Süddeutsche Zeitung

Sportler des Jahres:Die harte Währung des Jahres

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Bei der Wahl zu Deutschlands Sportlern des Jahres war Olympiagold das entscheidende Kriterium. Einleuchtend - doch man hätte auch andere Faktoren berücksichtigen können.

Kommentar von Barbara Klimke

Von den zwei Wochen im sommerlich schwülen Tokio ist Alexander Zverev mehr geblieben als die Erinnerung an eine schmale Pritsche. Zverev hatte damals Unterkunft im Olympischen Dorf bezogen und somit ausreichend Erfahrung gesammelt, um einen Vergleich zwischen dem Luxusleben auf der Tennistour und einem eher spartanischen Athletenalltag zu ziehen. Olympia habe ihm "ein bisschen die Augen geöffnet", sagte er - denn wenn der Tennistross reise, dann werde meist die teuerste Herberge am Platz gebucht. Es gibt im Lande jedoch tatsächlich Sportler, die sogar bei deutschen Meisterschaften noch Bahnticket und Pensionszimmer aus eigener Tasche zahlen. Und so verband Zverev seine Wahl zum "Sportler des Jahres" mit einer Solidaritätsadresse: In vielen Disziplinen, erklärte er in Baden-Baden, hätten die Athleten auch in finanzieller Hinsicht mehr Respekt und Anerkennung verdient.

Respekt und Anerkennung, das sind die Schlüsselbegriffe, wenn im Dezember traditionell Bilanz gezogen wird, um die herausragenden Persönlichkeiten eines Sportjahres zu küren. Die Aufgabe ist seit 1947 (im Westen) und 1953 (im Osten) die selbe, und doch immer wieder verzwickt und vertrackt: Besteht sie doch darin, alljährlich kurz vor Silvester eine verdienstvolle Wahl zu treffen - in Ermangelung einer festen Punktetabelle oder eines verlässlichen Kriterienkatalogs. Ist ein Weltmeistertitel mehr wert als eine Europameisterschaft? Darf entscheidend sein, ob jemand als Fußballspieler eine Millionengage verdient? Fällt es ins Gewicht, wenn eine Profi-Tour bei einem Kandidaten wegen häuslicher Gewalt ermittelt? Zählt das erste olympische Schwimm-Gold im Freiwasser mehr als die Bronzeplakette eines Ringers, der die Konkurrenz aus Asien auf die Matte legt? Oder besteht die würdigste Leistung nicht manchmal sogar darin, sich aus einem tiefen Tunnel der Verletzung oder Depression ans Licht zu kämpfen?

In Baden-Baden wurde am Sonntag auf all diese Fragen lediglich eine Antwort gefunden. Denn die deutschen Sportjournalisten, die zur Stimmabgabe berechtigt sind, haben sich 2021 mehrheitlich auf die harte Währung verständigt, mit der man im Hochleistungsbetrieb zahlt: auf Medaillen. Die Geehrten - Malaika Mihambo, Alexander Zverev sowie die Radsportlerinnen Lisa Brennauer, Franziska Brauße, Lisa Klein und Mieke Kröger - sind allesamt Tokio-Olympiasieger und -siegerinnen: Gewürdigt wurden der weiteste Sprung in die Grube, der Finalsieg im Männer-Einzel und Weltrekorde im Velodrom.

Womöglich war das ein zu erwartender Reflex in einem Jahr, in dem sich der Sport aus einer lähmenden Pandemie befreite und zurück auf Matten, Tartanbahnen, in Schwimmbecken, an Turngeräte und auf Planchen fand. Noch vor zwölf Monaten, als Hallen und Plätze verriegelt waren, wurden die Vorbilder abseits der Medaillenstatistiken gefunden: bei Skispringerinnen, die Stoffmasken nähten, oder Basketballern, die bei der Tafel halfen. Auch Malaika Mihambos soziales Engagement, ihr Förderverein für Kinder, stand damals im Vordergrund.

Mit ähnlichen Argumenten wäre diesmal der langjährige Athletensprecher Max Hartung ein würdiger Kandidat für die Auszeichnung gewesen: Der Säbelfechter Hartung hat den Verein Athleten Deutschland in seiner Amtszeit, die nun endete, zum moralischen Kompass im deutschen Sport geformt. In Tokio verlor er im Achtelfinale. Im Olympiajahr aber stand die Auszeichnung für ein Lebenswerk nicht unbedingt auf dem Programm.

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