Süddeutsche Zeitung

Tennis:Serena Williams hat Mauern eingerissen

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Die ganz Großen im Sport, die Einmaligen, die Unvergesslichen definieren sich nicht über Titel - sondern darüber, wie sie eine Sportart geprägt haben. Siehe Serena Williams.

Kommentar von Jürgen Schmieder, New York

Wenn eine wie Serena Williams ihre Karriere beendet, dann beginnen die Titelzähler das Titelzählen: 37 Grand-Slam-Siege in Einzel und Doppel, vier Mal Olympia-Gold, 319 Wochen an der Spitze der Weltrangliste. 94 Millionen Dollar Karriere-Preisgeld, Williams ist die bestbezahlte Sportlerin der Geschichte. In New York überall, in Rooftop-Bars oder U-Bahn-Schächten: Leute in Serena-Shirts mit der Aufschrift Goat. Greatest of all Time. So hört Williams auf: als Beste der Geschichte.

Was Titelzähler oft vergessen, und weshalb diese Goat-Debatten Blödsinn sind: Die ganz Großen einer Disziplin, die Einmaligen, die Unvergesslichen definieren sich nicht über Titel, sondern darüber, wie sie eine Sportart geprägt haben - auf und neben dem Platz. Rekorde und Pokale nimmt man mit. Unvergessen wird man durch Dinge, die man zurücklässt.

Es mag verrückt klingen, aber was Williams zurück lässt: Normalität.

Williams war nicht die Erste, die gegen Rassismus im Tennis gekämpft hat, es gab vor ihr Althea Gibson und Arthur Ashe; beide sind mit Statuen auf der Tennisanlage in Flushing Meadows verewigt, die übrigens Billie Jean King Tennis Center heißt - benannt nach der Bekämpferin toxischer, weißer Maskulinität in diesem Sport. Und es gab vor Williams Grand-Slam-Sieger-Mamis wie Evonne Goolagong Cawley oder Kim Clijsters.

Williams' kraftvolle, energieraubende Spielweise ist heutzutage die Norm im Tennis

Das Vermächtnis von Williams besteht darin, dass sie Missstände sichtbarer gemacht hat, weil sie sich ganz bewusst vor verstaubte Hintergründe gestellt und gebrüllt hat: Stopp, von nun an läuft das anders; im Tennis, in der Gesellschaft - ihr stellt euch besser mal drauf ein!

Einige Zahlen, damit das nicht alles zu gefühlig klingt: gleiches Preisgeld für Frauen und Männer bei allen Grand-Slam-Turnieren seit 2007, nach einer unnachgiebigen Initiative von Venus Williams, unterstützt von Serena. Bei den US Open 2016 war laut US-Verband ein Viertel aller Besucher dunkelhäutig. Ein Jahr später, als sie wegen Babypause fehlte, fiel der Anteil um zehn Prozent; in diesem Jahr sollen es 30 Prozent sein, auch wegen Coco Gauff, die Williams' Nachfolgerin sein soll. Apropos: Derzeit sind zehn der 30 höchstrangierten Amerikanerinnen nicht-hellhäutig - Serena (Platz 413 der Rangliste) und Venus (1504) sind da noch nicht mal dabei.

Williams hat Mauern eingerissen, die bereits gebröckelt haben; und es ist auch wichtig, wie sie das getan hat: ohne Rücksicht auf Verluste. Die kraftvolle, energieraubende Spielweise ist heutzutage die Norm im Tennis. Oder das Verhalten auf dem Platz, das oft kritisiert wurde wegen - ja, weswegen eigentlich außer wegen einer Macho-Vorstellung davon, wie sich eine Frau zu benehmen hat?

Wenn ein Mann martialisch jubelte, fluchte, pöbelte, Rackets demolierte, dann hieß es oft, wie toll es sei, dass er Emotionen zeige. Die Reaktionen auf exakt das gleiche Verhalten bei Frauen waren so töricht, dass sie hier nicht wiederholt werden sollen. Durch Williams' Einsatz wurde es zur Normalität, dass jemand nicht im Tennisröckchen auflaufen und sich beim Seitenwechsel zwischen die Beine filmen lassen muss (auch wenn es diese Unart mitunter immer noch gibt) - sondern: Superhelden-Anzug, geballte Faust, herausgebrüllte Wut.

Goat ist der falsche Begriff für Williams, weil man darüber immer debattieren kann. Passender wäre: Wegbereiterin.

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