Süddeutsche Zeitung

Tennis:Den deutschen Tennis-Frauen rennt die Zeit davon

Von Gerald Kleffmann

Ein sehr populärer Einwohner hat diese Woche kurz vorbeigeschaut, mit dem Jet flog Ion Tiriac ein in Cluj-Napoca, der mit 325 000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Rumäniens. Der 76 Jahre alte Knurrkopf hat sich den Sandplatz in der Sala Polivalenta Arena zeigen lassen, Fragen beantwortet und Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber gelobt. Weg war er.

Die Jagd wartete auf den Mann, dem das halbe Land zu gehören scheint. Tiriac schießt gern Tiere, dem Vernehmen nach ließ er sich inzwischen nach Serbien weiterchauffieren. Noch immer macht Boris Beckers früherer Manager Geschäfte im Tennis. Aber für so wichtig hält er das anstehende Duell im Fed Cup an diesem Wochenende nicht, um aufs Hobby zu verzichten. Von seiner Abreise darf man sich indes nicht täuschen lassen - es geht, vor allem aus deutscher Sicht, um viel. Es geht um zwei Tage - und zwei Jahre.

Sollte das deutsche Team verlieren, stiege es aus der Weltgruppe I ab. 2017 erst würde in der Weltgruppe II die Chance bestehen, um sich für den Kreis der acht besten Mannschaften zu qualifizieren. Die nächste Gelegenheit auf den Titel wäre dann 2018. Ein Abstieg wäre wohl kein Drama, die Auswahl des Deutschen Tennis-Bundes hat diesen in den elf Jahren unter der Leitung von Bundestrainerin Barbara Rittner viermal erlebt und umgehend korrigiert. Jetzt könnte er eine Zäsur bedeuten. Der früh gepriesenen Generation um Kerber, Andrea Petkovic, Sabine Lisicki und Julia Görges würde mit einer Niederlage viel Zeit davonlaufen, um sich wenigstens einmal zur besten Nation zu küren.

Kerber, die im Januar in Melbourne ihren ersten Grand-Slam-Titel errang, wäre 2018 30 Jahre alt, Petkovic auch. Ob Lisicki, 26, nach unsteten zwei Jahren ihr Niveau steigern kann, ist nicht absehbar; in der Weltrangliste wird die Wimbledon-Finalistin von 2013 nur noch als 50. geführt. In Cluj-Napoca fehlt sie, weil sich Annika Beck vorgedrängt hat. Die 22-Jährige bildet mit Görges, 27, vorerst das Doppel.

"Ich spiele das Szenario nicht durch. Ich würde aber lügen, wenn es im Hinterkopf nicht da wäre", sagte Rittner der Nachrichtenagentur dpa zur möglichen Kettenreaktion einer Niederlage und betonte: "Ich versuche, es zu verdrängen." Kerber versicherte: "Wir denken nicht an den worst case." Die Auslosung am Freitag ergab, dass die Weltranglisten-Dritte am Samstag gegen Irina-Camelia Begu das erste Einzel bestreitet (ab 12 Uhr, Live-Stream bei ran.de), ehe Petkovic auf Simona Halep trifft.

Eine zweijährige Warteschleife wäre in jedem Fall für den Teamgeist eine Herausforderung, ein Ereignis hatte schon Risschen hinterlassen. Dazu zählte nicht das verlorene Finale 2013 in Prag gegen Tschechien. Aber beim Halbfinal-Aus ein halbes Jahr später in Sotschi gegen Russland hatte es bezüglich der Aufstellungen offenbar internen Groll gegeben.

Bis heute fällt auf, dass die Beteiligten ungern über damals berichten. Besonders ärgerlich war zudem, dass ein Finale zu Hause gewartet hätte. Im Rückblick könnte Sotschi die Chance ihrer aller Fed-Cup-Karrieren gewesen sein. Dem Vernehmen nach ging Rittner die öffentliche Kritik an ihr so nahe, dass man beim DTB den Absprung befürchtete. Mit der Vertragsverlängerung bis 2018 setzten beide Seiten nach der Pleite ein Zeichen.

Kerber hat noch nie gegen Halep gewonnen

Die Chancen in Cluj-Napoca bezifferte Rittner als "50:50", eine realistische Prognose. Halep, Weltranglisten-Sechste, hat alle drei Duelle mit Kerber gewonnen. Es gehört überdies fast schon zur deutschen Fed-Cup-Tradition, dass Spielerinnen nicht in optimaler Verfassung anreisen. Petkovic haderte zuletzt wieder mit sich. 2015 musste die frische Charleston-Siegerin Kerber sechs Flüge absolvieren, ehe sie in Sotschi war. Diesmal trudelte sie, geschwächt nach der Halbfinal-Aufgabe in Charleston, erst am Mittwoch an. Sie trainierte noch am Nachmittag - und stand dann erst mal eine Stunde im Stau. Sie soll fast so knurrig wie Tiriac geguckt haben.

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SZ vom 16.04.2016/schma
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