Süddeutsche Zeitung

Daniil Medwedew gewinnt die US Open:Legendärer Jubel nach dem legendären Sieg

Lesezeit: 4 min

Im US-Open-Finale zeigt Daniil Medwedew ein Lehrstück in Taktik und Psychologie - und vermiest Novak Djokovic den historischen Triumph. Die Debatte um den besten Spieler der Geschichte wird damit vertagt.

Von Jürgen Schmieder, New York

Und dann legte sich Daniil Medwedew aufs Spielfeld und streckte die Zunge raus. Tennisspieler tun so was ja öfter nach großen Triumphen, Medwedew hat jedoch immer wieder mal angedeutet, wie doof er das findet; gewöhnlich feiert er seine Siege mit sarkastischem Schulterzucken und schelmischem Blick. Die Jubelgeste nach dem US-Open-Finale gegen Novak Djokovic war kein Verzücktsein von der eigenen Großartigkeit, sondern ein Gruß an alle Videozocker, die den Hinweis sofort verstanden: "L2 plus links", sagte Medwedew, also die Tastenkombination für den "Dead Fish"-Jubel in der Fußball-Simulation Fifa: "Ich wollte was Legendäres machen, und das Match war ja legendär."

Ja, schon klar: Das Wimbledon-Finale 2008 zwischen Roger Federer und Rafael Nadal ist das beste Tennismatch der Geschichte. Die Partie am Sonntagabend, Medwedew gewann 6:4, 6:4, 6:4, ist weniger Stoff für eine packende Doku wie "Strokes of Genius" über das Federer-Nadal-Duell als vielmehr für einen Lehrfilm über die psychologischen Aspekte im Tennis; darüber wird derzeit heftig debattiert.

Es sollte die Krönung werden für König Novak I., er sollte sich die vierte Grand-Slam-Krone dieses Jahres aufsetzen, die 21. in seiner Karriere. Promis wie Lupita Nyong'o und Brad Pitt waren da, und natürlich auch Rod Laver, der 1969 als bisher Letzter den Grand Slam geschafft und bei den US Open ein Preisgeld von 16.000 Dollar erhalten hatte. "Wenn er gut genug spielt, dann wird er gewinnen, und ich werde der Erste sein, der seine Hand schüttelt", sagte Laver vor Beginn der Partie. Man könnte nun sagen, dass Djokovic nicht gut genug spielte, dass die Chance auf einen historischen Triumph zu schwer wog. Dass der erste Aufschlag nicht kam, dass er zu viele leichte Fehler machte, dass er diesen spirituellen Ort in seinem Kopf nicht erreichte, an dem er unbesiegbar wird.

"Die Beine waren nicht da", klagt Djokovic nach seiner Niederlage

Das stimmt alles, Djokovic sagte selbst: "Ich war unterdurchschnittlich, die Beine waren nicht da, der Aufschlag auch nicht. Am Ende war ich erleichtert, dass es vorbei war. All die Verdichtung zuletzt, der mentale und emotionale Stress in den vergangenen zwei Wochen, da war viel zu verarbeiten. Natürlich war ich traurig und enttäuscht, aber es überwog die Dankbarkeit für diesen Moment, den mir das Publikum geschenkt hat." Die Zuschauer hatten ihm, dem sie häufig mit brutaler Ablehnung begegnet waren, an diesem Abend gezeigt, dass sie ihn ins Herz geschlossen haben - vielleicht auch aus egoistischen Gründen, Zuschauer sind ja gerne dabei, wenn sich jemand in die Geschichtsbücher einträgt.

