Süddeutsche Zeitung

US-Open-Sieger Dominic Thiem:Er hat sich diesen Titel verdient

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Muss man Dominic Thiems Triumph in New York wegen der Pandemie mit Sternchen versehen? Nein, denn er kann nichts dafür, dass namhafte Profis diesmal fehlten.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Dominic Thiem ist US-Open-Champion. Sein Name wird auf die Trophäe graviert, ein Poster von ihm in den Katakomben des Arthur Ashe Stadiums aufgehängt und ein Banner mit seinem Antlitz darauf auf dem Walk of Champions in die Höhe gezogen. Es hatte vor dem Turnier Debatten gegeben, ob man all dem wegen der Corona-Pandemie und der Absagen etlicher Spieler ein Sternchen anfügen müsse, wie es etwa bei Rekorden dopingverdächtiger Akteure getan wird. Nicht nur angesichts des epischen Endspiels gegen Alexander Zverev ist dies eine unsinnige Forderung.

Thiem kann nichts für diese Pandemie. Er kann nichts dafür, dass Rafael Nadal lieber alles daran setzt, seinen 13. Titel bei den French Open zu gewinnen, dass Roger Federer seinen lädierten Körper reparieren lässt und dass Novak Djokovic wegen einer Unsportlichkeit disqualifiziert wurde. Er hat jeden besiegt, der in New York auf der anderen Seite des Netzes stand, im Finale wurde er von Zverev an eine mentale und körperliche Grenze getrieben, von der er wohl nie geglaubt hatte, sie jemals erreichen zu können. Er hat sich diesen Titel verdient.

Man kann solche Sternchen fordern, auch im Frauen-Wettbewerb übrigens, wo sechs Top-Ten-Spielerinnen fehlten; nur müsste man dann etliche Sternchen anbringen im Profitennis. Bei den Männern von 1950 bis 1968 zum Beispiel, weil Pancho Gonzales, US-Open-Sieger 1948 und 1949, als Profi nicht an diesen Turnieren teilnehmen durfte. Gonzales, das nur nebenbei, war der letzte Spieler vor Thiem, der ein US-Open-Endspiel nach Zweisatzrückstand gewann (1949).

Bei den Frauen wären die French Open in den späten 1970ern Kandidaten für Sternchen, als Martina Navratilova wegen niedrigen Preisgelds lieber World Team Tennis spielte. Die Siegerinnen der Jahre '76 bis '78 (Sue Barker, Mima Jausovec und Virginia Ruzici) gewannen sonst kein Grand-Slam-Turnier. Oder die Australian Open in diesem Zeitraum, an denen kaum jemand von anderen Kontinenten teilnahm, weil das Preisgeld gering, der Austragungsort Melbourne schwer erreichbar und der Termin um Weihnachten herum ungünstig waren. Der Sieger 1976: der Australier Mark Edmondson, der damals auf Platz 212 der Weltrangliste geführt wurde. Zwei Jahre später: Landsfrau Chris O'Neil, Nummer 111.

Mal andersrum betrachtet: Thiem musste wegen der Pandemie zusätzliche Strapazen auf sich nehmen, er verbrachte vier Wochen in dieser Tennisblase in New York und durfte nur drei Leute mitbringen - wie Zverev. Wenn überhaupt, dann könnte so ein Sternchen ausdrücken, dass die Japanerin Naomi Osaka, die bei den Frauen siegte, und Dominic Thiem ihre Titel unter erschwerten Bedingungen gewonnen haben und deshalb besonderen Respekt verdienen. Gut möglich, dass in 20 Jahren darüber geredet werden wird, welch besonderes Turnier die US Open 2020 waren. Thiem kann das egal sein, nach drei verlorenen Endspielen steht nun endlich und ohne Sternchen auf seiner Visitenkarte: Grand-Slam-Champion.

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SZ vom 15.09.2020
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