisweilen in einer Lautstärke und Häufigkeit, dass es Ungeduld und Missmut ausdrückte. Es kreiste der Gedanke durch das Studio: Wie krieg ich diesen Aal nur zu emotionalen Aussagen, am besten gegen die Unbill und Widersacher dieser Welt?

"Wie sieht der Kampf deines Lebens aus? Gegen wen kämpfst du?" fragte Kerner. Doch Lehmann war so einfach nicht zu kriegen: "Ich kämpfe gegen niemanden. Ich wüsste nicht, gegen wen ich kämpfe." Und er fragte nun gar zurück: Ob Kerner wisse, wie viele Gegenspieler er in seiner Karriere ernsthaft verletzt oder geschlagen habe? Natürlich keine, das ahnte nun auch der Moderator.

"Kinder haben kein Problem"

Noch ein Versuch: Was sagt deine Familie, was sagen deine Kinder? "Die Situation ist nicht angenehm für mich und meine Eltern", bemerkte Lehmann kurz nachdenklich, doch für seine Kinder ergäben sich keine Probleme. Auf dem Schulhof seines Sohnes sei mehr darüber gesprochen worden, dass sich der Mainzer Bancé nach dem Fußtritt das Gesicht gehalten habe.

Jens Lehmann - adrett gekleidet, gut vorbereitet und ruhigen Blutes - war für Kerner nicht zu greifen. Das ist dem Moderator indes nur bedingt vorzuwerfen, denn wer hat Jens Lehmann schon mal dazu gebracht, wirklich sein Innerstes preiszugeben? Der Torwart wirkte distanziert wie eh und je, bei seinen Antworten blickte er bisweilen durch den Raum auf der Suche nach den richtigen Worten. Da er Abitur und auch studiert hat, fand er diese auch. Und wenn es sein musste, dominierte er das Gespräch mit verwirrenden Wortfolgen: "Die Erfahrung ist nur ein Teil des Spektrums von Möglichkeiten, die man nutzen kann."

Pinkelpause war Hosenpanne

Als er merkte, dass das Schlimmste überstanden war, blitzte wieder das Süffisante in Lehmanns Wesen durch. Was denn da genau vorgegangen sei, als er im Champions-League-Spiel gegen Unirea Urcizeni bei laufendem Spiel über die Bande hüpfte und etwas an seinem Unterleib regelte? Die Öffentlichkeit hatte geschlossen: Pinkelpause! Lehmann meinte: "Ich habe mich gewundert, dass die Kamera nicht alles enthüllt hat. Ich trage einen Plastikschutz in der Hose. Da stimmte gar nichts. Danach konnte ich mich wieder richtig bewegen."

Nicht einmal die Rücktrittsankündigung schenkte der Torwart seinem Gastgeber. Er habe den Plan, im Sommer aufzuhören, doch im Fußball wisse man nie, was passiert. Immerhin eines ist naheliegend: Die Drucksituation, die Erziehung zur Härte, der unbedingte Wille zum Erfolg bringt noch die ein oder andere schöne Geschichte über Jens Lehmann hervor. Wenngleich sie hoffentlich kein Thema mehr in Kerners Beichtstuhl werden.

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