Süddeutsche Zeitung

Serhou Guirassy beim VfB:Erst fast weg, jetzt voll da

Lesezeit: 3 min

Mit acht Toren nach vier Spielen führt Serhou Guirassy die Torjägerliste an - und steht mit dem VfB Stuttgart in einer Tabellenregion, die selbst kühne Optimisten nicht erwartet hätten.

Von Felix Haselsteiner

Zu den angenehmen Nebeneigenschaften neuer Rekorde gehört, dass sie bisweilen an alte Geschichten erinnern - manchmal auch an alte Gesänge. "Keine Feier ohne Meyer" ist lange nicht mehr durch die Bundesliga gehallt, einst war es ein Klassiker am Bökelberg in Mönchengladbach, wo der Stürmer Peter Meyer in der Saison 1967/68 in den ersten vier Spielen neun Tore erzielte. Eine Quote, die seitdem unerreichbar erschien, weil weder Gerd Müller noch Robert Lewandowski ihr nahe kamen. Am nächsten ist diesem Wert nun ein Spieler gekommen, dessen Weg durch die Bundesliga so ungerade verlief, dass man ihm einen solchen prestigeträchtigen Status nicht unbedingt zugetraut hätte.

Acht Tore hat Serhou Guirassy in den ersten vier Spielen dieser Bundesligasaison erzielt, drei davon beim jüngsten 3:1-Erfolg in Mainz. Einen weniger als Meyer also, aber genug, um den VfB Stuttgart auf den dritten Tabellenplatz zu manövrieren, hinter Bayer Leverkusen und dem FC Bayern. In dieser Region hätten wohl nicht einmal die kühnsten schwäbischen Träumer ihren Verein zum Ende der Sommerpause verortet. Da war gerade der Kapitän Wataru Endo von Bord gegangen - und Guirassy stand kurz davor, ihm zu folgen.

"Ich glaube, es hätte die Möglichkeit gegeben, dass er woanders noch den einen oder anderen Euro mehr verdient", sagte Sebastian Hoeneß am Sonntag im Gespräch mit dem SWR, "so ganz genau" wisse der Trainer das selbst nicht. Ein Wechsel nach England soll durchaus im Raum gestanden haben bei Guirassy, der sich dann jedenfalls doch nicht verabschiedete. "Vielleicht auch, weil er erkannt hat: Ich habe hier die Chance, mit einer Mannschaft etwas zu bewegen, die gerade gut unterwegs ist", sagte Hoeneß.

Fast wäre er im vergangenen Jahr gar nicht in Stuttgart eingetroffen

Es ist eine einigermaßen wunderliche Geschichte, dass Guirassy nun im Stile Meyers Tore für den VfB schießt. Nicht nur, weil er im Sommer nicht aus Stuttgart fortzog, sondern auch, weil er im vergangenen Jahr beinahe gar nicht in Stuttgart eingetroffen wäre.

Eine absolute Last-Minute-Verpflichtung war Guirassy im Jahr 2022, als der VfB im Sommer seinen ehemals besten Stürmer Sasa Kalajdzic abgegeben hatte und dringend nach einem Neuner fahndete. Auf der Liste des damaligen Sportdirektors Sven Mislintat stand auch der Name eines alten Bekannten aus der Bundesliga: Guirassy hatte zwischen 2016 und 2019 drei Jahre beim 1. FC Köln gespielt, war allerdings von dort mit einer weniger beachtlichen Quote von neun Toren in 45 Spielen zu Stade Rennes gewechselt - zu einem Verein also, der nicht gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit im internationalen Fußballgeschäft steht.

Dem klammen VfB passte das ganz gut, doch gerade als man in Stuttgart dachte, man hätte den Kalajdzic-Ersatz gefunden, funkten andere dazwischen: Guirassy wäre offenbar schon im vergangenen Sommer beinahe in England gelandet, ist zu hören. Letztendlich wurde er erst eine gute Stunde vor Ende des Transferfensters ausgeliehen. Für eine Verpflichtungsklausel reichte die Zeit schon nicht mehr, weshalb die Stuttgarter in diesem Jahr noch einmal neun Millionen Euro nach Frankreich überwiesen.

Wer sich nun den Orden für den Guirassy-Transfer an die Brust heften darf und wie entscheidend Mislintats Eingreifen damals war, darüber herrscht in Stuttgart keine Einigkeit, über seine fußballerischen Qualitäten schon: "Mit was für einer Lässigkeit er die Dinger reinmacht - er ist einfach eiskalt und hat Spaß", sagte Teamkollege Deniz Undav nach dem Spiel gegen Mainz, als Guirassy seinen ersten Treffer mit rechts erzielte, seinen zweiten mit links und den dritten nach einer Eigenvorlage per Kopf. Ein "sehr kompletter Spieler" schieße auf diese Art seine Tore, sagte Hoeneß.

Guirassys acht Tore, die er in der "Form seines Lebens" erzielte, überdecken gar ein wenig die gute Arbeit von Hoeneß. Bis auf die zweite Halbzeit beim 1:5 gegen RB Leipzig am zweiten Spieltag wirkt der VfB defensiv stabiler, trotz der Weggänge von Borna Sosa, Konstantinos Mavropanos und Kapitän Endo, den Zugang Angelo Stiller in Mainz gut ersetzte. Der Trumpf ist, dass die offensive Reihe angenehm unverändert aufläuft: Chris Führich, Enzo Millot und Silas Katompa Mvumpa harmonieren als Zulieferer für Guirassy in einem System, das auch dann nicht auseinanderbricht, wenn es unter Druck gerät - so wie gegen Mainz, als in der 70. Minute Leandro Barreiro den Ausgleich erzielte.

Nicht spielerische Probleme, sondern vor allem fehlende Konstanz hatten den VfB in der vergangenen Saison in die Relegation geführt. Die Disziplin in der Mannschaft liegt auch Guirassy am Herzen: "Er hat einen sehr hohen Anspruch an sich selbst, aber auch an seine Mitspieler. Das äußert er dann auch", sagte Hoeneß. Undav ergänzte: "Er verlangt viel von uns, aber wir erwarten auch viel von ihm."

Zur Erwartungshaltung zählen einerseits Tore - der Rekord von Peter Meyer führte einst zu 19 Treffern nach den ersten 18 Partien. Selbst wenn es für derartige Regionen nicht reichen sollte, wird Guirassy sich wohl bald einen Marktwert erspielen, der deutlich oberhalb jener neun Millionen Euro liegen dürfte, die er den VfB einst gekostet hat. Das führt einerseits zu Feiern wie jener vor der Stuttgarter Auswärtskurve, die Guirassy als Solist vor der Mannschaft bejubelte. Auch wenn "Keine Feier ohne Serhou" nicht ganz so fein klingt.

Andererseits: So gerne man in Stuttgart angesichts der aktuellen Tabellenplatzierung das Träumen beginnen würde - die Realität ist, dass jeder Treffer von Guirassy wohl auch einer für das vereinsinterne Sparbuch ist.

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