Man muss diese Partie aber vielleicht von der anderen Seite des Netzes aus betrachten. Medwedew hatte ein Match geliefert, das als Blaupause für die spielerisch-taktischen Elemente dieser Disziplin und als Vorbild für die mentalen Aspekte im Sport generell dienen könnte. Es war, als würde man einem Schach-Großmeister dabei zusehen, wie er mindestens drei Züge vorausdenkt und sich nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Ein Beispiel: Medwedew hatte im ersten Satz ein frühes Break geschafft. Das war nicht ungewöhnlich für Djokovic, er hatte davor bei den US Open vier Mal nacheinander den ersten Durchgang verloren; er nutzt den Rest des Satzes gewöhnlich, nach Unsicherheiten beim Gegner zu suchen. Medwedew positionierte sich bei gegnerischem Aufschlag extrem weit hinter der Grundlinie und nutzte die jeweils ersten Schläge, irgendwie in den Ballwechsel zu kommen und ihn dann möglichst zu dominieren. Djokovic probierte deshalb häufiger Serve-and-Volley, doch fehlte ihm dafür der erste Aufschlag (nur knapp die Hälfte brachte er ins Feld). Außerdem stellte sich Medwedew rasch um und retournierte möglichst kurz und flach.

So ging das einen Satz lang, als wären die beiden Schach-Großmeister, die wissen, wie die nächsten Züge verlaufen werden (Medwedew servierte den Satz souverän aus), und deshalb schon mal für danach planen: Djokovic probierte extremere Winkel mit Vorhand-Cross, zog die Rückhand kräftiger die Linie lang, streute wilde Stopps ein - doch Medwedew reagierte, wie Anatoli Karpow einst auf die wilden Angriffe von Garri Kasparow reagierte: gelassen, und genau das führt zum zweiten Aspekt dieser Partie.

Djokovic hatte zu Beginn des zweiten Durchgangs drei Breakbälle nacheinander - auch diese Situation hatte sich durchs Turnier gezogen wie der Verlust des ersten Satzes, im Halbfinale gegen Alexander Zverev zum Beispiel gelang ihm direkt nach Satzverlust das entscheidende Break im letzten Durchgang. Nach dem Triumph bei den French Open nach Zwei-Satz-Rückstand gegen Stefanos Tsitsipas hatte er gesagt, dass ihm ein Spiel reichen würde, um diesen spirituellen Ort zu erreichen, um seinen Gegner zu knacken und in die Partie zurückzukehren.

Als Medwedew ein paar Breakbälle abwehrte, zertrümmert Djokovic seinen Schläger

Wie würde einer wie Medwedew reagieren, der 2019 im US-Open-Finale einen Fünf-Satz-Krimi gegen Nadal verloren und mit dem Djokovic zu Jahresbeginn im Endspiel der Australian Open den Platz abgezogen hatte? Nun, er reagierte so: Ass, Gewinnschlag nach langem Ballwechsel, toller erster Aufschlag, Ass, leichter Fehler Djokovic nach spektakulärem Ballwechsel. Als Medwedew im nächsten Aufschlagspiel noch ein paar Breakbälle abwehrte, da zertrümmerte Djokovic seinen Schläger, und er kam trotz dieses Wutausbruchs - der ihn gewöhnlich stärker werden lässt - nicht zurück in die Partie. Er kam nicht an diesen Ort, weil ihn Medwedew nicht dorthin ließ.

Wer kann das schon von sich behaupten, in einem Grand-Slam-Finale gegen Djokovic der taktisch gewieftere und mental stärkere Spieler gewesen zu sein? Djokovic ist der taktisch und mental Beste dieser Sportart, er ist auch deshalb der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte. Die Debatte um den Besten soll nun nicht geführt werden - vielleicht lässt man es so: Djokovic ist der Erfolgreichste, Nadal der Dominanteste, Federer der Spektakulärste.

"Der erste Sieg bei irgendwas ist immer was Besonderes: das erste Junioren-Turnier, das erste Masters, jetzt der erste Grand Slam", sagte Medwedew danach: "Es ist aber auch, obwohl ich es schade finde für Novak, auf jeden Fall ein besonders Gefühl, gegen ihn gewonnen zu haben." Er habe sich deshalb den Toter-Fisch-Jubel überlegt: "Nicht für Schlagzeilen. Die jungen Leute in der Umkleidekabine sagten, dass es legendär wäre, und ich wollte es legendär für mich werden lassen." Legendärer Jubel nach einem legendären Sieg, und wenn es nach Medwedew geht, dann geht es nun legendär weiter: "Ich werde jetzt auf jeden Fall ein paar Tage lang feiern - und ihr wisst ja, dass Russen wissen, wie man das tut."

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